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30 Jahre Mauerfall

Der durch die Mauer kam: Eine Erinnerung von Peter Wawerzinek an den Verleger Erich Maas

„Wir schimpften, wir lachten, wir sorgten für Tumult“ – Der durch die Mauer kam: Eine Erinnerung von Peter Wawerzinek an den Verleger Erich Maas

Foto: Harry Schnitger

Es geht nicht darum. Das Leben Zentimeter für Zentimeter abzufahren. Wie einen Highway. Um endlich in die Stunde der Zeugung zu gelangen. Sondern immer darum. Bei Tag und Nacht. Schneller größer und größer zu werden. Bis man ein Land ausfüllt. Über es hinausquillt. Es schließlich verlassen kann. Wie ein Sterbebett. Aus „Moppel Schappik“ (1991)


Wenn ich dem Mauerfall etwas verdanke, so den Umstand, die Begegnung mit dieser einen Person: Erich Maas. Er war schon vor dem Mauerfall durch die Mauer gegangen. Wir haben uns nicht zufällig kennengelernt. Er hat uns gefunden. Wir haben sofort zusammen gearbeitet. Wir hockten schön eng aufeinander. In dieser ständig Kunst quetschenden Stadt unternahmen wir herzerfrischende Störaktionen, als die Bürger noch wegen der Begrüßungsgelder anstanden. Die Kamera geschultert, rückten wir im Sinne der Lyrik von matthias BAADER holst (Er schrieb sich nun einmal so) gelblich-weißen Saale-Schaum in die Bildmitte. Wir saßen in Dessauer Bauhausgestühl. Wir stolperten über Bitterfelder Kohlenhalden. Wir geisterten in Potsdam, Zittau, Leipzig, Bonn, Paris, Klagenfurt, Venedig. Mit der Gießkanne in der Faust durchstreiften wir sächsische Schrebergärten. Wir wohnten brüderlich in der Esmarchstraße, Rykestraße, Brunnenstraße. Wir zerredeten Nächte wegen feinsten Nichtigkeiten. Wir empörten uns. Wir fassten die nächste Attacke ins Auge. Wir lümmelten in uns nicht zugedachten Sesseln. Wir hatten unseren ganz privaten Spaß mit der hilflosen Gesellschaft. Wir hauten auf den Putz. Wir freuten uns diebisch. Wir schwärmten aus zu den Talkshows und hatten fruchtbar viel Spaß dabei, sie aus der Halterung zu hebeln. Wir blieben nicht allein. Wir wurden eine KulturBande. Wir scharrten Helfershelfer um uns, einig im Willen, Stirn zu bieten. Wir hoben im Rahmen unserer freiheitlichen Unordnung ab. Wir konnten nicht Rücksicht, noch Blatt vor den Mund nehmen. Wir machten unsere Bücher nebenher, erfreuten mit Lesungen Passanten, schreckten Bücherwürmer, beleidigten Moderatoren, scheuchten die Kritikaster aus ihre Weinseligkeiten. Wir schimpften, wir lachten, wir rauften und sorgten für Tumult. Wir leisteten Arbeit am Fundament. Und alles ging so herrlich unbefangen vonstatten. Wir waren als unverbrauchte Gesprächspartner, nimmermüde Antriebsmotoren, Ideenlieferanten Teil einer ernsthaft wilden Zeit. Harry Hass, Koko Metaller, die Geschichten von Funny van Dannen, und Kapielski mit seinem lebensfrohen Diaschwachsinn, der deutsch-thailändische Husen Ciawi. Ein guter Haufen, eine tolle Truppe. Keiner stand Außenvor. Zwei, drei intensive Jahre, denke ich, beschäftigten wir den Kunstbetrieb, die Polizei, Gerichte. Ich verdanke dem Mauerfall mein erstes Buch, „NIX“ genannt. Dann war der Aufruhr ausgestanden.

Zwischen uns drängten sich Bildschirme wie virtuelle Hackmesser. Ich bestaunte die ungehörige Konsequenz, mit welcher Erich Maas zur richtigen Zeit auf den Plan trat, mit welch einer unbeirrbaren Radikalität der von West nach Ost ging, und dann im Prenzlauer Berg nistete. Gleich bei mir um die Ecke. Von Küche zu Küche über den Hof konnten wir uns zurufen. Ich sah ihn mit seiner Aktentasche unter meinem Fenster in seinen Fiat steigen. Sein fahrendes Verlagsbüro. So ist er dann eines Tages auch aus meinem Leben gefahren.

Peter Wawerzinek ist Schriftsteller. Sein neuer Roman „Liebestölpel“, Schlussband seiner autobiografischer Trilogie (nach „Rabenliebe“, 2010, und „Schluckspecht“, 2014), ist bei Galiani erschienen.

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