Wer abends durch die Kreuzberger Naunynstraße spaziert, wird vom Schein der Lichterkette und dem etwas nostalgischen Kinoanzeiger angelockt. Diese Beleuchtung lässt eher eine Kellerkneipe der 1990er Jahre im Hof vermuten als ein Theater, das Theatergeschichte geschrieben hat.
Ballhaus Naunynstraße: Herausragende Theaterarbeit in Kreuzberg
Aber wer sich in den Hinterhof traut, wird belohnt: Theater, Tanz, Performance, Lesungen, Konzerte, Diskussionen, Filmabende – mitten in Kreuzberg bietet das Ballhaus Naunynstraße ein einzigartiges Programm. 2023 wurde das Ballhaus Naunynstraße für seine herausragende Theaterarbeit mit dem höchsten Theaterpreis des Bundes ausgezeichnet. Die Erschütterung der Theaterszene setzte allerdings bereits 2008 ein, als Shermin Langhoff an dieser Stelle das postmigrantische Theater erfand: Plötzlich bestimmten Menschen und Geschichten das Bühnengeschehen, die bisher im Kanon der deutschsprachigen Theaterlandschaft nicht vorkamen. Plötzlich war Theater in anderer Weise aufregend, weil bisher ungesehene Wirklichkeit darin einbrachen. Seit zehn Jahren nun sind es vor allem Schwarze und queere Perspektiven und Erfahrungen von People of Color, die hier das Programm ausmachen. Und dies in einer Art und Weise, dass die Jury des Theaterpreises dem Ballhaus Naunynstraße den Hauptpreis zusprach:
„Somit bietet das Ballhaus Naunynstraße seit vielen Jahren einen der wichtigsten Reflexionsräume innerhalb der deutschsprachigen Theaterlandschaft für postkoloniale Strukturen in Alltag und Kunst. Das Ballhaus ist eine Geburtsstätte für postkoloniale künstlerische Handschriften, Narrative und Identitätsbildung.“
Die grundlegende Frage in Theater und Politik ist, welche Geschichte wird erzählt und gehört. Wessen Geschichte? Und was passiert, wenn weitere Perspektiven erzählt und gehört werden? Und genau darum dreht sich nicht nur die Theaterarbeit des Ballhaus Naunynstraße, sondern auch die aktuelle Produktion von Atif Mohammed Nor Hussein und Amina Eisner am Ballhaus Naunynstraße, „Courageux! Furchtlos!“ vom 21.-24. April 2024:
„Ein Junge rennt durch Berlin, er springt. Von einem weißen Kontext in den anderen hüpfend flüchtet er durch die Stadt. Plötzlich bleibt der Junge wie angewurzelt stehen. In der Auslage der Bibliothek ist ein Foto von Dumas ausgestellt, dem Autor all der berauschenden Heldengeschichten. Er ist Schwarz wie der Junge.“
Es gibt Schwarze Helden! Aber die historischen Reiter auf den Sockeln im Berliner Stadtraum sind es nicht, und auch in Filmen und Büchern fehlen noch immer Schwarzer Vorbilder. Es gibt sie, und sie könnten selbstverständlicher Teil unserer Kultur sein, wie es auch die Drei Musquetiere, der Graf von Monte Christo und auch ihr Urheber Alexandre Dumas sind. Und so beginnt die dramatische Erzählung der vier Protagonist:innen auf der Bühne des Ballhaus Naunynstraße: In einem Hin- und Her zwischen eigener Erfahrung und derjenigen der literarischen Figuren suchen die vier nach dem Mut zur Tat, nach der Bühne für die Heldentaten in dieser rauen und regelmäßig gewaltsamen Gesellschaft. Denn es braucht Mut, Courage, um zur eigenen Geschichte zu stehen und neue Geschichten in die Welt zu setzen.
- „Courageux! Furchtlos!“ 21.-24. April 2024, Ballhaus Naunynstraße, Kreuzberg, jeweils um 20 Uhr, mehr Informationen unter www.ballhausnaunynstrasse.de
