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Eine Bibliothek für die Friedrichstraße: Leerstand, Luxus und Visionen

Die Friedrichstraße ist ein Berliner Problemfall: Chaotische Verkehrsplanung, Luxus-Leerstand und die Attraktivität für Touristen und Einheimische fehlt. Die einstige Prachtstraße droht zu verlottern. Kann da die Zentralbibliothek helfen?

So könnte sie aussehen, die neue Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) in den Räumlichkeiten der Galeries Lafayette. Foto: Q207
So könnte sie aussehen, die neue Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) in den Räumlichkeiten der Galeries Lafayette. Foto: Q207

Derzeit ist die Friedrichstraße stellenweise ein Kuriosum

Noch ist die Friedrichstraße kein Unort so wie etwa der Potsdamer Platz, wo man sich fragt, was man dort überhaupt noch soll. Doch so richtig zu fassen, bekommt man die gut drei Kilometer lange Nord-Süd-Achse zwischen Kreuzberg und Mitte auch nicht. Den alten Glanz spürt man nur sporadisch, die wenigen noch erhaltenen Prachtbauten mit ihren exquisiten Fassaden erinnern an den mondänen Ruf einer Geschäftsmeile, der vor dem Zweiten Weltkrieg weit über die Stadtgrenzen reichte.

Derzeit ist die Friedrichstraße stellenweise ein Kuriosum. Sie beginnt am Mehringplatz, einem Betonkessel aus seligen West-Berliner Autobahn-und-Beton-Zeiten, verläuft ein Stück durch Kreuzberg, wo sich leicht angestaubte Galerien, das neue „taz“-Haupthaus, der „Motz“-Laden, Hipster-Kaffeeröster und das Edel-Restaurant Nobelhart & Schmutzig angesiedelt haben. Dann schneidet der touristische Hotspot Checkpoint Charlie einmal quer durch. Nach dem Trash-Trabi-Mauer-Riegel folgt bis zur Ecke Unter den Linden das Luxusexperiment von Berlin-Mitte. Porsche, Gucci, Mont Blanc. Großes Bling-Bling? Nicht ganz so groß. Berlin ist nicht München, die schicken Boutiquen und exklusiven Marken passen offenbar besser nach Charlottenburg als nach Mitte, und rund um den Kurfürstendamm wohnt ohnehin ein gut betuchtes Bürgertum, das die teuren Dinge des Lebens zu schätzen weiß. Eine Luxusmeile reicht der Stadt wohl.

Das Luxusexperiment ging nicht auf, die Verwaltung versuchte mit chaotischer Verkehrsplanung, die Friedrichstraße attraktiver zu machen. Autoverkehr, kein Autoverkehr, wieder Autoverkehr. Am Ende funktionierte die Sache weder so noch so. Die Touristen blieben hier weg, die Berliner zog es auch nicht hin. Nur die CDU profitierte von der Unentschiedenheit der Rot-Grün-Roten-Regierung, heute regiert Kai Wegener vielleicht auch wegen des Debakels um die Friedrichstraße. Als die Galeries Lafayette verkündete, Ende 2024 ihre spektakuläre Filiale in Berlin zu schließen und das vom Stararchitekten Jean Nouvel entworfene Quartier 207 zu verlassen, wurde die Nachricht zum Sinnbild für den langsamen Niedergang der Friedrichstraße. 

Zentral- und Landesbibliothek in der Friedrichstraße: Wohnzimmer mitten in der Stadt

Doch in jedem Ende steckt bekanntlich auch ein Neubeginn. Die Idee für diesen Aufbruch stammt von CDU-Kultursenator Joe Chialo, der einen Umzug der Zentral- und Landesbibliothek ins Luxuskaufhaus anregte. Der Vorschlag erregte die Gemüter, vor allem wegen der Finanzierung des Vorhabens, doch „die Idee lebt – dafür war die Resonanz aus der Berliner Bevölkerung viel zu gut und viel zu groß. Wir erhielten Zuspruch von jenen, die wollen, dass es endlich vorwärts geht. Von jenen die sich einen neuen Glanzpunkt, ein kulturelles Zentrum, für die Friedrichstraße erhoffen“, sagt Chialo. Der Senator beruft sich auf die Vision einer modernen Bibliothek im 21. Jahrhundert, die längst mehr sein kann und will als eine schnöde Bücherausleihinstitution, sondern Treffpunkt, Lernort, Ort des Ausprobierens, ein „Wohnzimmer mitten in der Stadt“.

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Die ZLB in der Friedrichstraße könnte tatsächlich der drohenden Verödung des Standortes entgegenwirken. Chialo ist positiv: „Binnen zwei Jahren wäre der Umzug zu schaffen und für Berlins Haushalt wäre es kostengünstiger und nachhaltiger als Sanierung oder Neubau.“ Von 600 Millionen Euro ist die Rede, aber was bedeuten in Berlin schon Zahlen? Man denke nur an den Flughafen. Auf die Nachfrage, wie das Projekt konkret finanziert werden soll, verweist Chialo auf laufende Gespräche und will das nicht kommentieren. 

Binnen zwei Jahren wäre der Umzug zu schaffen und für Berlins Haushalt wäre es kostengünstiger und nachhaltiger als Sanierung oder Neubau.

Joe Chialo

Die ZLB selbst ist von Chialos Idee überzeugt, eine Initiative setzt sich dafür ein, und auch die Eigentümer des Quartiers 207 wären an einem attraktiven Nachmieter wie der ZLB interessiert. Zuletzt mussten andere leerstehende Gewerbeflächen in der Friedrichstraße an Kunstprojekte temporär vermietet werden, Ausstellungen sehen einfach besser aus als Leerstand. Auch die Galeries Lafayette ließe sich als Performancespace oder Technoclub denken, aber die ZLB-Nutzung wäre da vielleicht doch substantieller. Irgendwo muss sie schließlich hin, zwischenzeitlich waren schon das ausrangierte ICC und das Tempelhofer Feld als potentielle Standorte im Gespräch. Die Friedrichstraße mit ihrer Nähe zu Opernhäusern, Humboldt Universität und Akademie der Künste ergibt als Standort Sinn und sie wäre von überall und für alle erreichbar. „Es entstünde ein neuer kultureller Mittelpunkt in der Stadt. An dem Weg zur Umsetzung arbeiten wir hart und kreativ“, sagt Chialo. 

Vision für die Stadt – Die ZLB würde die Friedrichstraße nachhaltig verändern. Foto: Q207
Vision für die Stadt – Die ZLB würde die Friedrichstraße nachhaltig verändern. Foto: Q207

Mit der ZLB könnte die bislang vom Konsum dominierte Friedrichstraße wieder zu einem Ort des Geistes werden. Denn einst blühte dort in den Kaffeehäusern und Salons das intellektuelle Leben der Stadt und die Umnutzung eines Kaufhauses zu einem Diskursraum, an dem gelesen, gedacht, geforscht, geschrieben und debattiert würde, wäre ein wichtiges Zeichen für die Berliner Kultur und für die Friedrichstraße sowieso.


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