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Modestadt Berlin? – Eine Bestandsaufnahme

In Berlin gibt es viele talentierte Modemacher, aber die meisten können nicht von ihrem Beruf leben. Die Berlin ­Fashion Week sollte das ändern. Aber kann das gelingen?

Foto: Sebastian Reuter/Getty Images for DER BERLINER MODESALON

Ich wünschte mir, man hätte mich früher gebeten, einen Kommentar über Mode in Berlin zu schreiben – ­vielleicht so vor zwei Jahren. Es wäre einfacher gewesen, optimistischere Töne anzuschlagen. Nicht, dass es für aufstrebende und unabhängige Modemacher in Berlin und überhaupt in Deutschland jemals leicht gewesen wäre. Doch vor zwei ­Jahren fühlte man einen neuen Schwung.

Während der Fashion Week zeigte „Der Berliner Mode Salon“ in seiner Gruppenausstellung die beste Mode aus Deutschland – mit einem großen Anteil aus Berlin. Darauf konnte man stolz sein. Die Laufstegschauen und Präsentationen vieler Berliner Designer hatten ein neues, höheres Niveau erreicht. Endlich konnte man die Berliner Modewoche ernst nehmen. Junge Designer wurden ermutigt, sich weiter zu entwickeln, sich zu professionalisieren. Heute allerdings bin ich ernsthaft besorgt. Und dafür gibt es allen Grund.

Beginnen wir am Anfang – durchaus ­positiv: In Berlin gibt es talentierte Designer. Ich arbeite hier seit 32 Jahren. In den ersten 20 davon war Berlin ein Mode-Ödland. Dann brachte die Stadt in der letzten Dekade einige vielversprechende Kreative hervor. Auf meinem Radar sind zum Beispiel: Antonia Goy, Brachmann, Dawid Tomaszewski, Esther Perbandt, GmbH, Hermione Flynn, Hien Le, Isabell Vollrath, Ivanman, Kaviar Gauche, Lala Berlin, Lou de Bertoly, Malaika Raiss, Marina Hoermanseder, Michael Sontag, Nobi Talai, 032c Workshop, Perret Schaad, Philomena Zanetti, Richert Beil, Rianna + Nina, Sabrina Dehoff, Sissi Goetze, Steinrohner, Vladimir Karaleev und William Fan – das ist eine nur unvollständige Liste von ­Designern und Marken. Und es gibt noch mehr, viele mehr, wenn man Schmuck, Accessoires oder Brillendesign einbezieht. Man denke an Mykita, eine Design-Erfolgsgeschichte vom Feinsten, oder Trippen, schon lange lokale Design-Originale.

Doch zurück zu der, zugegebenermaßen, unvollständigen Designerliste. Hier kommt die Krux: Liebe Leser, wie viele von Ihnen ­haben auch nur von einem der genannten Namen gehört, irgendeinen ihrer Entwürfe gesehen, geschweige denn, etwas von ihnen gekauft? Wahrscheinlich können nur wenige eine und noch viel weniger alle drei Fragen mit ‚ja‘ beantworten. Womit wir bei der Frage sind, warum ist das so? Meine Kolleginnen und Kollegen bei den deutschen Modemagazinen sagen: „Sie sind nicht relevant“ – das übersetzte ich inzwischen als: „da ist kein Werbegeld zu holen“. Was aber die Relevanz dieser Marken wirklich zunichte macht, ist ihre geringe Präsenz im Einzelhandel. Das Schlimmste in Berlin: Es gibt so viele Berliner Designer, die andernorts verkaufen, nur nicht in ihrer Heimatstadt.

Sind sie nicht gut genug? Das glaube ich nicht. Es wird viel schlechte und gehypte Bekleidung verkauft. Sind die Preise zu hoch? Schon eher. Unabhängige und aufstrebende Designer produzieren in kleinen Mengen, also sind die Produktionskosten und somit auch die ­Einzelhandelspreise höher. Das bringt dann diese Modemacher in direkte Konkurrenz mit den internationalen Labels und deren riesige Marketingbudgets. Es fordert vom Einzelhandel viel Überzeugungskraft, der Kundin die Kollektion eines ihr unbekannten Modemachers schmackhaft zu machen, wenn gleich daneben das wohlbekannte Markenprodukt hängt.

Dennoch es ist möglich. Perret Schaad waren lange im Sortiment der Boutique „Schwarzhogerzeil“. Dawid Tomaszewski und seit letztem Jahr auch William Fan, der Gewinner des „Vote for Fashion“ Wettbewerbs, hängen im KaDeWe Schulter an Schulter mit den ganz Großen. Und das KaDeWe macht es jetzt im Januar wieder: Die Designer vom Berliner Salon werden im Schaufenster gezeigt und auf einer Pop-up-Fläche angeboten. Sie, liebe Leser, können wieder mitbestimmen, wer eine Chance bekommt. Gehen Sie wählen!

Aber zurück zum Thema: Viele der genannten Probleme, wie auch das große Problem der Unterfinanzierung haben die meisten Designer überall. Der große Unterschied in Berlin ist, vielleicht sogar in ganz Deutschland, die Gleichgültigkeit gegenüber Mode von unbekannten oder neuen Designern. Die Einzelhändler stehen mehr denn je mit dem Rücken zur Wand, denn der deutsche Käufer gilt in Modefragen als nicht risikofreudig. Es fehlt der Wille, lokale Modeschöpfer zu unterstützen. Der Wille, der Erste zu sein, etwas zu entdecken oder eine Marke zu tragen, um einen Standpunkt zu beziehen oder sich von der Menge abzuheben, ist kaum vorhanden – zumindest, wenn es um Mode geht.

Manche sagen, es sind die Berliner Designer, die sich nicht abheben: zu viel Understatement, zu kühl, zu sehr dem Bauhaus-Minimalismus nachhängend. Andere wiederum sagen, sie sind untragbar, zu speziell. Auf jeden Fall sind Berliner Designer oft zu schüchtern, sie schreien nicht nach Aufmerksamkeit und zeigen einfach nicht, was sie zu bieten haben. Viele setzen zu wenig die sozialen Medien ein, machen sich die Influencer nicht zunutze. Was für mich persönlich keine Todsünde ist. Aber irgendwie müssen Sie es schaffen, gesehen zu werden!

Die Kosten werden steigen, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit bei der kommenden Mercedes-Benz Fashion Week (MBFW) – neben neun Messen und drei Konferenzen – zu erlangen, dabei bewegen sich viele Designer schon jetzt finanziell gesehen auf dünnem Eis. Sponsoren an Bord zu holen ist über die Jahre immer schwieriger geworden und neue, striktere Regularien für Sponsoren gelten bei einigen Veranstaltungen.

Nach dem sich die Partner Mercedes-Benz und die organisierende Agentur IMG getrennt haben, wird es nicht nur weniger Catwalk-Shows geben, sondern Mercedes setzt bei der „neuen“ Fashion Week, ab sofort im Ewerk, hauptsächlich auf kommerziellere Modemarken. Da kann man nur raten, wie sich das die Modereputation in Berlin und Deutschland auswirken wird. Kulinarisch gesprochen gibt es für Designer mit dem Berliner Salon ein köstliches Amuse Bouche, aber es ist streng kuratiert und hat nur Raum für Häppchen der Designer, ihr ganzes Kollektionsmenü können sie hier nicht zeigen. Die Shows im Berliner ­Salon werden wahrscheinlich das Highlight der Saison sein, aber da es nur sechs gibt, bleiben viele Designer auf der Strecke. Es fehlen zudem kleinere Präsentationsmöglichkeiten, die auf die Bedürfnisse und Möglichkeiten unabhängiger Designer zugeschnitten sind.

Um im kulinarischen Bild zubleiben: Bye bye Gratis-Menü. Willkommen in der Wirklichkeit. Aber vielleicht ist es auch nicht schlecht, wenn Designer eine Auszeit nehmen, über Alternativen nachdenken, ihre Möglichkeiten überdenken und neue suchen; nicht nur, um mehr Aufmerksamkeit zu erlangen, sondern auch ein richtiges Geschäftsmodell für sich zu entwickeln. Das Fashion Council Germany, auf das wir für die Deutsche Modeszene so lange gewartet haben, organisiert Geld und startet Initiativen, die Designern helfen sollen, sich selbst zu helfen. Aber das braucht Zeit und vielen Designern läuft die Zeit davon.

Zyniker werden sagen, die vielen Modeschulen der Hauptstadt schicken Jahr für Jahr genug neue hoffnungsvolle Talente in den Markt, bereit und willens, sich ihren Platz zu erobern. Gewillt ja, aber bereit? So ­lange die Modeausbildung nicht auch das wirtschaftliche Denken einschließt, um sich heute über Wasser zu halten, werden wir immer wieder an diesem gleichen Punkt anlangen. Ich bin die Letzte, die es zugeben möchte, aber Kreativität allein reicht nicht mehr aus.

Unsere Autorin Melissa Drier ist die wichtigste Modejournalistin in Berlin und berichtet für das internationale Fachmedium „Women’s Wear Daily“ aus Berlin und Deutschland.

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