Kaum eine Branche wird von der Corona-Krise derart getroffen wie Gastronomie und Gastgewerbe. Im Zusammenhang mit den Lockerungen wird es jedoch nicht einmal erwähnt. Berlin trifft es bundesweit besonders hart – um die Stadt, wie wir sie lieben, zu bewahren, muss bald etwas passieren.
Berlin eilt ja so mancher Ruf voraus – doch was eigentlich macht die Stadt so besonders? Ihre Diversität und ihre Spontanität. Spontan agieren müssen gastronomische Betriebe in diesen Tagen gezwungenermaßen. Mehr jedoch aus Verzweiflung als aus Leidenschaft. Mit Lieferdiensten und Take-Away-Angeboten versuchen Gastronomien jeglicher Art sich über Wasser zu halten, die Krise zu meistern. Partiell hat man das Gefühl, dass ein Lüftchen der Hoffnung durch die Branche weht. Der Dank für die gezeigte Solidarität vieler Berliner*innen ist groß. Und trotzdem ist dies für die meisten Betriebe nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Situation für das Gastgewerbe ist ernst. Spontanität hin oder her: Die Diversität, Berlins gastronomische Vielfalt, und damit die Lebensgrundlage tausender Menschen, hängt am seidenen Faden. Manch einer glaub auch, dass sich die traditionellen Statussymbole überlebt haben.
Berlins Gastronomie: Sollen die ersten wirklich die letzten sein?
Berlin ist die Stadt, in der Hipster mit Wollmütze im Sterne-Restaurant mit Panoramablick essen. Die Stadt, in der man sich für einen schmalen Taler auf nahöstlichen Fressmeilen austoben kann. Berliner*innen sind stolz auf ihre Gastro-Szene. Das kulinarische Berlin ist aufregend und steht wie wenige andere Branchen für die Einzigartigkeit der Hauptstadt. Und jetzt? Stehen nach Angaben des Gastronomie-Interessenverbandes DEHOGA über ein Drittel der gastronomischen Betriebe in Berlin vor der Insolvenz. 90.000 Arbeitsplätze sind direkt betroffen. Und nicht zu vergessen (!) 160.000 indirekt. Vielen Betrieben wie Getränke- und Lebensmittel-Zulieferern, Veranstaltungsservices, Caterern, Leasing-Diensten etc. steht das Wasser bis zum Hals.
Im bundesweiten Vergleich ist in Berlin die Situation für die Gastronomie auch deshalb besonders ernst, da es hier viele, kleine, unabhängige Gastroangebote gibt, die teils noch in den Kinderschuhen stecken, sich selbst und ungewöhnliche Konzepte ausprobieren. Diesen kreativen Kulinariker*innen droht nun die Pleite. Und die Sterne-Gastronomie, auf die wir in Berlin so stolz sind? Sieht gerade der Tatsache ins Auge, dass sie zur Hälfte vom Tourismus lebt.
Touristen sind für die Berliner Hotellerie ein Wunschtraum
Dramatisch steht es auch um die Hotellerie: Touristen bleiben im weltoffenen Berlin vollends aus, Großveranstaltungen, auch Messen, sind mindestens bis Ende August 2020 ein Wunschtraum. Berlins 800 Beherbergungsbetriebe laufen auf Notbetrieb. Kleine, unabhängige Hotels, die nicht zu großen Ketten gehören und kaum Kapitalkraft haben, trifft es nochmals härter. Für alle diese Menschen gibt es bisher kaum bis gar keine Hilfe. Die Senkung der Mehrwertsteuer auf 7 Prozent, die jetzt kommen soll, könnte ein Anfang sein, aber auch nur ein schwacher Trost für so viele schlaflose Nächte. Und wem ein geringerer Mehrwertsteuersatz hilft, steht auch noch in den Sternen: kommt die Senkung bei den Verbraucher*innen an? Oder nützt die damit etwas höhere Marge den Betrieben? Und wenn ja, welchen? Nur den großen oder auch den besonders betroffenen kleinen?
Berliner Gastronom*innen teilen gerade eine Realität: Ihnen bricht der Großteil ihres Umsatzes weg. Mit Liefer- und To-Go-Angeboten können viele gerade einmal das Schlimmste abfedern. Mehr aber auch nicht. Denn die Gewinnmarge ist im Gastgewerbe ohnehin gering. Die Nettolöhne sind ohnehin niedrig. Kurzarbeit ist allenfalls für die Arbeitgeber eine Entlastung. Für die Arbeitnehmer entfällt zusätzlich ihr Trinkgeld, das in vielen Fällen einen nicht unerheblichen Teil des Lohns ausmacht.
Es wird versucht Kosten zu minimieren, wo es eben geht. Die lange steigenden und kaum regulierten Gewerbemieten sind ein weiteres Problem. Einige Vermieter*innen zeigen sich kulant und bieten zumindest Stundungen an. Was aber bringt es, wenn der / die Gastronom*in nach der Krise auf den Kosten sitzen bleibt? Denn es kommen nicht doppelt so viele Gäste, wenn die Restaurants erstmal wieder offen haben.
Eine echte Perspektive für die Gastronomie Berlins muss her
Und zu der ganzen Misere kommt noch eine Perspektivlosigkeit. Der kämpferische, teils verzweifelte Optimismus, den man in Berlin von Gastronomen spürt, lässt hoffen. Aufgeben ist keine Option und doch gibt es kaum einen Grund für Optimismus. Die Politik zeigt sich zögerlich. Getan wird bisher kaum etwas. Möglichkeiten gäbe es jedoch. Die Gastronomen waren in der Krise die ersten, die dicht machen mussten. Jetzt sollen sie auch die letzten sein, die wieder öffnen dürfen? Anstelle von Kredithilfen und der Stundung von Mieten muss es für gastronomische Betriebe staatliche Fördersummen geben, fordern Interessensvertreter.
Außerdem sollten Restaurants und Bars nach strengen Auflagen wieder öffnen dürfen: Mindestabstand, durchgetaktete Reservierungen, entzerrte Außenterrassen bei diesem schönen Wetter. Keine Menschenmassen, die sich auf Terrassen und in Biergärten lümmeln, aber eine gut organisierte, risikoarme Planung. Viele Gastronom*innen stellen in diesen Tagen düstere Prognosen. Trotz allem Muts und aller Zuversicht müssen sich viele mit der Realität anfreunden. Dass sie unter diesen Umständen nur noch wenige Wochen durchhalten.
Natürlich wird die Normalisierung nicht leicht: Wo Menschen zusammenkommen, gemeinsam gut essen und trinken und eine schöne Zeit haben, sprudeln die Emotionen. Schweren Herzens muss diesen Sommer in Berlin auf ein spontanes Essen am Landwehrkanal und die herzliche Umarmung mit dem Lieblings-Gastronomen verzichtet werden. Und auch die stückweisen Lockerungen werden die Kassen der Restaurants, Bars und Cafés wohl nicht gleich wieder füllen. Trotzdem: Wenn nichts getan wird, könnte Berlin einen Teil seines unverwechselbaren Gesichts verlieren. Dann wird es auch keine Normalität geben, wenn diese wieder erlaubt ist. Die Gastro-Szene braucht eine echte Perspektive. Denn es ist noch weit schwerer zu kämpfen, wenn man nicht weiß, ob es sich lohnt.
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