Eigentlich hatte sie nicht vor, Neukölln zu verlassen. Aber jetzt: Wohnungstausch nach Kreuzberg. Ciao Shisha-Tabak-Läden. Ciao Wettbüros. Ciao Gemüse in rauen Mengen für einen Euro. Hallo – ja was denn eigentlich? Unsere Autorin nimmt Abschied von einer eigenen Welt.
Das letzte Palak Tofu vom Inder an der Ecke
Was tun mit dem alten Wandregal, das seine besten Tage sowas von hinter sich hat? Im Auto ist kein Platz mehr. Ich muss schon zuviel anderes zur BSR bringen. Ich stelle es einfach auf die Straße. In Neukölln, wo ich lebe, hat das nichts mit unsozialem Verhalten oder Umweltverschmutzung zutun. Hier nennt man das Solidarität. Wenn ich eine Stunde später das Haus verlasse, um mir beim Inder die Straße runter ein Palak Tofu für 7,50 Euro zu holen, wird das Regal verschwunden sein. Genau wie der riesige Sack Pfandflaschen, den ich dazu gestellt habe.
Ich werde die Sachen nicht vermissen. Aber den Geruch nach Gewürzen und brodelndem Curry, der von besagtem indischen Restaurant jeden Mittag und Abend durch meine Wohnung strömt. Er wird mir fehlen. Irgendein indisches Restaurant wird es wohl auch in der Nähe meines neuen Zuhauses geben. Morgen holen ein paar Männer hier mich und meine Sachen ab. Dann ziehe ich in eine neue Wohnung im Bergmannkiez. Ich hatte eigentlich nicht vor, Neukölln zu verlassen.
In der Straße, in die ich jetzt ziehe, reihen sich geleckte Altbau-Fassaden aneinander. Die Menschen, die in der Bar vor meiner Wohnung sitzen, sehen nicht aus, als ob für sie jeder Tag ein existenzieller Kampf wäre. Als ob sie von Kunst, Liebe und Hartz IV leben würden. Sie zeichnen keine Bleistift-Skizzen in ein Büchlein, während sie alleine essen. Sie sammeln keine Kippenstummel von der Erde auf. Dafür laufen sie mit vollgepackten Tüten von der Markthalle durch ihren aufgeräumten Kiez, schauen dabei auf ihr Smartphone. Ich verstehe sie nicht. Noch nicht. Ein paar Mal bin ich schon durch meinen neuen Kiez geschlendert. Und habe versucht, mir mich in ihm vorzustellen. Es geht irgendwie. Ich will eh mit dem Rauchen aufhören.
Tomaten aus der Region statt aus Anatolien
Der Geruch nach indischem Essen, der durch meine Wohnung zieht – das wird für mich immer irgendwie Neukölln bleiben. Dabei ist das Kreuzberg, in das ich jetzt ziehe, geographisch gesehen lächerlich nah an meinem alten Zuhause. Und eigentlich auch soziokulturell. Ich werde dort sicher auch einen Mischteller mit Hummus und eingelegtem Gemüse bekommen. Und mich hat nach meiner Wohnungsbesichtigung sogar ein Junkie um Geld angeschnorrt. Aber ist es dasselbe? Bin ich noch dieselbe?
Bestimmt ziehe ich, ehe ich mich versehe, zum Einkaufen die Jogginghose und die Adiletten aus und ziehe mir richtige Schuhe an. Werfe nochmal einen Blick in den Spiegel, bevor ich gestriegelt durch die Markthalle schlendere, um mein neues Ich mit frischen Zutaten aus der Region einzudecken. Anstatt Tomaten und Auberginen aus Anatolien – für 1,50 Euro das Kilo. Es ist eine Entwicklung, die ich nicht habe kommen sehen. Wohnungstausch. Ich finde meine Nostalgie aber nicht übertrieben. Vier Jahre. Unzählige Palak Tofus. Etliche Euros ärmer, denn man hat ja nicht immer einen Sack Pfandflaschen dabei und kriegt oft trotzdem Mitleid.
Selbst für mich ist es schwierig zu erklären, was ich am Hermannplatz und an der Sonnenallee vermissen werde. Ich komme aus dem Süden Berlins, mit 16 Jahren bin ich zum ersten Mal raus aus dem Grün zum Alex gefahren. Weiter zum Hermannplatz. Und fühlte mich gut.
Ich habe keine Berührungspunkte mit Shisha-Tabak-Läden, Wettbüros und arabischen Teestuben. Und fühle mich in ihrer Mitte trotzdem heimisch. Neukölln ist nicht in erster Linie Brennpunkt-Bezirk, sondern Zuhause von Menschen hunderter Nationen, die es alle ein bisschen lockerer angehen lassen wollen. Eine davon war ich.
Locker bleiben – es war nicht alles nur schön
Bleib‘ mal locker, sage ich mir jetzt. Es gab auch wirklich unschöne Aspekte an meinem Leben hier. Jahrelang habe ich in penibler Kleinarbeit den Müll getrennt, um vom zusammengeschmissenen Berg im Hinterhof dann komplett desillusioniert zu werden. Meine Prinzipien verraten habe ich trotzdem nicht.
Ich habe soviel Elend gesehen. Menschen, denen zu mehr als „Habt ihr mal ein bisschen Kleingeld?“ die Energie fehlt. Ein Bild, das ich nicht vergessen kann: Die alte Frau, die Tag ein, Tag aus am Spielautomaten im Untergeschoss von Karstadt am Hermannplatz sitzt. Locker mit einer Pobacke auf dem Barhocker, vor ihr ein halbvolles Schultheiss. Neben ihr der Hackenporsche. Und wieder einen Euro in den Automaten. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen hat sie wenig Erfolg im Glücksspiel. Wo arme Menschen leben, lebt oft auch die Einsamkeit. Manchmal hat mich das belastet.
Ein neues Kapitel also. Ich muss nur mit dem Fahrrad die Hasenheide herunterfahren. Weiter auf der Gneisenau. Dann bin schon fast an meinem neuen Zuhause. Eine lächerlich kurze Distanz. Wenige Minuten Fahrt, aber viel zu viel Gefühl. Ein neuer Kiez, eine andere Welt. Mal schauen, wer und wie ich sein werde, und ob es endlich eine Biotonne gibt.
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