Gastrotrends

Essen mit Haltung

Muss denn heutzutage alles immerzu politisch sein? Muss es. Zumindest wenn es nach einer neuen Generation von Lebensmittelaktivist*innen geht. Wir haben mit zwei der einflussreichsten Figuren dieser Bewegung gesprochen und stellen fest: das Kulinarische muss politisch sein!

Von wegen Statusteller: Muschelesser*in vor der Neuköllner Beuster Bar. Foto: F. Anthea Schaap

Süßigkeiten, die „süchtig“ machen. „Kaffir-Limettenblätter“. Der Sarotti-„Mohr“. „Authentisch“. „Frauenbier“. Und: „Kalorien bitte erst morgen zählen!“

Geht es nach der Soleil Ho, sind das Begriffe, die wir nicht mehr in Texten übers Essen und über die Gastronomie lesen sollten. Oder besser gesagt: die sie aus ihrem eigenen Vokabular getrichen hat. Ho ist nach Stationen als gefeierte Schriftstellerin, Köchin und Podcastproduzentin seit diesem Jahr die neue Chefkritikerin des San Francisco Chronicle. Zwar war sie in der kulinarischen Szene Kaliforniens bereits bekannt, doch ihr Antrittstext für die altehrwürdige Publikation verschaffte ihr schlagartig eine große Bühne: statt einer klassischen Kritik veröffentlichte sie eine Art Glossar problematischer Sprache: „Words you’ll never see me use in restaurant reviews”. Soleil Ho dazu: „Ich wollte ich die Leser*innen gleich wissen lassen, wer ich bin und für welche Werte ich einstehe.”

Dabei liest sich ihr Text keineswegs trocken und belehrend, sondern eher charmant, witzig – und ziemlich nachvollziehbar. So sei es nicht nur übertrieben dramatisch, eine Schale Bohnendip mit Crack zu vergleichen, vielmehr sei es ignorant angesichts der Tatsache, dass diese Droge ganze Nachbarschaften zerstört habe. Oder wenn es um das eingangs erwähnte Limettenblättchen geht: das Wörtchen “Kaffir-“ ist rassistischen Ursprungs, warum daran festhalten, wenn der traditionelle Name Makrut zudem auch noch präziser sei? Und was sei überhaupt weiblich an einem Salat, sollte nicht jede Person egal welchen Geschlechts etwas essen können, ohne gleich eine Identitätskrise angedichtet zu bekommen? Ho dekliniert ihre Liste anhand der Kategorien Psychologie, Rassismus, Gender und Wirtschaft, sie argumentiert sachlich, warum und wie sie sich in Zukunft anders ausdrücken möchte. „Ich dachte am Anfang, dass mich nur das Wort ethnisch störe”, lacht sie, „aber dann fielen mir so viele weitere ein! Ich denke, es ist erfrischend, einen Schritt zurückzugehen und darüber nachzudenken, warum wir welche Entscheidungen treffen.”

Viele Menschen sind mistrauisch, wenn sich das Politische in Dinge einmischt, die eigentlich Freude bereiten

Soleil Ho
Gängige Sprachbilder hinterfragen: Restaurantkritikerin Soleil Ho. Foto: Celeste Noche

Ho ist inzwischen eine der international bekanntesten Repräsentantinnen einer neuen Generation an Autor*innen, Köch*innen und anderen Gastronomiearbeiter*innen, die das Politische und das Kulinarische nicht mehr trennen wollen – und können. „Ich glaube, dass Politik in jedem kulturellen Produktionsprozess präsent ist”, meint Ho dazu. Es sei eben eine bewusste oder unbewusste Entscheidung, sich mit diesem Aspekt nicht auseinanderzusetzen. „Viele Menschen sind misstrauisch, wenn sich das Politische einmischt in die Dinge, die uns Vergnügen bereiten. Aber die Wahrheit ist doch, dass Ideologie schon längst in allem steckt und alles prägt.” Ideologien, die sich eben zum Beispiel in unserer Wortwahl manifestieren, oder in Überzeugungen, die wir nicht mehr hinterfragen. Für Soleil Ho ist das Schreiben über Essen der Weg, größere Debatten anzustoßen: „Essen ist ein Zugang, um Kultur, Ökonomie, Politik und Psychologie zu verstehen; es ist ein großartiger Weg um Gespräche über all diese Dinge zu starten, weil einfach jeder eben isst!”

Die nächste Jamie Oliver

Eine der klassischen Überzeugungen: eine faire Repräsentation von Frauen in der Branche sei schon schwierig, geschweige denn von Menschen, die von mehrfacher Diskriminierung betroffen sind. Es gäbe eben, so heißt es dann gerne, nicht die queeren Köch*innen mit Migrationshintergrund, die zum nächsten Jamie Oliver oder Tim Mälzer taugen. Quatsch, meint dazu Julia Turshen, Gründerin der Plattform Equity at the Table (EATT). Letztes Jahr sprach sie hunderte von Frauen* mit Migrationsgeschichte und aus der queeren Community an, um eine internationale Datenbank aufzubauen. Dank ihrer frei zugänglichen Datenbank sollten künftig etwa Podiumsdiskussionen, auf denen wieder nur männliche Sprecher sitzen, der Vergangenheit angehören.

Diversität kommunizieren: Food-Aktivistin Julia Trushen. Foto: Khadija Farah

Es ist wahrscheinlich nicht überraschend, dass viele dieser Aktivist*innen selbst Diskriminierungserfahrungen machen mussten – sie hatten nie die komfortable Position, allein aufgrund ihrer Leistung beurteilt zu werden. Ihre Haltung ist auch eine Konsequenz von Problemen, die in der Gastronomie herrschen: strukturelle Diskriminierung, Sexismus, Rassismus, Klassismus oder Homophobie, um nur einige zu nennen. Aber ihre Positionen gehen über die eigenen Erfahrungen hinaus: „Ich denke, für uns alle als Menschen, sollte der Klimawandel die dringendste Aufgabe sein”, erklärt Ho, „aber auch im sogenannten liberalen Westen gibt es darüber hinaus noch immer genügend Dinge, an denen wir politisch arbeiten müssen. Trushen stimmt zu: „Uns sollte bewusst sein, dass jede Entscheidung, die wir über unser Essen treffen – ob es nun darum geht wo wir unser Gemüse kaufen, in welches Restaurant wir gehen, oder worüber wir am Abendbrottisch sprechen – eine politische Entscheidung ist. Wer andere Menschen bewirtet, hat mindestens für diesen Moment Einfluss auf sie. Wir sollten und müssen diesen Einfluss nutzen.”

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