Kolumne

Jackie A. entdeckt… Biesenthal 2.0

Der Koffer war gepackt, die Scheidung so gut wie eingereicht, das Drogenlabor des Nachbarn ausgehoben, und mein Leben auf dem Land offiziell am Arsch

Und dann, wie in einer unrealistischen Kino-Komödie, passiert Folgendes: werden Busse voller Digital-Startup-People aus dem St. Oberholz in die Brandenburger Ödnis gekarrt, um in der frisch eröffneten Zweigstelle zu coworken und zu elektronischer Musik mit Jazzelementen literweise Cold Brew Coffee in sich reinzuschütten. Auf vieles hab ich hier auf der dirty Countryside gehofft: zuziehende Freunde, einen Zug, der nach 20 Uhr fährt, dass ein Blitz in den Fahnenmast des Reichsbürgers einschlägt – alles vergebens. Und nun kommt das St. Oberholz? Wer braucht schon Satire, wenn er selbst in einer lebt!

Und damit herzlich willkommen zur Housewarmingparty auf dem Gelände der Wehrmühle in Biesenthal bei 30 Grad und Sonne, die sich im Wasser des Seerosenteichs noch ein Mµ besser als im berühmten Monet-Gemälde bricht. Davor die antike Fassade der Kunstgalerie, dem neuen Oberholz-Landsitz, hinter deren großen Glasfronten sich Wiesen erstrecken, und ein Weg, der sich unter wolkenlosem Himmel am Rande eines Waldes verliert. Einem unklaren Impuls folgend (wahrscheinlich aber auf der Suche nach einem Glas Aperol Spritz), laufe ich durchs Foyer hinaus in die Weite, vorbei am alten Mühlengebäude und an einzelnen Gästen, die auf Decken liegen oder bis zum Bauchnabel im kühlen Wasser des Flussbetts sitzen, das sich am Rande des Areals sprudelnd entlang schlängelt, während ihre Kinder schnaufend über Steine kraxeln. Außer Atem und mit nackten Füssen komme ich zum Stehen. Der auffrischende Sommerwind frisiert die Haare Tanzender um, als der DJ im roten Seidenmorgenrock – der übrigens verblüffende Ähnlichkeit mit Rafael Caro Quintero aus der Netflix-Serie „Narcos“ hat – in vielsagender Geste die Arme hebt, um nun den Pfad geschmackvoller Musik zu verlassen, und mit einem beeindruckend nervtötenden Housetrack die Tanzfläche in nur 30 Sekunden leer spielt – genial!

Gab es doch kaum eine andere Möglichkeit, Gäste in die Realität zurückzuholen, denn all das hier war definitiv eine Nummer zu perfekt, um wahr zu sein, inklusive des besten Barista-Kaffees, den Biesenthal, vielleicht sogar ganz Brandenburg je erlebt hat. Und hier, inmitten dieses Naturspektakels, können Berliner nun endlich in Ruhe im Internet abhängen beziehungsweise coworken …

Gute Idee! Man könnte aber auch einfach einem Ausflug machen. Das Café ist am Wochenende bis 18 Uhr geöffnet. Da treffen Sie dann auch mich und den Ehemann, dem Leben auf dem Land nochmal offiziell eine Chance gebend.

Berlin am besten erleben
Dein wöchentlicher Newsletter für Kultur, Genuss und Stadtleben
Newsletter preview on iPad