Unser Autor war auf kulinarischer Recherche in der kulinarischsten aller chinesischen Provinzen. Und wurde vor allem beeindruckt davon, wie authentisch die sichuanische Küche längst in Berlin angekommen ist
„Wenn etwas den Chinesen zu völligem Ernst zwingt, so ist es weder die Religion noch die Bildung, sondern das Essen“, bemerkte der Autor Lin Yutang in seinem Buch „Weisheiten des lächelnden Lebens“. Und tatsächlich ist die chinesische Küche in Berlin inzwischen prächtig präsent. Vor Jahren noch verabredeten sich die Leute zum Abendessen im China-Restaurant. Heute haben Genießer eine viel speziellere Bandbreite an chinesischen Küchen, sie entscheiden sich für die Kanton-Küche, Spezialitäten aus Hongkong oder Taiwan, Köstlichkeiten aus Hunan oder die Dongbei Küche aus dem Nordosten des Landes.
Am liebsten aber entscheiden wir uns für die Küche der Provinz Sichuan im Südwesten Chinas, die passenderweise auch den Beinamen „Land des Überflusses“ trägt. Auf Überlandfahrten ahnt man die Fruchtbarkeit der Region, die sich wenig später in den Töpfen und Schalen wiederfindet.
Direktflüge verbinden Deutschland mit Chengdu, der Hauptstadt der Provinz Sichuan. 16 Millionen Einwohner sorgen für ein quirliges Metropolenflair in einer der am dynamischsten wachsenden Städte der Welt, die insbesondere als Zentrum der Pandazucht berühmt ist, aber auch für Bauwerke wie das New Century Global Center, das flächenmäßig größte Gebäude der Welt. Auffällig der Kontrast und zugleich das Miteinander von Modernität und Traditionellem. Beim Gang durch die Straßen und Gassen fallen die zahllosen Imbisse, Restaurants und Marktstände auf. Der Eindruck trügt kaum, dass die Einheimischen rund um die Uhr dem Essen frönen. Entenfüße, Hasenköpfe, facettenreich eingelegte Gemüse, Nudeln in allen Variationen und allerlei Suppen mit Rindfleisch oder Teigwaren.
Die Marktstände quellen über vor frischen und auch zubereiteten Spezialitäten. Melonen, Kiwifrüchte, Teigwaren mit roter Bohnenpaste. Dazu eine Gemüseauswahl, wie wir es hierzulande nie erleben könnten. Und nach dem Markteinkauf zücken in Chengdu selbst die Senioren ihr Smartphone, scannen den QR-Code, der über dem Stand baumelt, um auf diese Weise zu bezahlen.
Ureigen ist der Sichuan-Küche ihre markante Schärfe. Insbesondere der Sichuan-Pfeffer ist allgegenwärtig. Die Gattung ist den Zitruspflanzen verwandter als dem Schwarzen Pfeffer und verströmt neben der etwas lähmend-elektrisierenden Schärfe ein leichtes Zitrusaroma. Auch Chilischoten und -öle und scharfe, fermentierte Pasten würzen die Speisen mannigfaltig. Auf den Tischen teilen die speisenden Runden zudem gerne eine Flasche Baijiu, den traditionellen klaren Schnaps der Region. Zumeist aus Hirse destilliert und fermentiert in uralten Gruben. Das Destillat reift dann in Tonkrügen weiter und wird in verschiedenen Geschmacks- und Preiskategorien geschätzt.
Es begann in der Kantstraße
Das Faszinierende an dem Getränk ist die Aromastruktur mit Süße, Säure und einem Hauch Bitteres. Die Aromatik ist für den westlichen Gaumen ungewohnt und zugleich eine Entdeckungsreise mit Ananas, Mandel und floralen Noten. „Zuweilen treten auch Aromen von Anis und ein funky Hauch Käse zutage“, ergänzt Mathias Hegerr. Der studierte Sinologe lebte lange in China und machte Chinesen mit deutschem Doppelkorn bekannt. Nun trägt er Baijiu zurück in die Berliner Heimat. Gerne verkehrt er in der stylischen Atmosphäre des The Tree an der Brunnenstraße und empfiehlt die authentische Qualität der hausgemachten Nudeln und die pikanten Würzungen, die seine Erinnerungen an China lebendig halten.
Auf Nudeln spezialisiert hat sich auch das Liu Nudelhaus in der Kronenstraße. Noch sind die Öffnungszeiten verwirrend, aber die Schärfegrade bei der Zubereitung wären in Chengdu auch nicht anders.
Tatsächlich kann man viele traditionelle Gerichte der Sichuan-Küche in Berlin wunderbar authentisch genießen. Und das bereits seit den 1920er-Jahren, wie die Autorin Dagmar Yu-Dembski in ihrem Buch „Chinesen in Berlin“ berichtet: „1923 hatte in der Kantstraße 130b ein Herr Wen, ehemaliger Koch der chinesischen Gesandtschaft, ein erstklassiges Restaurant eröffnet.“ Das Tientsin wurde zum Treffpunkt für alle Asiaten in Berlin – und begründete den Ruf der Kantstraße als die asiatischste Straße nicht nur von Berlin.
Im Nin Hao an der Charlottenburger Bismarckstraße sind abends stets die Scheiben beschlagen, da auf den Tischen die Hot Pots dampfen. Jenes chinesische Fondue, meist mit einer scharfen und einer milden Brühe, in der Gemüse und Fleischsorten köcheln. Auch das Tian Fu in Wilmersdorf bietet diese Sichuan-Tradition auf köstliche Weise an. Herausragend sind hier etwa die Dim Sum, die gedämpften Teigtaschen. Die Füllungen haben Biss und können deshalb Geschmack entwickeln.
Im Hot Spot nahe dem Adenauerplatz liebt das Betreiberpaar Wu die Schärfe der Heimat und bereitet die Gerichte noch einmal aufwendiger und handwerklicher zu: So wird die weitgehend entbeinte Ente schon einmal über Tee gegart, Glutamat benutzt man selbstredend nicht. Das Hot Spot ist berühmt für seine Weinkarte, insbesondere für die herausragend korrespondierenden deutschen Rieslinge. Doch lassen sich auch die Besonderheiten diverser Baijiu-Varianten erproben. Keine Selbstverständlichkeit. Viele chinesische Gastronomen servieren ihren Gästen eher einen gefälligen Pflaumenwein als die authentische, wenngleich sperrigere Spirituose Sichuans.
Sichuan ist eine der köstlichsten Regionen der Erde und glücklicherweise sind einige der Köstlichkeiten auch in Berlin zu haben – auf allerhöchstem Niveau. Wie lautet doch eine weitere chinesische Redensart? Für das Volk bedeutet das Essen den Himmel!
WICHTIGE ADRESSEN
Tian Fu Uhlandstr. 142, Charlottenburg, www.tianfu.de
The TreeBrunnenstr. 167, Mitte, bei Facebook: The Tree Berlin
Nin HaoBismarckstr. 24, Charlottenburg, www.inhao-china-restaurant.de
Liu Nudelhaus (Chuan Chuan Xiang), Kronenstr. 72, Mitte
Hot SpotEisenzahnstr. 66, Wilmersdorf, www.restaurant-hotspot.de