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Berlin, warum bist du eigentlich so dreckig?

„Guten Morgen Berlin, du kannst so hässlich sein, so dreckig und grau“ – die ikonische Songzeile von Peter Fox beschreibt die Hauptstadt leider auch heute noch ziemlich treffend. Mal ehrlich, Berlin, warum bist du so dreckig? Andere Großstädte Deutschlands wie München, Hamburg oder Köln kriegen es doch auch hin. Unsere Autorin ist dem Schmutz, Sperrmüll und Dreck auf der Spur – und erklärt, warum es in Berlin mit der Sauberkeit hapert.

Bei einem Spaziergang durch Kreuzberg kommt man an Sperrmüll nicht vorbei. Bilder, die in Hamburg oder München unvorstellbar sind, gehören zum Berliner Stadtbild selbstverständlich dazu. Foto: Imago/Jürgen Ritter

Überraschung: Berlin, die „Müllmetropole“, ist dreckig

Jetzt, wo er häufiger zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs sei, falle ihm auf, „dass die Stadt schmutzig ist.“ Das sagte Michael Müller (SPD), ehemaliger Regierender Bürgermeister von Berlin, Anfang 2023 in einem Interview mit dem „Spiegel“. Wer hätte das gedacht? Er findet das „ganz merkwürdig“, sagt er. Was für Herrn Müller nach sieben Jahren im Dienstwagen fahren anscheinend eine Überraschung war, ist für die gewöhnlichen Berliner:innen Alltag.

Überquellende Mülleimer, nicht weggeräumte Hundehaufen, mit Zigarettenstummeln übersäte Gehwege und Einwegpackungen auf den Grünflächen gehören zum Stadtbild wie Spätis und die blauen Schilder der Berliner U-Bahn-Eingänge. Die „Süddeutsche Zeitung“ sagt, Berlin sei die „Müllmetropole Deutschlands“. Und so gern man auch etwas anderes behaupten würde, werden wohl alle, die in Berlin leben, zugeben: Ja, die Stadt hat ein Müllproblem.

Unterschieden werden muss beim Thema Vermüllung zwischen Littering, dem rechtswidrigen Wegwerfen von Kleinabfällen, und illegaler Ablagerung, dem ebenfalls verbotenen Ablagern von größeren Abfällen. Berlin hat mit beiden Fällen zu kämpfen.

Abfall liegt vor einem überfüllten Mülleimer im Mauerpark in Prenzlauer Berg. Foto: Imago/Olaf Schuelke

Littering: Wenn die Bequemlichkeit siegt

Ein Pizzakarton hier, eine leere Durstlöscher-Verpackung da. Littering ist eine große Belastung für die Sauberkeit Berlins. Nach Einschätzung der Berliner Stadtreinigung (BSR) hat das „Littern“ von To-Go-Verpackungen in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Es werden immer mehr Speisen und Getränke für unterwegs verkauft. Praktisch – zumindest wenn der anfallende Müll von den Verbraucher:innen auch wieder entsorgt würde, anstatt einfach liegen gelassen zu werden. Doch leider gibt es in Berlin viele Menschen, die Müll achtlos auf die Straße werfen, die leere Essensbox auf der Wiese liegen lassen oder denen der Weg bis zum nächsten Mülleimer für den Zigarettenstummel zu weit ist.

Littering: Müllberge in der Hasenheide in Neukölln. Nach einem Tag im Park lassen viele Berliner:innen ihre leeren Glasflaschen, Essensreste und Verpackungsmüll einfach auf der Wiese liegen. Eine Gefahr für Hunde, andere Tiere und spielende Kinder. Foto: Imago/Jürgen Held

„Dieses rücksichtslose Verhalten ist häufig der eigenen Bequemlichkeit geschuldet – und auch ein Zeichen mangelnden Respekts für den öffentlichen Raum sowie für unsere Reinigungskräfte, welche die Littering-Objekte im Zuge der regelmäßigen Straßenreinigung entfernen“, sagt Sebastian Harnisch, Pressesprecher der BSR.

Was vielen gar nicht bewusst ist: Wer beim Littering erwischt wird, muss eine Geldstrafe zahlen. Bis zu 120 Euro für auf den Boden geworfene Zigaretten oder Kaugummis. Nicht beseitigter Hundekot in Grünanlagen kostet sogar bis zu 1500 Euro. Doch laut der Senatsverwaltung für Umwelt sind trotz der Erhöhung der Bußgelder im Jahr 2019 keine signifikanten Änderungen im Verhalten der Bürger:innen festzustellen. Nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, wie gering die Chance ist, erwischt zu werden.

BSR-Mülleimer: „Alle fünf Minuten verliebt sich Abfall in diesen Eimer.“

Ein Mülleimer der BSR, der die Berliner:innen mit einem Augenzwinkern dazu auffordert ihren Kaugummi doch bitte in die Tonne, statt auf den Gehweg zu werfen. Foto: Imago/Manfred Segerer

Alle Berliner:innen kennen sie: Die leuchtend orangefarbenen Mülleimer der BSR. Die Stadtreinigung setzt bei ihnen auf Humor: Witzige Sprüche auf den Mülleimern wie „Wirf langsam“, „Offen für alles“ oder „Für die Zigarette danach“ sollen einen nicht nur zum Schmunzeln bringen, sondern auch einen Anreiz schaffen, die ironisch bedruckten Abfalleimer tatsächlich zu benutzen. Auch ortsbezogene Wortspiele wie „Friedrichsrein“, „Verschöneberger“ oder vor Universitäts-Gebäuden aufgestellte „Kommüllitonne“-Mülleimer dürfen nicht fehlen. „Mit unseren Kampagnen zeigen wir, dass Abfalltrennung und Engagement für unsere Stadt Spaß machen können“, heißt es von Seiten der BSR.

Auch die Müllautos der BSR sind mit witzigen Sprüchen bedruckt. Die Berliner:innen lachen zwar über den Humor des Marketings der Stadtreinigung, zu mehr Verantwortungsbewusstsein und Sauberkeit verleitet es sie aber nicht. Foto: Imago/Sabeth Stickforth

Dreckiges Berlin: Zu wenig Mülleimer? Nicht ausreichend BSR-Mitarbeiter:innen?

„In Berlin gibt es insgesamt rund 27.000 BSR-Papierkörbe“, sagt Harnisch. Und obwohl das eine beachtliche Menge ist, hat man bei einem Spaziergang durch Berlin häufig das Gefühl, es sind immer noch viel zu wenige. Denn die Berliner Mülleimer sind zwar sehr witzig, aber oft auch sehr voll. Nicht selten stapelt sich um die Abfalleimer der Müll, schlichtweg, weil sie bereits überquellen. Immer noch besser, als wenn die Stadtreinigung die kreuz und quer verstreuten Abfälle erst mühsam einsammeln muss – dem Stadtbild tun die dadurch entstehenden Müllhaufen aber auch keinen Gefallen.

Überfüllte Mülleimer in einer Berliner Parkanlage. Kein schöner Anblick. Foto: Imago/Frank Sorge

Doch es braucht nicht nur mehr Mülleimer, sondern auch mehr BSR-Mitarbeiter:innen. Denn während beispielsweise die Stadtreinigung Hamburg (SRH) rund 4000 Mitarbeiter:innen beschäftigt, die rund 19.500 Mülleimer entleeren, hat die BSR rund 6000 Angestellte. In absoluten Zahlen hat Berlin einen Vorsprung – aber die Hauptstadt hat 1,8 Millionen mehr Einwohner:innen als Hamburg, ist also deutlich schlechter aufgestellt.

In Großstädten wie Hamburg oder München fließen mehr Gelder in die Anstalten des öffentlichen Rechts, die für die Säuberung der Straßen und Grünflächen verantwortlich sind. Würde der Unterfinanzierung der BSR Abhilfe geschaffen werden, so könnte die Berliner Stadtreinigung auch effektiver zu einer sauberen Hauptstadt beitragen. Das Müllproblem in Berlin ist also zu einem Großteil politischer Natur.

Illegale Ablagerungen: Wenn Sperrmüll zum Stadtbild gehört

Eine alte Matratze, ein klappriger Schreibtisch oder eine kaputte Mikrowelle stehen herrenlos auf der Straße – kein seltenes Bild in Berlin. Diese illegalen Ablagerungen sind nicht nur skurril, sondern laut der BSR auch die größte Belastung für die Stadtsauberkeit. „Denn diese lassen sich aufgrund ihrer Beschaffenheit nicht im Zuge der regelmäßigen Straßenreinigung entfernen, sondern müssen im Auftrag der Ordnungsämter von BSR oder einschlägigen Spezialfirmen aufwändig beseitigt werden“, sagt BSR-Pressesprecher Sebastian Harnisch. Zu den illegalen Ablagerungen zählt nicht nur Sperrmüll, sondern auch Autowracks oder Bauabfälle. Oft sind also nicht nur Privatpersonen, sondern auch unseriöse Bauunternehmen oder Entrümpelungsfirmen für die Vermüllung verantwortlich.

Sperrmüll liegt auf der Dunckerstraße inPrenzlauer Berg. Dort, wo gestern erst eine Matratze lag, finden sich heute oft drei weitere. „Dann kann ich meinen Kram ja auch noch dazu legen“ scheint die Devise vieler Berliner:innen zu sein. Foto: Imago/Seeliger

Auch bei der Beseitigung der Ablagerungen liegt ein politisches Effizienzproblem vor: Berlins altbekannte organisierte Unzuständigkeit. Bisher muss die BSR zur Beseitigung illegaler Ablagerungen nämlich einzeln durch die Ordnungsämter der Bezirke beauftragt werden, während für die Grünlagenreinigung die jeweiligen Grünflächenämter verantwortlich sind. Viel Bürokratie, die viel Zeit kostet. Um diesen Prozess effektiver zu gestalten, wird es im Laufe des Frühjahrs 2023 einen gesetzlichen Auftrag an die BSR zur Beseitigung der Müllablagerungen geben. „Das wird die Logistik zur Entfernung solcher Ablagerungen im Vergleich zur bisherigen Beauftragungspraxis deutlich verbessern“, lässt Harnisch verlauten. Es besteht die Hoffnung, dass diese bereits beschlossene Gesetzesänderung zu einem weniger vermüllten Stadtbild Berlins beiträgt.

Welche Berliner Bezirke sind am dreckigsten?

„In einigen Bezirken sind wir nahezu täglich unterwegs, um illegale Müllablagerungen zu entfernen“, sagt der Pressesprecher der BSR. Nach den aktuellen Zahlen aus dem Jahr 2022 war der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg mit rund 13.000 Kubikmetern Müllablagerungen erneut der am stärksten betroffene Bezirk. Gefolgt wird der Spitzenreiter von Neukölln mit knapp 9.000 Kubikmetern und Mitte mit etwa 5.000 Kubikmetern. Am wenigsten Müll wird übrigens in Treptow-Köpenick, Steglitz-Zehlendorf und Marzahn-Hellersdorf auf die Straße gestellt.

Die Beseitigung dieser Müllablagerungen kostet nicht nur wertvolle Zeit, sondern auch eine Menge Geld: Laut der BSR entstehen für die Entsorgung von rund 35.0000 Kubikmetern Müll pro Jahr durchschnittliche Kosten von etwa 5 Millionen Euro für das Land Berlin. Geld, das deutlich sinnvoller in die Finanzierung der Berliner Stadtreinigung investiert werden könnte.

Sperrmüll in Kreuzberg. Jahrelang war Neukölln der dreckigste Bezirk der Hauptstadt, doch Kreuzberg hat den ehemaligen Spitzenreiter abgelöst. Foto: Imago/Jürgen Ritter

Warum sind die Menschen in Berlin so unsauber?

Ein Grund für die Unsauberkeit der Berliner:innen ist die Anonymität. In Großstädten und eng besiedelten Wohngegenden ist nur schwer nachvollziehbar, wer denn nun den dysfunktionalen Kühlschrank oder den Müllsack voller alter Schuhe auf die Straße gestellt hat. Die Folge: Anonymität befeuert die Versuchung.

Illegale Ablagerungen werden zwar ordnungs- beziehungsweise sogar strafrechtlich verfolgt, die Wahrscheinlichkeit, dass die Mitarbeiter:innen der ebenfalls unterbesetzten Ordnungsämter bei einem Streifgang aber tatsächlich einen Müllsünder oder eine Müllsünderin auf frischer Tat ertappen, ist gering. Insbesondere, da der meiste Sperrmüll nicht tagsüber, sondern nachts auf die Straßen gestellt wird.

Zwei Mitarbeiterinnen des Berliner Ordnungsamtes auf einem Streifgang in Charlottenburg. Die Strafen für illegale Müllentsorgung sind hoch, die Wahrscheinlichkeit, Täter:innen zu fassen, dafür umso geringer. Foto: Imago/Jürgen Ritter

Legale Müllentsorgung kostet – ist das der Grund für das Sperrmüll-Problem?

Auch der Kostenfaktor verleitet viele Berliner:innen zu illegaler Müllablagerung, vor allem diejenigen, die kein Auto zur Verfügung haben. Müllentsorgung ist in Berlin nämlich nicht kostenlos, und die zusätzliche Abholung ist mit noch höheren Kosten verbunden. Wer sein altes Sofa oder die durchgelegene Matratze von der BSR abholen lassen will, muss zahlen. Und zwar nicht wenig: Die Standardgebühr beträgt bereits 100 Euro, und je nachdem, welche Gegenstände man loswerden will, fallen zusätzliche Gebühren an.

„Ach, Berlin ist doch sowieso schon dreckig“

Außerdem: Die Stadt zu vermüllen, ist offenbar ansteckend. Nach der sogenannten Broken-Windows-Theorie lädt ein verwahrlost und schmutzig aussehender Ort die Menschen dazu ein, ihn noch dreckiger zurückzulassen. Grund dafür ist die sinkende Hemmschwelle. Und ja, einen Coffee-To-Go-Becher auf einer eh schon von Müll übersäten Wiese liegenzulassen oder einen Müllsack mit ausrangierten Küchenutensilien auf das versiffte Sofa um die Ecke zu stellen, stufen viele Berliner:innen anscheinend als unerheblich ein.

Illegal entsorgter Sperrmüll in Neukölln. Alte Möbel von der BSR abholen zu lassen können sich viele Menschen in Berlin nicht leisten. Daher landet das durchgesessene Sofa oftmals auf der Straße gegenüber anstatt auf dem Recyclinghof. Foto: Imago/Sabine Gudath

Ein achselzuckendes „Ist doch sowieso schon alles dreckig“ ist das Motto vieler Bürger:innen. In einer sauberen Umgebung müsste man für Vermüllung ein deutlich belastbareres Schamgefühl und Gewissen mitbringen als in den Ecken in Kreuzberg oder Neukölln, die bereits voller Sperrmüll sind. Es ist ein Teufelskreis.

Daraus auszubrechen ist nicht leicht, entscheidend sind gleich mehrere Faktoren. Neben dem Verantwortungsbewusstsein derjenigen, die Müll produzieren, müssten die Entsorgungsangebote ausgebaut und die Stadtreinigung gestärkt werden: mehr Personal, mehr Mülleimer, mehr Recyclinghöfe, schlichtweg mehr Geld. Dass die bestehenden Regeln nur schwer durchgesetzt werden können, ist ebenfalls ein Problem. So oder so bleibt Müllentsorgung Sisyphosarbeit – auch wenn es schön wäre, wenn Peter Fox’ Songzeile in Zukunft nicht mehr ganz so zutreffend wäre wie jetzt.


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