Das Karloff überführt die Einfachheit der süditalienischen Küche in eine kulinarische Zeitgenossenschaft. Vor allem aber ist es ein überragend lässiges Restaurant
Interview: Clemens Niedenthal
Achille Farese ist merklich erleichtert. Und zwar um ein raumgreifendes Gerüst, das bis gestern noch das Eckhaus in der Reichenberger Straße ummantelt hatte. Sein Lokalino ist endlich wieder freigelegt, so ein Sommer vorm Gerüst hatte gerade neue Gäste merklich geschreckt. Apropos Lokalino: Dieser Namenszusatz war ein listiger Scherz, vor fünf Jahren, als Farese sein 20 Plätze kleines Restaurant in dieser neuerdings so angesagten Ecke Kreuzbergs eröffnet hat.Karloff heißt es. Nachdem Filmbösewicht Boris Karloff – und wegen der nach dem anderen Filmbösewicht benannten, benachbarten Lugosi Bar.
Die Küche: kampanisch, neapolitanisch, süditalienisch. Neapels frittiertes Street Food, hausgemachte Raviolone, eine Dorade vom Grill. Das Tiramisu wird á la minute bereitet. Die Weine: eigen, gern biodynamisch und exzellent. Die Atmosphäre: intim und dennoch belebend. Sie ist vielleicht das Italienischste an einem Lokal, das doch auch seine meisten Produkte direkt von der Spitze des Stiefels importiert. Mit brandenburgischen Rüben aber arbeitet Achille Farese gern.
Achille Farese, ist man als italienischer Wirt in Berlin noch immer auch ein Botschafter?
Als ich vor 13 Jahren nach Berlin gekommen bin, haben einen die Kellner mit „Buongiorno!“ begrüßt, nur dass die eigentlich gar kein Italienisch konnten. Genauso hat sich die italienische Küche in Berlin angefühlt: Alles war überwürzt, in Sahnesoßen ertränkt, eingedeutscht. Pizzen mit sechs verschiedenen Sachen drauf. Heute isst man auch hier lieber eine puristische Margherita. Wenige, aber gute Zutaten, da hat Berlin schon viel gelernt.
„Was mir in Deutschland gefehlt hatte, war die Dramaturgie einer italienischen Mahlzeit“
Achilles Farese
Apropos: Was ist Ihre Lieblingspizzeria?
Fiese Frage. Als jemand aus Neapel beziehungsweise Kampanien ist man da zu kritisch, weil man so viele Erinnerungen an wirklich perfekte Pizzen hat. Ich mag La Bionda am Marheinekeplatz, keine neapolitanische Pizza, aber auch nicht zu krokant und dabei angenehm leicht. Monella in der Weichselstraße machen ihren Job auch gut.
Schon sind wir bei der Pizza gelandet. Erwarten die Deutschen von der italienischenKüche noch immer vor allem, dass sie einfach und unkompliziert ist?
Da habe ich gar nichts dagegen. Die Einfachheit der italienischen Küche, verbunden mit richtig guten Zutaten – warum sollte man das anders machen? Was mir in Deutschland aber gefehlt hat, das war die Dramaturgie einer italienischen Mahlzeit. Diese kulinarische Erzählung über den Abend hinweg.
Deshalb also das Karloff: zeitgenössische italienische Küche, klassisch serviert in vier, mit Dessert in fünf Akten.
Das ist meine DNA. Ich komme aus einer Familie, in der viel und gut gegessen worden ist. Kam ich etwa mit zwei, drei Freunden heim, hatte meine Mutter, zack, sieben Sachen gezaubert: Antipasti, Salami, zwei Arten Pasta …
Der Esskulturforscher Michael Pollan nannte das gemeinsame Abendessen die Wiege der Demokratie.
Ich denke auch, dass das soziale Miteinander, das Familiäre, unbedingter Teil eines gelungenen, ausgedehnten Essens ist. Dafür schätze ich unsere kleines Form: Ich bin immer da, mein Küchenchef Luigi Padano ist immer da, im Karloff geht es gar nicht anders, als gemeinsam Beziehungen einzugehen.
Haben Sie darüber nachgedacht, die Idee des Karloff noch ein weng feiner und damit auch hochpreisiger zu interpretieren?
Schon. Ich vergebe die wenigen Plätze im Karloff für zweieinhalb Stunden, damit ich den ein oder anderen Tisch auch doppelt besetzen kann. Anders könnte ich gar nicht kalkulieren. Klar denkt man mal darüber nach, ob das mit einem verfeinerten Konzept, ein, zwei Gänge mehr und noch ein paar fancy Ideen einfacher wäre. Aber will ich das? Oder will ich einfach, dass die Leute kommen … und essen!
Die Leute sollen also kommen und essen?
Ich bin ja immer noch Architekt, ich kann nicht anders, als ein Lokal von der Atmosphäre her zu denken. Um so kulinarischer ein Restaurant wird, und um so feiner, um so mehr verengt sich das Publikum. Ich wollte kein Restaurant, dass nur noch intellektuell funktioniert und schon gar nicht nur exklusiv. Ich will einen Laden, den sich die Leute lustvoll leisten können, vielleicht nicht jeden Abend, aber doch, wenn ihnen danach ist.
Karloff Reichenberger Str. 152, Kreuzberg, Di–Sa ab 17 Uhr, vier Gänge (Fisch oder Fleisch) 39 Euro, Dessert 4 bis 7 Euro, www.karloff-berlin.de