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Interview mit Kita-Expertin: Der Kita-Navigator ersetzt nicht den direkten Kontakt zur Wunschkita

Katrin Gralla-Hoffmann ist pädagogische Geschäftsleiterin der Kindertagesstätten Nordwest, dem größten von fünf Kita-Eigenbetrieben des Landes Berlin. Als Träger von 65 Kitas und einem Familienzentrum in den Bezirken Charlottenburg-Wilmersdorf, Reinickendorf und Spandau ist das Unternehmen verantwortlich für 1.600 Mitarbeiter:innen und bietet Bildungs- und Lernorte für etwa 7.500 Kinder. Im Interview spricht Gralla-Hoffmann über die Schwierigkeiten, zeitnah einen Platz in der Wunscheinrichtung zu bekommen, über Mittel gegen den Fachkräftemangel und das Kita-Qualitätsgesetz.

Junge Eltern begleitet seit vielen Jahren schon die Sorge, ob, wie und wo sie für ihre Kinder einen Kitaplatz finden. Foto: Imago/photothek

Kita-Expertin Katrin Gralla-Hoffmann leitet den größten Berliner Landesbetrieb

tipBerlin Frau Gralla-Hoffmann, der Kitaplatzmangel ist kein Novum. In Gesprächen mit Eltern, Freunden und Bekannten bekommt man dennoch den Eindruck, als hätte sich die Situation in den letzten Jahren leicht entspannt. Wie bewerten Sie das gegenwärtige Betreuungsangebot?

Katrin Gralla-Hoffmann Nach wie vor gibt es in Berlin eine große Nachfrage nach Betreuungsplätzen, vor allem im Bereich der unter Zweijährigen. Allerdings zeichnet sich regional ein unterschiedliches Bild ab: In manchen Stadtteilen hat sich die Lage tendenziell entspannt, vereinzelt werden wieder Kinder gesucht. Da aufgrund des Fachkraftmangels viele Kitas ihr Platzangebot einschränken müssen, werden die aktuell zur Verfügung stehenden Plätze zusätzlich verknappt. Für Familien mit Kindern mit Behinderung oder mit von Behinderung bedrohten Kindern, ist die Situation ungleich schwieriger. Uns erreichen immer wieder Anrufe verzweifelter Eltern, die entweder ihren Kitaplatz aufgrund der Behinderung ihres Kindes verloren haben oder seit langer Zeit auf der Suche nach einem Platz für ihr Kind sind.

tipBerlin Konkret gefragt: Wie viele Eltern kommen monatlich zur Besichtigung in Ihre Einrichtungen, wie vielen davon können Sie am Ende ein Angebot machen?

Katrin Gralla-Hoffmann Darüber erheben wir keine Statistik. In den meisten Kitas gibt es regelmäßig Tage der Offenen Tür, an denen Eltern sich allgemein über die Kita informieren können. Eltern schauen sich erfahrungsgemäß mehrere Kitas (auch unterschiedlicher Träger) an, viele geben – aufgrund des nicht ausreichenden Angebots – ihren Vormerkwunsch dann auch in mehreren Kitas ab. Eltern sagen allerdings nicht immer ab, wenn sie woanders ein Betreuungsangebot angenommen haben. Grob geschätzt würde ich sagen, dass jede vierte Familie eine Platzzusage erhält. Das bedeutet aber nicht, dass 75 Prozent keinen Platz erhalten, weil eben auch viele Familien dabei sind, die bei anderen Trägern unterkommen. Für die Jüngsten ist das Angebot am geringsten, ihre besonderen Bedürfnisse erfordern mehr Personal und kleinere Kindergruppen.

Katrin Gralla-Hoffmann ist die pädagogische Geschäftsleiterin der Kindertagesstätten Nordwest, Eigenbetrieb von Berlin. Foto: Kindertagesstätten Nordwest

Bei der Vermittlung von Kitaplätzen kann auch das Jugendamt helfen

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tipBerlin Wie finden Eltern und Kitas bei Ihnen im Betrieb zusammen: über den Kita-Navigator, durch den direkten Kontakt oder per Vermittlung durch das Jugendamt?

Katrin Gralla-Hoffmann Natürlich arbeiten wir auch mit dem Kita-Navigator. Allerdings bitten wir die Eltern immer, sich auch direkt an ihre Wunschkita zu wenden. Trotz des Platzmangels halten wir den direkten und persönlichen Kontakt zwischen Familie und Kita für eine gelingende Bildungspartnerschaft für unabdingbar. Es ist wichtig, dass sich Eltern im Vorfeld mit der Kita und deren pädagogischer Arbeit vertraut machen, damit sie wissen, ob alles – oder zumindest das meiste – gut passt und ihren Erwartungen entspricht. Wir haben mit allen Jugendämtern unserer Bezirke Kooperationsvereinbarungen geschlossen. Jährlich werden drei Prozent der Plätze an Familien vergeben, die über das Jugendamt vermittelt werden; auch alle unterjährig freiwerdenden Plätze werden so vergeben.

Sehr erfolgversprechend ist es, sich frühzeitig auf die Suche zu begeben. Leider ist das nicht allen Eltern so bewusst. Wenigstens ein halbes Jahr vor Betreuungsbeginn, besser noch eine erste Kontaktaufnahme mit der Wunschkita ab dem drittem Lebensmonat ist aktuell notwendig.

Spielen, Malen, Basteln: Für die sinnvolle Beschäftigung und die altersgerechte Förderung von Kitakindern braucht man geschultes Personal, das im Moment schwer zu bekommen und behalten ist. Foto: Imago/photothek

tipBerlin Wie begegnen und kompensieren Sie den anhaltenden Fachkräftemangel?

Katrin Gralla-Hoffmann Wir setzen sehr stark auf die Nachwuchsqualifizierung also die Ausbildung von Erzieher:innen, vor allem in berufsbegleitender Ausbildung. Das wird perspektivisch auch als Umschulungsmaßnahme möglich sein. Die berufsbegleitende Ausbildung hat sich mittlerweile in Berlin etabliert. Die überwiegende Mehrheit der Auszubildenden bleibt auch nach der Ausbildung in unserem Eigenbetrieb. Eine Herausforderung stellt jedoch die Anleitung und Begleitung in Kitas dar, die ohnehin schon Personalmangel haben. Aktuell führen wir ein Modellprojekt mit freigestellten Mentor:innen und mit Auszubildenden durch, die intern nicht auf den Personalschlüssel angerechnet werden.

Auch wenn das mit deutlichen Mehrkosten für uns verbunden ist, zeigt sich, dass die Abbruchquote deutlich geringer ist und weder die Teams in den Praxiskitas noch die Auszubildenden über Gebühr belastet sind. Wir hoffen, dass wir ab 2024 das Modell ausweiten können, um noch mehr Kitateams in diesem Bereich Entlastung zu bieten. Daneben beschäftigen wir auch Quereinsteigende entsprechend den Vorgaben der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie und füllen größere Personallücken mit Personaldienstleitenden auf.

Neben der Fachkräftegewinnung ist die Fachkräftebindung ein großes Thema im Eigenbetrieb. Hier versuchen wir mit mehr Angeboten im Bereich der Gesundheitsförderung und verschiedenen Get-Together-Formaten für eine höhere Arbeitszufriedenheit zu sorgen. Darüber hinaus arbeiten wir mit Hochdruck an den großen Belastungsthemen Lärm, also Akustik, Hitze und ergonomischeres Arbeiten in den Kitas. Aufgrund des Tarifvertrages (TVL) sind uns die Hände bei monetären Benefits, wie zum Beispiel dem Jobrad oder vergleichbaren Angeboten gebunden. Nicht unerwähnt bleiben sollte aber die sogenannte Hauptstadtzulage, die Beschäftigte im Öffentlichen Dienst erhalten. Hiervon profitieren auch unsere Fachkräfte.

tipBerlin Was erhoffen Sie sich vom Kita-Qualitätsgesetz?

Katrin Gralla-Hoffmann Berlin hat sich bereits vor dem Gute-Kita-Gesetz für frühkindliche Bildung eingesetzt. Ein Kitaplatz ist beitragsfrei für Eltern, zwölf Stunden Öffnungszeit sind keine Seltenheit, warme von der Kita gestellte Mahlzeiten sind selbstverständlich ebenso die Versorgung der Kinder mit zuckerfreien Getränken. Bis auf reine Waldkitas sind Halbtagskitas in Berlin selten, Mittagsschließung ist unbekannt. Das sieht in manchen anderen Bundesländern noch anders aus.

Ich erhoffe mir – bei aller Akzeptanz der Länderhoheit im Bildungsbereich – eine Vereinheitlichung der Strukturqualität, Standards für Rahmenbedingungen, die sich an wissenschaftlichen Expertisen orientieren, eine hohe Ausbildungsqualität und einen an fachlichen Standards orientierten Fachkraft-Kind-Schlüssel.


Dieses Interview stammt aus unserer neuen Edition Familie in Berlin, die ihr hier in unserem Shop bestellen könnt.


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