Man kann sich nicht nur den lieben langen Tag mit Trump-News, Diskussionen über Mietpreise oder die Impfpflicht aufhalten, also lasst uns kurz über Äußerlichkeiten sprechen!
Das Timing ist günstig, weil tausende Thermojacken bei steigenden Temperaturen demnächst wie Wurstpellen von erhitzten Körpern platzen werden. Doch anders als bei den Raupen, die nach der Metamorphose mit wunderschönem Schmetterlingsflügelschlag ihren Kokon verlassen, haben sich viele Berlinerinnen unter Zufuhr unzähliger Rotweine und Trostbiere den Winter über in konsistenzlose Blob’s mit Winkearmen entwickelt. Auf dem Portal der eigentlich seriösen Zeitschrift „Brigitte“ wird geraten, Oberarm-Erschlaffungen mit einem Augenbrauenstift zu konturieren, quasi straff zu schminken, falls die Zeit für Liegestütze nicht reicht, und das tut sie selten. Gegen schwere Beauty-Einbrüche hilft manchmal nur noch die Flucht nach hinten, in die Ästhetik vergangener Jahrhunderte. Im Hipster-Umfeld des 17.
Jahrhunderts schwärmte man von einer Haut, so transparent, das man Rotwein durch die Kehle fließen sehen konnte. Durchscheinende Adern im Gesicht galten als super-attraktiv. „Hallo Berliner Nacktmull-Face, am Tresen ganz hinten rechts – im Rokoko wär’ste ne Sensation gewesen!“
Gegen winterwelke Gesichtshaut schwören Japanerinnen auf pulverisierte Nachtigall-Scheiße, wegen darin enthaltener, angeblich hautbildverschönernder Enzyme. Also: Welches Torstraßen-Startup will endlich Geld verdienen und investiert mit mir in eine regionale Version mit der unendlichen Ressource „Berliner Taubenkot“? Meine persönliche Problemzone liegt allerdings höher: Ein Frisuren-Drama plagt mich seit dem letzten Zehn-Euro-Haarschnitt, erhalten im Dong Xuan Center, vier Kolumnen zuvor. Gerade war ich wieder beim Friseur. Die Coloristin fragte nach meinen Wünschen. „ Ein sommerlich warmes Blond sollte es sein – Hauptsache jung!“ Das würde mir leider nicht stehen, attestierte man mir und verpasste mir stattdessen einen authentischen und, wie man mich aufklärte, top-aktuellen Look. 2019 ist nämlich in Haarfarbe das Jahr des Straßenköters.
Nach dem Glossing, ein dunkles Aschblond mit einem Hauch Taubengraublau, war die Coloristin begeistert. Sie rief: „Die Farbe ist so toll! Die werde ich meiner Mutter auch machen!“ Es war diese Art von Kompliment, die einen wie eine Holzlatte auf den Hinterkopf trifft. Noch an der Tramhaltestelle muss ich lachen: über das Glück der Coloristin und mein Gesicht im Friseurspiegel. Selbstironie ist noch die beste Anti-Aging-Methode.