Das Zentrum für Politische Schönheit hat angeblich Bodenproben mit menschlichen Überresten von Holocaust-Opfern nach Berlin gebracht und in einer Installation vor dem Reichstag verarbeitet. Sie sollte an den Faschismus erinnern und vor einer neuen rechten Gefahr mahnen. Dafür hagelt es Kritik. Das halte ich für falsch. Ein Kommentar von Jacek Slaski
Die Bundesregierung, der Zentralrat der Juden und andere jüdische Verbände haben die Aktion des Zentrums für Politische Schönheit verurteilt. Eine Aktion, die an den Umgang mit den ermordeten Juden erinnern soll, die vor politischer Beschwichtigung und Unterschätzung rechtsradikaler Tendenzen mahnt und die einen Bogen spannt, von der Nazizeit bis zur Gegenwart. Denn auch heute ist wieder eine rechte Partei auf dem Vormarsch und auch heute existieren Teile des politischen Spektrums, die die Gefahr verkennen und zur Normalisierung aufrufen. Genau diese Haltung hat 1932/1933 zur Machtübernahme der NSDAP geführt. Mit drastischen Bildern griffen die Aktionskünstler die Situation auf und forderten eine Debatte, die nun aus der Bahn geraten ist.
Die Totenruhe der Ermordeten sei gestört und die Opfer wären instrumentalisiert, heißt es. Im „Spiegel“ spricht Veronique Brüggemann von „Grabschändung“ und „Respektlosigkeit“. Stimmt das? Der Bund nennt es „pietätlos und geschichtsvergessen“. Es ist genau das Gegenteil von Geschichtsvergessenheit, es ist viel mehr eine kaum zu ertragende Art, die verdrängte Geschichte ins Hier und Jetzt zu zerren. Und Grabschändung!? Es waren keine Gräber, die die Aktivisten angebohrt haben, es waren Bodenproben aus der Umgebung von Auschwitz und anderen Vernichtungslagern. Nichts davon befindet sich in Berlin und ist Teil der Installation.
Die Geschichte stimmt aber. Bis heute befinden sich im kilometerweiten Radius um die einstigen Todesfabriken tonnenweise menschliche Überreste der Opfer im Erdreich und in den Flüssen. Die Asche der Verbrannten wurde wie Industrieabfall entsorgt. Es war der Schlusspunkt einer mörderischen Logik, deren Ziel die Ausrottung der Juden war. Auch politische Gegner, Sinti und Roma, Polen und Kommunisten waren unter den Opfern. Diese Menschen wurden ohne Prozess und ohne Rechte ausgelöscht. Ihre Leichen waren eine störende Konsequenz, die beseitigt werden musste. Ohne Zeremonie und ohne religiöses Ritual wurden sie verscharrt. Kein Rabbiner und Priester sprach ein Wort und weder Angehörige noch Freunde bekamen die Gelegenheit zum Abschied. Namenlos, anonym und enthumanisiert sind sie verschwunden. Das sind keine Gräber, keine Friedhöfe, das sind Abfallhalden der Nazis. Die Totenruhe ist im Judentum von besonderer Bedeutung, doch haben die KZ-Toten diese jemals erfahren? Ich bezweifle es.
Auch meine Vorfahren sind dort verscharrt worden – Polen wie Juden – auch sie haben keine Ruhe und keine Gräber bekommen. Diese biografische Tatsache macht mich nicht zum Experten, dennoch macht sie mich zum direkt Betroffenen, ob ich will oder nicht. Vielleicht, wenn es auch unwahrscheinlich ist, befindet sich in der Gedenksäule des ZPS die DNA meiner Urgroßmutter, die 1944 in Auschwitz ermordet wurde. Sollte es so sein, ich hätte damit kein Problem. Laut ZPS stammt der in Berlin verwendete Bohrkern aber sowieso aus Deutschland und es befinden sich darin keine menschlichen Überreste.
Dennoch, das Thema ist da. Und auch an den finalen Umgang der Nazis mit seinen Opfern und ihren Überresten zu erinnern, war eine Absicht des Zentrums für Politische Schönheit. Stattdessen richtet sich jetzt die Empörung auf die Aktion und die Aktivisten selbst, auf den vermeintlichen Tatbestand der Grabschändung und Störung der Totenruhe. Diese Kritik lenkt von der eigentlichen Intention der Aktion ab.
Solche Reaktionen erzählen auch etwas darüber, wie man 2019 mit dem Holocaust in Deutschland umgeht. Es gibt zwar eine offizielle Gedenkkultur, die ritualisiert und staatstragend zelebriert wird. Es darf an diesem Punkt aber auch mal die Frage gestellt werden, ob das heute noch irgendjemanden tatsächlich erreicht. Und alles, was darüber hinaus geht, ist – wie es scheint – nicht erwünscht. Eine Aktion wie die des ZPS stört, sie ist hässlich, ein Dorn im weichen Fleisch der Gesellschaft. Die Kritik an ihr erfolgte in solcher Vehemenz, dass sich selbst das radikal operierende ZPS entschuldigte und zurückruderte.
Die Warnung des ZPS wurde nicht gehört, vom Thema wurde abgelenkt. Bedenklich ist die Haltung der politischen Mitte und auch die Rolle der jüdischen Verbände, allen voran die des Zentralrats halte ich für fragwürdig. Der Zentralrat hat damit der Sache einen Bärendienst erwiesen und eine Art Alibi geschaffen. Eine Argumentationslinie wurde etabliert, mit der sich die Aktion und ihre Inhalte leicht wegwischen lassen: „Schließlich sieht es der Zentralrat auch so, Thema beendet.“ Selbst als liberaler Geist gerät man schnell in eine rhetorische Notlage und zieht den Kopf lieber ein. Die AfD und Kreise rechts davon lachen sich vermutlich ins Fäustchen und es raunt an den Stammtischen.
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