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Michael Müller ist seit fünf Jahren Berlins Regierender Bürgermeister – Eine Bilanz

Seit 11. Dezember 2014 ist Michael Müller Berlins Regierender Bürgermeister. Ein halbes Jahrzehnt währt seine Regierungszeit bereits. Erst in der von Klaus Wowereit geerbten rot-schwarzen, dann in der rot-rot-grünen Koalition. Eine Zwischenbilanz über Müllers Kümmerkasten, Mundwinkel, Humor und Schlachtfelder

Seit 1981 SPD-Mitglied, 2001-11 Fraktionsschef im Abgeordnetenhaus: Michael Müller hat viel Erfahrung,
Foto: imago images/IPON

Müllers Konter Er schien beruflich schwer vermittelbar, als Klaus Wowereit im August 2014 hinwarf. Im Stadtentwicklungsressort galt Müller eher als Senator der traurigen Gestalt. Wurde schon 2012 vom SPD-Landesvorsitz weggepuscht, und zwar von Jan Stöß und Raed Saleh, die jetzt beide forsch ins Rote Rathaus drängten. Stieg als letzter in den dann Dreikampf um Wowereits Erbe ein. Beharrte darauf, er würde keine offenen Rechnungen begleichen, als er offene Rechnungen beglich: deklassierte im SPD-Mitgliederentscheid Stöß und Saleh grandios. Und wurde am 11. Dezember 2014 zum Regierenden Bürgermeister gewählt. Holte sich auch den Landesvorsitz von Stöß zurück. Von dem man landespolitisch fortan nie wieder hörte. Treffer, versenkt.

Müllers Kümmerkasten Zum Amtsantritt bekam er von Wowereit ein Schmuckkästchen mit Büroklammern verehrt. Müller hat ja so gar nichts vom Sonnenkönig-, vom Roter-Teppich-Habitus des großen Klaus. Was erst als sein Plus galt. Endlich einer, der nicht nur glänzt. Der sich kümmert. Aber da war ja noch der Koalitionspartner CDU. Henkel, Czaja.

Müllers Blutgrätsche Die kann er auch. Stellte der „Henkel-CDU“ rüde mitten im Wahlkampf per „Tagesspiegel“ die Scheidungspapiere zu. Wollte ab November 2016 als erster SPD-Chef einer rot-rot-grünen Koalition mehr moderieren als marodieren. Hat es dummerweise etwa mit der linken Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher und ihrem mitunter skurrilen Umgang mit Wohnungsbau zu tun. Holzt auch da öfter als es ihr lieb ist.

Müllers Erfolge Zuallererst der SPD-Mitgliederentscheid-Sieg. Und dann: dass seine rot-rote-grüne Koalition überhaupt noch da ist. Danach sah es nach jenem Katastrophenstart mit dem Bohei um den kurzzeitigen Baustaatssekretär Andrej Holm und seiner Stasi-Vergangenheit nicht unbedingt aus. Und dann die vielen Baustellen. BER, Verwaltung, Schulen, Verkehrswende, Wohnungsbau. Bei Demoskopen gilt der Senat oft als unbeliebteste Landesregierung. Anderswo nennen sie Berlin „Failed State“, ziehen aber gern her. Folge: Wachstumsschmerzen bis unters Dach. Siehe: Müllers Umfragen, Müllers Visionen.

Müllers Mundwinkel Ach ja. Die ziehen sich. Meist nach unten. Kannste nix machen. Ist halt sein Markenzeichen. Wie Merkels Raute, Lindners Anzüge, Habecks Rockstar-Kinn, Scholz’ Scholzhaftigkeit. Den Genossen rief Müller beim Parteitag Ende 2017 zu: „Lasst euch von meinen Mundwinkeln nicht abschrecken. Ich sehe immer so aus, wird auch nicht besser!“ Siehe: Müllers Humor.

Müllers Schlachtfeld Der ehemalige Flughafen Tempelhof. Immerhin wohnt Müller selbst in Tempelhof. War als Stadtentwicklungssenator Wowereits wackerer Werber für eine Randbebauung. Ging im Mai 2014 beim Volksentscheid um die Freihaltung des ganzen Feldes baden. Führt aber unverdrossen immer wieder angesichts der Wohnungsnot das Bebauungsthema ins, nun ja, Feld. Kann nicht davon lassen. Das gibt dann immer viel Kirmes in den Kommentarspalten.

Müllers Volksentscheid-Klatschen Er warf sich auch als Regierender spät in den Kampf gegen das FDP-Hobby, den Flughafen Tegel nach einem BER-Start offenzuhalten. Setzte den folglich verlorenen Volksentscheid einfach nicht um. Kann man so machen. Sieht aber halt doof aus. Nächste Gelegenheiten, einen Entscheid zu verlieren, gibt’s reichlich. Etwa: „Deutsche Wohnen & Co. enteignen.“ Siehe: Müllers Linksschwenk.

Müllers Humor Gar nicht mal so übel. Denkt man gar nicht. Ist halt nicht der Prime-Time-Humor eines Wowereit. Eher so RBB-Nachmittagsprogramm. Müller haut aber gern einen raus. So 2014 im tip über sein Charisma: „Wir haben noch ein paar andere Ministerpräsidenten, die ich mir auch nicht in jeder ,Gala’-Ausgabe vorstellen kann.“ Oder 2018 in der „taz“ über den Grund für seinen Linksschwenk: „Altersradikalität!“ Am 9. Dezember wird er übrigens 55. Siehe: Müllers Visionen.

Müllers Umfragen Zuletzt wieder etwas besser. Persönlich steht er nicht mehr knietief im Demoskopen-Delta. Vergessen ist, dass er als nebenberuflicher Kultursenator seinen Staatssekretär Tim Renner die Frank-Castorf-Nachfolge an der Volksbühne gegen die Wand fahren ließ. Sein jetziges Wissenschaftsressort liegt dem früheren Drucker deutlich mehr. Er steht jetzt in den Umfragen sogar wieder vor der grünen Wirtschaftssenatorin Ramona Pop. Aber von den historisch abgrundtiefen 21,6 SPD-Prozent bei der Abgeordnetenhauswahl am 18. September 2016 können die Genossen heute nur träumen. Forsa zufolge dümpelt die Berliner SPD zuletzt bei 16 Prozent herum. Und die AfD rückt immer näher.

Müllers Widersacher Die Berliner SPD ist keine vertrauensbildende Vereinigung. Weiß Müller spätestens seit 2012, dem Putsch gegen ihn als SPD-Chef. Nahm er persönlich, ging ja auch gegen ihn (und Wowereit). Hat seinen Hang zum Misstrauen nicht gelindert. Auf der Hut zu sein. Vor dem ehrgeizigen Fraktionsschef Raed Saleh etwa. Der geht derzeit zwar zum Lauern in Spandau in den Keller. Aber mal sehen, wenn sich eine Nachfolgedebatte auftut. Als die Berliner SPD bei der Bundestagswahl am 24. September 2017 sogar unter die 20-Prozent-Marke rutschte, gab es Rücktrittsforderungen. Eine gewisse Franziska Giffey erkundigte sich damals, ob Parteivorsitz und Bürgermeisterposten wirklich in eine Hand gehören.  Siehe: Müllers Zukunft.

Müllers Visionen Bitte was? So kennt man ihn gar nicht. Hat er neuerdings aber, vor allem seit seiner Zeit als Bundesratsvorsitzender von November 2017 bis Oktober 2018. Er will Privatisierungen öffentlicher Güter bremsen, ein 365-Euro-BVG-Ticket einführen, Hartz IV abschaffen. Und: ein solidarisches Grundeinkommen einführen. Ist im Grunde sowas wie früher der öffentliche Beschäftigungssektor. Klingt aber geiler. Weil Müller populistisch beim bedingungslosen Grundeinkommen wildert. Ein Pilotprojekt läuft.

Müllers Linksschwenk Will jetzt neuerdings den „Sozialstaat 2.0“. Ist nur halt kein Kevin Kühnert. Sähe im Hoodie auch komisch aus. Hat es außerdem nicht so mit Twitter. Wird dann immer noch weiter links überholt. Zum Beispiel beim Mietendeckel. Eigentlich eine SPD-Idee zum fünfjährigen Einfrieren der Wohnkosten. Lompschers Haus bog sie smart zur breitwandigen Mietsenkungs-Offensive um. Müller stritt um eine Entschärfung. Und muss jetzt bangen, ob der Deckel vor den Gerichten Bestand hat. Alles sehr ungewiss.

Müllers Zukunft Noch einmal fünf Müllerjahre? 2021 steht die nächste Abgeordnetenhauswahl an. Wird sich Michael Müller die Tortur wieder antun? Oder will er doch in den Bundestag? Eine Alternative gäbe es jetzt. Wenn es jemandem zugetraut wird, für die SPD überhaupt noch Wahlen zu wuppen, dann Frau Immer-noch-Doktor Franziska Giffey.

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