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Problematische Leidenschaft im Zeitalter der Klimakrise: Oldtimer in Berlin

In Zeiten der Klimakrise haben Autos mit Verbrennungsmotor ein Image-Problem. Doch einige Berliner lieben sie noch immer – je älter, desto besser. Für ihre Leidenschaft zahlen sie teils das 20-fache des Auto-Neupreises

Foto: Dirk Engelhardt

Er war das ostdeutsche Gegenstück zum westdeutschen Bulli, der Barkas. Von dem rund eine Tonne schweren Gefährt mit Zweitaktmotor wurden in den VEB Barkas Werken in Karl-Marx-Stadt bis 1990 nur rund 175.000 Stück gebaut. „Einen zu finden, der noch einigermaßen in Schuss war, war gar nicht einfach“, erzählt Andreas Nickel (54) aus Köpenick. Vor neun Jahren kaufte er seinen Barkas B 1000 aus dem Jahr 1977, der früher als Feuer­wehrwagen gedient hatte. 4.000 Euro war der Kaufpreis. „Doch dazu kamen nochmal rund 15.000 Euro für die komplette Restaurierung, inklusive einer neuen Lackierung“, sagt er. Anders als bei anderen Oldtimern sei die Ersatzteillage sehr gut, berichtet Nickel. Denn die Ossis hätten, da es in der DDR sehr schwierig war, an Ersatzteile zu kommen, alles gut gehortet.

Der Barkas ­sollte die Grundlage für sein neues Unternehmen bilden. Nickel arbeitete früher in der DDR als Stadtführer für Jugendtourist, das Reisebüro der FDJ. Danach versuchte er sich, wie viele seiner Genossen, als Versicherungsvertreter, doch richtig Freude kam bei diesem Job nie auf. „Es war eine Schnapsidee“, so bezeichnet er es jetzt, seinen alten Job unter neuen Vorzeichen wieder aufleben zu lassen. Er nennt es „Nostalgietour“, der knallrote Barkas mit Platz für acht Personen dient als Vehikel für Stadtrundfahrten in Berlin. Jeden Freitag ist Nickel auf Achse, passenderweise gibt es Getränke wie Club Cola oder Rotkäppchen dazu. Dann fährt das gute Stück mit Weißwandreifen, roter Sonnenblende und Gardinen vor den Fenstern blankgewienert durch die Stadt. Die Gäste sind nicht nur Ostdeutsche, auch Westdeutsche und Ausländer buchen die Tour.


Neupreis 2.000 DM


Wenn Siegfried Renner (80) in seinen Messerschmidt Kabinenroller steigt, ist er glücklich. Der Rentner aus Zehlendorf, gebürtiger Berliner, hat vor elf Jahren – in einem Anfall von Nostalgie, wie er sagt – für 20.000 Euro einen gut erhaltenen KR200 gekauft, so die Typenbezeichnung. Ein stolzer Preis, wenn man bedenkt, dass der Neupreis in den 50er-Jahren bei 2.000 DM lag. Der Kabinenroller wurde 1948 als Fahrzeug für Behinderte konstruiert, der letzte KR200 wurde im Jahr 1955 produziert. Wegen der auffälligen Plexiglashaube bekam das Mobil schnell seine Kose­namen „Schneewittchensarg“ und „Mensch in Aspik“ weg.

Wohl von keinem anderen Fahrersitz hat man einen dermaßen guten Rundumblick – der Plexiglasaufbau macht es möglich. Das Problem ist eher der Platzmangel – die zweite Person muss sehr gelenkig und möglichst schlank sein, um sich hinter den Fahrersitz zu quetschen. Das hielt ­Renner jedoch nicht von größeren Reisen ab. Mit seiner Frau war er mit dem Kabinenroller in der Bretagne und in Paris. Schwieriger sei die ­Ersatzteilsituation – denn wie jeder Old­timer braucht auch der Messerschmidt intensive Pflege. Deshalb gründete Renner einen Messerschmidt-Kabinenroller-Stammtisch, an dem sich Mitglieder gegenseitig helfen. Renner ist inzwischen, wie er sagt, „glücklich geschieden“, dem weiblichen Geschlecht aber nicht abgeneigt. Ab und zu zeigt er auf Tanzabenden seinen Partnerinnen ein Foto seines Schätzchens auf dem Handy. Und dann folgen meist Begeisterungsrufe und die Frage nach einer Probefahrt. Dem kommt Renner, ganz Kavalier, dann sehr gerne nach.

Foto: Dirk Engelhardt

Thomas Werner (66) aus Zehlendorf kam zum Oldtimer über seinen Sohn. „Vor 13 Jahren, als mein Sohn Abitur machte, brauchte er ein Auto.“ Der Citroën 2CV, auch „Ente“ genannt, ist nicht gerade ein Luxusgefährt, und so musste Werner nur 500 Euro für das Fahrzeug investieren. Doch der Sohnemann, im Abi-Stress, hatte keine Zeit, das Auto „aufzubauen“, und so erledigte der Vater, von Beruf Fachreferent für Jugendarbeit, diese Arbeiten. Und er fing Feuer für das Auto, das sich tierisch in jede Kurve legt. Sogar zum Welt-Ententreffen in Most, Tschechien, fuhr Werner im Jahr 2010. Es dauerte nicht lange, und Werner kaufte eine zweite Ente für sich selbst, wieder für 500 Euro. Und wieder in einem desolaten Zustand. Wenn man heute die blinkblanke, blaue Ente sieht, kann man sich den Urzustand kaum vorstellen. Renner investierte eineinhalb Jahre Arbeit, um das Auto flottzumachen, und dokumentierte ­diese Arbeiten sogar in einem eigenen, selbst­gedruckten Buch. Weil Oldtimer im Gegensatz zu modernen Autos noch Charakter und ­Individualität haben, bekommen sie einen Namen. Werners Ente hört auf den Namen „Agenda“.

„Alles in allem habe ich wohl um 12.000 Euro in den Wagen gesteckt“, zieht Renner ­Bilanz. Einen kleinen Streit gab es mit der Gattin wegen der Farbe. Renner wollte das authentische, französische Gauloises-Blau. Doch Renners Frau, Nichtraucherin, wandte sich energisch dagegen, und so strahlt der Wagen heute in schwarz und metallic-Blau, mit maritim weiß-blau gestreiften Sitzpolsterbezügen. Werner genießt es, mit seiner Ente in Berlin spazieren zu fahren und dabei auf Menschen zu treffen, die winken oder Oldtimer-Fragen stellen. Trotz der nicht einmal 30 PS unter der Motorhaube machte er Urlaubsfahrten über die Alpen oder ins Elsass. „Mit maximal 100 km/h zu fahren, das ist pure Entschleunigung“, sagt Werner. Wie alle Oldtimer steigen auch die Enten jedes Jahr im Preis – für ein gut erhaltenes Exemplar muss man heute zwischen 10.000 und 20.000 Euro kalkulieren. Tendenz: steigend.

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