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Gentrifizierungsmusical

„Der Mieter stört!“ – Gespräch mit der Berliner Musikerin und Autorin Christiane Rösinger

Christiane Rösinger thematisiert in ihrem Musical „Stadt unter Einfluss – das Musical zur Wohnungsfrage“ die Gentrifizierung. Es läuft beim „Berlin bleibt!“-Festival im HAU. Ein Gespräch über Ertragslücken, Betongold, Solidarität und Kreuzbergs Protest-DNA

Foto: Dorothea Tuch

Christiane Rösinger Die Gründerin, Sängerin und Texterin der Berliner Bands Lassie Singers und Britta (mit Schild) lebt seit den 1980er-Jahren in Kreuzberg. Sie veröffentlicht zudem Soloalben, publiziert in verschiedenen Zeitungen und Magazinen und schrieb mehrere Bücher, zuletzt „Zukunft machen wir später. Meine Deutschstunden mit Geflüchteten“ (Fischer, 2017).

tip Frau Rösinger, kürzlich haben wir uns bei einem Festival getroffen, da sagten Sie, Gentrifizierung würde gar nicht existieren. Jetzt kommt mit „Stadt unter Einfluss – das Musical zur Wohnungsfrage“ ein Musical von Ihnen zu dem Thema. Wie passt das zusammen?

Christiane Rösinger Tatsächlich gibt es sehr viele verschiedene Theorien zur Gentrifizierung. Was wir alle denken, ist dieser Prozess: Zuerst kommen die Künstler in einen Kiez, alles wird schöner und bunter und dann werden die Mieten teurer. Das stimmt aber so nicht. Günstige Mieten erhöhen sich, weil sich da etwas verdienen lässt. Wenn man eine billige Wohnung mit niedriger Bestandsmiete hat, kann der Vermieter bei Neuvermietung viel mehr verlangen und diese sogenannte „Ertragslücke“ schließen. Das bringt Leute dazu, hier zu investieren.

tip Was dann bedeutet, dass alte Mieter raus müssen.

Christiane Rösinger Irgendwann habe ich mich gefragt, wer diese neuen Mieten bezahlen kann. Aber die Sache ist nicht auf Berlin beschränkt, die ganze Welt investiert hier. Das liegt an der Finanzkrise und an den niedrigen Zinsen, so wird Beton zu Gold. Deshalb heißt ein Lied in meinem Musical auch „Betongold“. Es geht nicht mehr um die Immobilienwelt, es geht um die Finanzwelt. Nach dieser Logik sind Wohnungen nicht dafür gemacht, um darin zu wohnen, sondern es sind Orte zum Geld verdienen.

tip Der Kampf um Wohnraum hat Berlin schon immer beschäftigt, man denke nur an die Hausbesetzerbewegung der 1980er-Jahre. Lässt sich heute von einer neuen Qualität des Problems sprechen?

Christiane Rösinger Wohnraum war immer mal wieder knapp in Berlin, das stimmt, aber heute ist die Situation existenzieller. Es trifft jeden. Müsste ich ausziehen, könnte ich mir in Berlin keine Wohnung mehr leisten. Die Gegend um die Markthalle IX, wo ich auch wohne, hat sich in den letzten Jahren sehr verändert. In meinem Haus gibt es, mich eingerechnet, noch zwei alte Mieterinnen. Alle Wohnungen sind in Eigentum umgewandelt worden, die alten Mieter sind ausgezogen. Kreuzberg ist, außer für akademische Doppelverdiener und Erben, unbezahlbar geworden. 2015 wurde ich auf „Bizim Kiez“ aufmerksam und fand interessant, dass die Nachbarn in der Wrangelstraße anfangen, sich füreinander zu interessieren und sich zu organisieren. Selbst wenn es „nur“ um die Kündigung eines Gemüseladens geht.

tip Das Problem ist doch, dass die Politik das Thema Wohnen zu lange dem Markt überlassen hat. Würden Sie dem zustimmen?

Christiane Rösinger Der Markt funktioniert nicht für uns Mieter, der ist auf Profit aus. Wenn gebaut wird, wird das Falsche gebaut. Es gibt zu wenig Sozialwohnungen. Heute werden selbst alte Leute, Pflegefälle, Behinderte, wegen Eigenbedarf aus ihren Wohnungen geklagt. Das ist unmenschlich und dagegen muss es ein Gesetz geben, das es verbietet. Man muss mehr regulieren.

tip Warum wählten Sie die Form des Musicals als Ihre Reaktion auf Verdrängung, Spekulation und Mieterhöhungen?

Christiane Rösinger Den Wunsch ein Musical zu machen, hatte ich immer, schon mit den Lassie Singers wollte ich das. Dabei hasse ich Musicals! Man denkt da sofort an Kitsch wie „König der Löwen“. Bei uns zuhause wurde aber immer gesungen, und ich finde die Idee eines Lebens im Musical, eines beschwingten Lebens, in dem man ununterbrochen singt, toll.

tip Sie sind eher für Ihre Bücher und Platten bekannt. Wie haben Sie die Bühnenarbeit erlebt?

Christiane Rösinger Ich habe schon vorher am Theater gearbeitet, an der Schaubühne und an der „Feminista, Baby!“-Inszenierung am Deutschen Theater. Und ich habe beim Fußball-Musical von Maurice Summen vom Staatsakt-Label am HAU mitgemacht. Da war ich aber die einzige Musikerin, und das Thema und Projekt waren doch sehr männlich geprägt. Ich hatte danach Lust, ein feministisches Musical zu schreiben. Doch noch bevor ich das anging, fragte mich das HAU, ob ich ein Musical zum Thema Wohnen machen will. Sie kannten mein Lied „Eigentumswohnung“ und so kam es zu der Zusammenarbeit. Jetzt habe ich das Stück und die Songs geschrieben, bin Regisseurin, meine Tourband und insgesamt acht Musiker*innen spielen mit, wir haben aufwändige Kostüme und ein tolles Bühnenbild und lernen Choreografien, der Chor der Mietaktivist*innen ist dabei und Andreas Spechtl arrangiert die Musik. Es ist wunderbar, ein Herzenswunsch und zugleich eine Auftragsarbeit.

tip Wie sind Sie inhaltlich vorgegangen?

Christiane Rösinger Für die Recherche habe ich mich zuerst an die Aktivist*innen von „Bizim Kiez“ gewandt, es sind aber auch Leute aus anderen Initiativen dabei, die jetzt auch mitspielen und im Chor mitsingen. Bei unseren Treffen habe ich mit ihnen über ihre Themen und Geschichten geredet, das sind ja alles Spezialist*innen in Mietersachen. Und da kam das ganze Futter für das Musical zusammen. Die Fälle von Modernisierung, die Tricks, die Hausverkäufe, die Klagen. Letztendlich geht es immer um eine Sache: Der Mieter stört!

tip Klingt ziemlich deprimierend.

Christiane Rösinger Gar nicht! „Stadt unter Einfluss“ ist ein optimistisches Musical, was man bei dem Thema kaum glauben mag. Aber alles wird gut! Ich wollte nicht über die verdrängten Künstler erzählen, sondern über die ganz normalen Leute, die im Theater kaum vorkommen und ihnen auch eine Stimme geben. Deshalb singen die jetzt alle mit. Von den Verdrängungsängsten, dem Protest aber auch der Solidarität, die in einem bedrohten Haus und Kiez entsteht, wenn sich die Nachbarn zusammentun. Und das Musical spielt nun auch in Kreuzberg, hier gibt es eine Protest-DNA.

Stadt unter Einfluss – das Musical zur Wohnungsfrage HAU 1, Stresemannstr. 29, Kreuzberg, Do 26., Fr 27., So 29., Mo 30.9.,
20 Uhr, Eintritt: ab 10 €

Berlin bleibt! Stadt, Kunst, Zukunft Festival zur Spielzeiteröffnung, HAU1–3, ehemalige Postfiliale (Hallesches Ufer 30), Do 26.9. – Sa 5.10.

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