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Quereinstieg in den Lehrerberuf kommt in Berlin immer häufiger vor

Lehren für Anfänger: Berlins Schulen planen inzwischen ­selbstverständlich mit Quereinsteigern. Unsere Autorin hat sich für diesen Weg ­entschieden und ist vom Journalismus in die Grundschule gewechselt

Foto: imago/ fStop Images

Kurz vor den Sommerferien ist es rituell hektisch in Berlins Schulleitungen: Personal-Lücken müssen geschlossen werden. Wer übernimmt die Klasse der schwangeren Lehrerin? Wer ersetzt die Klassenleitung, die ins Sabbatical geht? Und wer führt die Klasse, die in Zeiten wachsender Schülerzahlen neu eröffnet wird? Jetzt kommen auch wieder Quereinsteiger ins Spiel. Ob die Lehrkräfte ohne reguläres Lehramtsstudium nun Fluch oder Segen für die jetzige Schullandschaft sind, wird kontrovers diskutiert. Fakt ist: Ohne sie kommen Berlins Grundschulen zurzeit und auch in den kommenden Jahren nicht aus.

Ich selbst blicke gerade auf mein erstes Halbjahr als angestellte Grundschullehrerin zurück, als Quereinsteigerin. Damals hat meine Schule das erste Mal mit Quereinsteigern geplant. Es werden weitere Male folgen. Deutsch, Kunst und Musik sind meine Fächer, die ich einer jahrgangsgemischten Gruppe der Klassenstufen 1 bis 3 nahegebracht habe. Eine intensive Zeit, mancher sagt: Das erste Schuljahr als frischgebackene Lehrerin ist wie „das zweite Referendariat“.

Steht man allein vor der Klasse, in meinem Fall in einer sogenannten Brennpunkt-Schule, begegnen einem alle Themen des Berliner Lehreralltags. Es müssen schnell die möglichst richtigen Entscheidungen getroffen werden: Wie bringe ich Ruhe in eine wuselige Klasse? Was tun bei Kindern, die oft stören? Wie viele verschiedene Aufgabenarten bereite ich vor, um die Stärksten und die Schwächsten gleichermaßen zu fördern? Und wie interpretiere ich den Gedanken der „Inklusion“? Indem ich Kinder mit besonderem Förderbedarf möglichst in der eigenen Klasse halte – oder indem ich sie in hierfür angebotene Teil-Lerngruppen schicke?

Mit mir gemeinsam sind vor zwei Jahren rund 30 andere Lehreranwärter ins Referendariat gestartet. Davon waren 20 Quereinsteiger und nur zehn reguläre ehemalige Lehramtsstudenten, die jüngsten waren 25 Jahre alt, der älteste 53. Eine illustre Runde: Da traf die Fernsehredakteurin auf den Historiker, die Entwicklungshelferin auf den Fahrradmechaniker mit Anglistik-Erststudium, der Teamleiter beim Onlinewarenhaus auf den promovierten Archäologen, auf Journalisten, Erzieherinnen oder Kinderpsychologen.

Die meisten in der Runde kamen übrigens nicht über den offiziellen Weg in ihre Ausbildungsschulen. Diesen findet man etwa, wenn man im Internet „Lehrer werden Berlin“ googelt. Dort heißt es: „Ein Quereinstieg in den Lehrerberuf ist nur möglich, wenn es für das Unterrichtsfach, das Ihrem Studienabschluss entspricht, einen Bedarf an den Schulen gibt.“ Mit Studien wie Kommunikationswissenschaften, Erziehungswissenschaften oder Produktdesign hat man da schlechte Karten. Auch mir schloss sich bei meinem ersten Anlauf vor einigen Jahren nach wenigen Sätzen die Tür: „Filmwissenschaften ist kein Schulfach. Damit kommen sie für eine Bewerbung nicht in Betracht.“ Meine brav zusammengetragenen Studiennachweise aus früheren Dekaden: scheinbar nutzlos. Ganz anders bei einer Bekannten von mir, einer studierten Musikwissenschaftlerin. Musik gilt in Berlin als „Mangelfach“, sie startete direkt in den Vorbereitungsdienst – und ist heute Leiterin ihrer ersten eigenen Klasse.

Doch auch ohne „Mangelfach“ in der Ausbildungsbiografie gibt es einen Weg in den Schuldienst. Der führt, wie so oft, über den persönlichen Kontakt, nämlich zu einer Schulleitung, die den gemeinsamen Weg mit der Bewerberin gehen will. An den offiziellen Bewerbungsrunden jeweils ein halbes Jahr vor dem folgenden Schulhalbjahr – vulgo: „Castings“ – führt dieser Pfad vorbei. Wird nämlich eine Schulleitung bei den offiziellen Castingrunden der Laufbahnbewerber und Quereinsteiger mit Mangelfächern nicht „fündig“, kann sie dem Senat einen eigenen Bewerber vorschlagen. Dann kommt es zu einer „Einzelfallprüfung“.

Ein gutes Argument für die prüfenden Stellen – zunächst die zuständige regionale Schulaufsicht, später der Senat – kann ein bereits vorhandener Arbeitszusammenhang sein. Die Bewerberin hat sich vielleicht schon als Vertretungslehrerin an der Schule verdient gemacht und wurde von der Schule über das individuelle „Personalkostenbudget“ beschäftigt, kurz als „PKB-Lehrkraft“. Vielleicht hat sich die Bewerberin als externe Mitarbeiterin schon bewährt, sei es als Lebenskunde-Lehrerin oder Theaterpädagogin.

Andere in meinem Ausbildungsseminar sind direkt auf einzelne Schulleitungen zugegangen. Sind diese grundsätzlich offen für die Mitarbeit von Quereinsteigern, bieten sie die Möglichkeit an, zu hospitieren und sich das Geschehen im Klassenraum einmal aus der Nähe anzusehen. Sind sich beide Seiten einig, gibt zudem die regionale Schulaufsicht grünes Licht. Ist auch der Senat mit der Qualifikation aus dem Erststudium einverstanden, kann es losgehen. In meinem Fall wurden Studiennachweise aus meinen damaligen Nebenfächern Germanistik und Kunstpädagogik als Qualifikationen für die Fächer Deutsch und Kunst anerkannt. Andere Bewerber müssen noch eine Zwischenrunde einschieben. Sie studieren in den vom Senat organisierten Fachseminaren ein bis zwei Fächer nach. Das kann nochmal ein bis zwei Jahre dauern: nicht gerade eine kleine Investition.

Eher selten kommt das vor, wovon so oft in dramatischem Tonfall zu lesen ist: dass vollkommen ahnungslose Menschen in die Klassen stolpern oder ohne Vorerfahrung eine Klassenleitung übernehmen. In meinem Ausbildungsumfeld gab es solche Fälle überhaupt nicht – sie wären in der Tat alles andere als ratsam, für keinen der Beteiligten. Meistens läuft es mit den Schulen und ihren Quereinsteigern rund. Die einen finden bessere Bedingungen vor und lernen von engagierten Mentorinnen. Andere müssen sich mit wechselnden ihnen zugeordneten Kollegen durchkämpfen oder sind weitgehend auf sich selbst gestellt.

Von meinen 20 Mit-Quereinsteigern schafften dieses Jahr fast alle die Staatsprüfung; zwei hatten vorab das Handtuch geworfen und sich doch für ihre bisherigen Tätigkeiten entschieden. Grund war das riesige Arbeits- und Ausbildungspensum, das im berufsbegleitenden Vorbereitungsdienst gefordert ist und mitunter zum Stresstest wird; ganz besonders für Anwärter mit eigener Familie. Die Krux ist nicht zuletzt die Größe der Stadt und die oft entlegene Lage der senatseigenen Seminarräume: Oft musste ich winkend aus der Klasse joggen, um es pünktlich zum Seminar-Ort nach Lichtenrade zu schaffen.

Die vielfältige Kritik von allen Seiten – von Mentoren, Fachseminarleitern, Kollegen – ist natürlich hilfreich. Gleichzeitig ist so manche Detailkritik nach einer halbwegs ins Ziel gelaufenen Vorführstunde auch zu viel des Guten. „Verwenden Sie nächstes Mal bitte matte Laminierfolien statt spiegelnder“, „Sagen Sie zur Begrüßung bitte ‚Liebe Kinder!‘ und nicht ‚Liebe 4b!‘“. Teils braucht es da ein dickes Fell, besonders wenn der nächste Mathe-Unterrichtsbesuch bereits übermorgen stattfindet.

Das A und O für ein beidseitiges Gelingen des Quereinstiegs ist die aktive Betreuung seitens der Schule. Wer möglichst viel mit einer erfahrenen Mentorin im Doppel in den Klassen zubringt, lernt das Wichtigste durch Abschauen und Nachahmen. Wie ist die Ansprache an die Schüler? Wie geht die Lehrerin mit Störungen um? Wie ist der Raum organisiert?

Die verbindliche Begleitung von Quereinsteigern durch Mentoren bedeutet fürs Kollegium zwar eine zusätzliche Belastung. Aber im gelingenden Fall trägt der Berufsneuling später seinerseits zur Entlastung der Lehrerschaft bei. Dann können idealerweise auch Extra-Fertigkeiten aus dem Vorleben ins Spiel kommen: Von dem ehemaligen Fahrradmechaniker höre ich zum Beispiel, dass er eine offene Werkstatt als AG anbietet. Der Zulauf ist riesig.

Lehrer werden per Quereinstieg

Wer ein Lehramtsstudium absolviert hat, geht danach ins Referendariat: die Phase, in der eigener Unterricht in der Ausbildungsschule erprobt wird. Bei Quereinsteigern heißt das „Ref“ korrekt „berufsbegleitender Vorbereitungsdienst“. Ihnen werden Leistungen aus dem Erststudium anerkannt. Jeweils ein halbes Jahr vor dem nächsten Halbjahr schreibt der Senat online Bewerbungsrunden aus und benennt „Mangelfächer“, wie beispielsweise Mathematik oder Musik. Zugelassen werden nur Bewerber mit entsprechenden Studiennachweisen.Ein weiterer Weg auch ohne „Mangelfach“ führt direkt über eine Schulleitung, die den Quereinsteiger binden will. Sie kann bei geeigneten Kandidaten eine Einzelfallprüfung beim Senat initiieren.

Ein weiterer Weg auch ohne „Mangelfach“ führt direkt über eine Schulleitung, die den Quereinsteiger binden will. Sie kann bei geeigneten Kandidaten eine Einzelfallprüfung beim Senat initiieren.

Quereinsteiger haben mehr Stunden mit eigenem Unterricht zu leisten: 19 Wochenstunden bei Vollzeit. Hinzu kommen neun Wochenstunden in Seminaren, die vom Senat organisiert werden: Fachseminare in Deutsch, Mathematik und einem dritten Wahlfach. Hinzu kommt das Hauptseminar zu allgemeinen rechtlichen, didaktischen und pädagogischen Fragen.

In der Ausbildung sind 15 Unterrichtsbesuche durch die Seminarleiter zu absolvieren, samt schriftlicher Stundenentwürfe und Analysegespräche; außerdem zwei Modulprüfungen zu unterrichtspraktischen Themen.

Referendariat oder Vorbereitungsdienst enden nach einer Regelzeit von anderthalb Jahren mit der Staatsprüfung. Eine angestellte Grundschullehrerin in Berlin verdient anschließend bis zu 5.450 Euro brutto, mehr als in den anderen Bundesländern.

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