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Ersatzfreiheitsstrafe: Initiative Freiheitsfond kauft Menschen frei

Die Initiative Freiheitsfond sammelt Spendengelder, um Menschen aus Gefängnissen freizukaufen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe für das Fahren ohne Ticket im ÖPNV absitzen. Hinter Gittern muss man dafür, wenn man die Geldstrafe nicht zahlen kann. Die Organisation möchte damit politischen Druck erzeugen, um den Umgang mit solchen Armutsdelikten grundlegend zu ändern.

Fahren ohne Fahrschein kann teuer werden, wenn man dabei erwischt wird. Im schlimmsten Fall wird dabei eine Ersatzfreiheitsstrafe fällig. Foto: Imago/Christian Spicker

Entlassung aus Ersatzfreiheitsstrafe: Freedom-Day am 15. März

Der 15. März 2023 wird für viele Menschen in Deutschland zum Tag der Befreiung. Die Initiative Freiheitsfond wird zu dem Datum auf einen Schlag so viele Menschen aus deutschen Gefängnissen befreien, wie noch nie zuvor. Keine Angst, deswegen werden nicht auf einmal Mörder:innen und Sexualstraftäter:innen frei rumlaufen, sondern lediglich Menschen, die es wagten, ohne Ticket Bus oder Bahn zu fahren und dafür eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen. Ja, auch dafür kann man ins Gefängnis kommen. Jedes Jahr sitzen aus diesem Grund Tausende Menschen ein, die sich die Geldstrafe nicht leisten können. Vorrangig betrifft das Menschen, die arbeitslos sind, jede:r Dritte ist suchtkrank und ungefähr jede:r Siebte ohne festen Wohnsitz, laut einer Studie der Soziologin Nicole Bögelein in Mecklenburg-Vorpommern.

Wenn man bei einer Ticketkontrolle rausgezogen wird, ist das für die meisten äußerst peinlich. Foto: Imago/Jürgen Ritter

Der Freiheitsfond sammelt deswegen Spendengelder, um die Strafen der Gefangenen zu zahlen, die eine Ersatzfreiheitstrafe für das Fahren ohne Ticket absitzen. Daraufhin erlangen die Menschen umgehend ihre Freiheit wieder. Angefangen hat die Initiative mit der Befreiung in Berliner Justizvollzugsanstalten, mittlerweile agieren ihre Mitglieder bundesweit. Bis jetzt wurden seit Dezember 2021 dadurch mehr als 605.000 Euro an Strafen gezahlt, 641 Personen freigekauft und damit 124 Haftjahre aufgelöst.

Damit tut man nicht nur den Betroffenen einen Gefallen, auch die Staatskasse wird entlastet. Denn ein Hafttag kostet rund 150 Euro pro Person und Tag. So konnte der Freiheitsfond mittlerweile schon 6,8 Millionen Euro an Steuergeldern einsparen.

Grundlage für die Ersatzfreiheitsstrafe ist ein Nazi-Gesetz

Dass Menschen wegen solch einer Lappalie im Gefängnis sitzen müssen, verdanken wir dem Nazi-Paragrafen 256a von 1935, der im Strafgesetzbuch für das Erschleichen von Leistungen eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr festlegt. Wer ohne Ticket in Bus oder Bahn erwischt wird, muss erst einmal das erhöhte Beförderungsentgelt von 60 Euro zahlen. Aber wer sich einen Fahrschein in erster Linie nicht leisten konnte, wird auch dafür nicht aufkommen können.

Daraufhin wird eine Strafanzeige gestellt, worauf meist ohne gerichtliche Verhandlung eine per Brief mitgeteilte Strafe verhängt wird. Hat die Person aber keinen festen Wohnsitz, wird sie das Schreiben nie erreichen. Ebenso erfahren Menschen viel zu spät vom Strafbefehl, die aufgrund von Überforderung und psychischen Krankheiten ihre Post nicht mehr öffnen. Damit bleibt ihnen die theoretische Möglichkeit verwehrt, einen Antrag zu stellen, der die Strafe in gemeinnützige Arbeit umwandelt. Zumal viele auch gar nicht in der Lage wären zu arbeiten. Also kommen sie ins Gefängnis, im Schnitt für 30 Tage. Dem „Tagesspiegel“ zufolge sitzen in Berlin jährlich rund 500 Menschen eine Ersatzfreiheitsstrafe aufgrund der Erschleichung einer Leistung ab.

In der JVA Plötzensee sitzen mitunter Menschen ein, die ihre Geldstrafe nicht zahlen konnten. Foto: IMAGO/Jürgen Ritter

Freiheitsfond kämpft gegen Kriminalisierung von Armut

Der Freiheitsfond hilft den einzelnen Menschen, möchte aber mit den Befreiungen vor allem politischen Druck erzeugen, damit das Nazi-Gesetz verschwindet. Dazu fordern sie langfristig eine kostenlose Nutzung des ÖPNV. Strafen sollen eigentlich abschreckend wirken, doch in dem Fall ist es wenig zielführend, wenn Armut dadurch kriminalisiert wird. Eine Geldstrafe, geschweige denn eine Ersatzfreiheitsstrafe, wird nichts an dem Fakt ändern, dass sich die Menschen keinen Fahrschein leisten können. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden sie wieder Bus oder Bahn ohne Ticket nutzen, allein schon, um wichtige Termine bei Ärzt:innen oder dem Jobcenter wahrzunehmen.

Mobilität durch bezahlbare Tickets ist vor allem wichtig für die gesellschaftliche Teilhabe. Die Gefängnisstrafen stürzen die Menschen dagegen in einen Teufelskreis. Oftmals wird vorgeschlagen, die Straftat zu einer Ordnungswidrigkeit herabzustufen. Dann wäre nur noch ein Bußgeld fällig. Wenn man das nicht zahlt, kann das aber auch zu einer Erzwingungshaft von bis zu sechs Wochen führen.

Eine Freiheitsstrafe bedeutet meistens einen folgenschweren Einschnitt im Leben eines Menschen. Foto: Imago/Funke Foto Services/Maurizio Gambarini

Ticketpreise müssen günstiger werden

Auch der Ampelregierung ist das Problem bekannt, sie möchte deswegen 2023 die Haftzeiten bei Ersatzfreiheitsstrafen halbieren. Damit wird sich jedoch nichts an dem grundsätzlichen Problem ändern. Vor dem prägenden Einschnitt in die Biografie durch die Inhaftierung werden die Betroffenen trotzdem nicht bewahrt. Wirkungsvoller wäre es, wenn man etwas an den Ticketpreisen oder dem Einkommen der Menschen ändert und die Tickets für alle bezahlbar macht. Eigentlich gibt es dafür Sozialtickets, deren Zukunft allerdings mit der Einführung des Deutschlandtickets für 49 Euro im Mai noch ungewiss ist. Würde es für alle bei den 49 Euro bleiben, wäre dies für Empfänger:innen des Bürgergeldes noch immer zu teuer. Denn der Regelsatz für den Verkehr liegt bei 45,02 Euro bei einer alleinstehenden Person, bei einer Bedarfsgemeinschaft ist er noch niedriger. Somit müsste an Essen oder Kleidung gespart werden, um sich das Ticket überhaupt leisten zu können.

Auf politischer Ebene ist also erst einmal keine brauchbare Lösung absehbar. So lange ist das Wirken der Initiative Freiheitsfond umso wichtiger. Wer dazu beitragen möchte, dass noch mehr Menschen aus Gefängnissen am 15. März 2023 befreit werden, kann dafür noch Geld spenden.


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