Keiner weiß, was morgen ist, sang John Lennon im Jahr 1966, sein Song „Tomorrow Never Knows“ landete auf dem Beatles-Album „Revolver“. Die lässige Unbekümmertheit ist dem Leben im Hier und Jetzt verpflichtet, was die Zukunft bringt, wird man schon sehen. Lennon bezog seine Inspiration aus dem „Tibetanischen Totenbuch“ und bewusstseinserweiternden Erfahrungen mit LSD. Das Lied markiert den Beginn der Sixties-Revolution, als die Hippies Anlauf nahmen, um die Welt radikal zu verändern. 54 Jahre später übernehmen der Berliner Künstler Jim Avignon und die Malerin Julia Benz den Titel für eine gemeinsame Ausstellung in der Galerie Köppe Contemporary. Die Ungewissheit des Titels entspricht neben den kulturellen Verweisen auch dem isolierten Corona-Lebensgefühl des Duos. Im Rahmen unserer Veranstaltungsreihe tipBerlin ART werden beide Künstler persönlich durch die Schau führen.
Dass sich Avignon auf die Flower-Power-Ära bezieht, erscheint erst einmal ungewöhnlich, denn die Wurzeln des umtriebigen Universalkünstlers liegen eher in den Anfängen der Techno-Kultur.
In den späten 1980er-Jahren begann er, als bildender Künstler der aufkeimenden elektronischen Tanzmusik einen visuellen Ausdruck zu geben. Avignon gestaltete Flyer und Plakate für Partys, später auch Clubs und Wagen, die bei der Loveparade mitfuhren. Schaut man genauer hin, erschließt sich jedoch die Verbindung von den Blumenkindern zu den Ravern der ersten Stunde. Liebe, Hedonismus, bunte Muster und psychedelische Drogen spielten in beiden Szenen eine wichtige Rolle.
Avignons Bilder auf diese fröhlichen und lebensbejahenden, aber doch naiven Vorstellungen zu reduzieren, funktioniert trotzdem nicht. Seine Kunst ist stets kritisch, kontrovers, satirisch. Die meisten Motive haben eine Doppelbödigkeit, die globale wie lokale Probleme und Krisen kommentieren. Ob Gentrifizierung, Klimaveränderung oder Einsamkeit und die Anonymität der Großstadt. Er ist ein Berlin-Chronist, der unentwegt malt und unermüdlich unterwegs ist, in kleinen Hinterhofgalerien und Clubs ausstellt, ebenso wie in anerkannten Galerien. Der neben der Kunst auch mit seinem Musikprojekt Neoangin reüssiert und selbst Ausstellungen und Konzerte organisiert. Avignon registriert die Spannungen und Entwicklungen dieser Stadt wie ein Seismograph und bannt sie – in schrillen Farben und dem unnachahmlichen expressiven Stil, der von Pop Art über Comic-Kunst bis zum Expressionismus reicht – blitzschnell auf Pappe, Leinwand, Holz, Karton und was ihm sonst noch so vor den Pinsel kommt. Seinen figürlichen Darstellungen des fantastisch-abgründigen Lebens in der Metropole stehen Julia Benzs abstrakte Arbeiten gegenüber, die die Künstlerin, teilweise in gewaltigen Formaten, mit Acrylfarbe, Tusche oder Spraydose produziert. So hat sie zuletzt ein riesiges Werk für die renommierte Fotogalerie C/O Berlin verwirklicht. Benz will den „Betrachter mit abstrakten Andeutungen zu eigenen Assoziationen anregen“.
Die unterschiedlichen Herangehensweisen von Benz und Avignon korrespondieren in der Ausstellung und lassen den Betrachter im Hier und Jetzt die Welt reflektieren, ohne eine Antwort darauf zu geben, was morgen sein wird. Darauf muss man schon selbst kommen.
Donnerstag, 1.12., 18 Uhr, Galerie Köppe Contemporary, Knausstr. 19, Grunewald
Preis: 19 € (inkl. Poster und Buch Trouble „With The Aardvark“)
Wichtiger Hinweis: Aufgrund der aktuellen Corona-Verordnungen musste die Veranstaltung leider abgesagt werden!
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