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So scheiße sind die Berliner Schultoiletten

Zwei Drittel aller Berliner Neuntklässler:innen nutzen für das „große Geschäft“ nie die Schultoilette. Warum das so ist, erklärt Svenja Ksoll vom Verein German Toilet Organization. Sie hat eine Studie zu Berliner Schultoiletten geleitet – und dabei einige Toiletten selbst ausprobiert

Ein fast normaler Tag in einer Berliner Schultoilette. Illustration: Tobias Meyer

Schultoiletten: „Die Mehrheit vermeidet die Nutzung“

tipBerlin Frau Ksoll, in welchem Zustand sind die Berliner Schultoiletten?

Svenja Ksoll Nahezu alle Objekte sind in ihrer Funktion eingeschränkt. Es gibt Löcher in Toilettenwänden und -türen, Türen lassen sich nicht abschließen, Spendersysteme sind beschädigt oder nicht befüllt. Die Schülerinnen und Schüler haben ihre Schultoiletten im Durchschnitt mit einer Note von 4,4 bewertet. Die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler vermeidet die Nutzung.

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tipBerlin Das kann doch nicht gesund sein.

Svenja Ksoll Die Konsequenz ist, dass ein Viertel der Befragten angibt, dass sie in der Schule weniger trinken und essen, um die Toiletten nicht benutzen zu müssen. Schülerinnen und Schüler verbringen acht Stunden am Stück in der Schule. Unsere Studie war jetzt keine medizinische, aber die Universität Gießen hat untersucht, was das bedeutet, wenn man den Toilettengang den ganzen Tag vermeidet. Die gesundheitlichen Auswirkungen gingen von Harnwegsentzündungen über Bauchschmerzen bis Verstopfung. Und es führt sicher zu einem Unwohlsein. Wenn ich auf Klo muss und ich kann nicht gehen, ist die Frage, wie gut ich mich noch auf den Matheunterricht konzentrieren kann.

tipBerlin Warum genau wird denn der Klogang vermieden?

Svenja Ksoll Da geht es um Schmutz, Gestank und fehlende Füllgüter wie Toilettenpapier, Seife und Papierhandtücher. Aber das Hauptproblem ist die Privatsphäre. Viele haben angegeben, dass sie es nicht mögen, wenn noch jemand im Raum ist. Viele fühlen sich unwohl, weil man von unten und oben in die Kabinen schauen kann.

tipBerlin Weil das Thema so schambehaftet ist?

Svenja Ksoll Es ist und bleibt ein Tabuthema. Auf der anderen Seite müssen wir alle aufs Klo. Das ist unser kleinster gemeinsamer Nenner. Jeder Politiker, jeder Popstar, alle müssen zur Toilette. Und trotzdem redet man nicht gerne drüber.

Svenja Ksoll vom Verein German Toilet Organization: „Wir müssen alle aufs Klo“

Vandalismus ist auf Schultoiletten recht weit verbreitet. Illustration: Tobias Meyer

tipBerlin In 25 Prozent der Schultoiletten fanden sich Fäkalien dort, wo sie nicht hingehören. Wie kommen die da hin?

Svenja Ksoll In weiterführenden Schulen ist es auch mal ein Statement, wenn daneben gemacht wird. Aber es ist nicht zwingend absichtliches Missverhalten. Da spielt auch mit rein, dass man vielleicht mal andere Dinge im Kopf hat. Oder sich nicht auf die Brille setzen will. Bei Schulanfängern ist es so, dass die sich oft noch gar nicht richtig gut den Hintern abwischen können. Dann haben sie Kacke an der Hand. Und dann landet die an der Wand, auf Türklinken und so weiter. Wenn Sechs- oder Siebenjährige in die Schule kommen, sind sie das erste Mal in einer Sanitäranlage, die nicht in einem sehr geschützten Raum steht. Und so gut wie keine Schule zeigt den Kindern bei der Einschulung, wie die funktioniert. Die kommen in die Schule und wissen nicht, wie diese Spülung funktioniert, oder dieses Handtuchspendersystem.

„Zwei bis acht Prozent der Schüler:innen begehen Vandalismus“

tipBerlin In 37,5 Prozent der Toiletten klebten Papierhandtücher an der Decke.

Svenja Ksoll Das gab es auch schon zu meiner Schulzeit in den 90ern. Man nimmt ein Papierhandtuch, tränkt das mit Wasser, schmeißt es an die Decke, da trocknet es und wird zu einem Klumpen. Der klebt da dann teils über Jahre. Es ist eine einfache Art, sich danebenzubenehmen – einfacher, als einen Seifenspender abzutreten. Vandalismus hat es immer gegeben, schon bei den alten Ägyptern, und Vandalismus wird es immer geben. Wir haben aber in der Studie gesehen, dass Vandalismus, bei dem Dinge zerstört und Gefahrenquellen geschaffen werden, nur von sehr, sehr wenigen Schülerinnen und Schülern verübt wird. Zwischen zwei und acht Prozent der Schüler:innenschaft begehen Vandalismus.

tipBerlin Warum tun die so etwas?

Svenja Ksoll Das sind hochfrequentierte Anlagen, wenn da so etwas wie Mängelmeldung nicht funktioniert, wenn Probleme nicht beseitigt werden, dann erzeugt das Frust. Man muss immer sehen, dass die Schultoilette der erste Ort ist, wo junge Menschen ohne Aufsicht von Erwachsenen mit Gemeingut umgehen. Da steckt ein pädagogischer Wert drin. Aber eine Mitbestimmung von Schülerinnen und Schülern ist oft nicht gegeben.

Katastrophaler Zustand: „Schultoiletten aus der Schmuddelecke holen“

Rauchen, taggen, skateboarden: Da ist was los auf der Schultoilette. Illustration: Tobias Meyer

tipBerlin Sie meinen, der Zustand der Klos hängt vom Level der Mitbestimmung ab?

Svenja Ksoll Eine Schule in Lichterfelde, gut betuchte Gegend: Da haben sie die Sanitäranlagen saniert und niemanden einbezogen. Ich war da in der Mädchentoilette mit einer Gruppe von Schülerinnen und Schülern und dem Hausmeister. Der Hausmeister hatte sich beschwert, dass immer wieder Binden und Tampons im Klo landen. Da hängt ein Hygienebehälter an der Wand. Außerhalb der Kabinen. Darüber haben wir diskutiert. Die Mädchen in der Gruppe haben einstimmig gesagt: Das finden sie ganz furchtbar und unangenehm, dass sie immer mit ihren benutzten Materialien aus der Kabine rausmüssen, um sie zu entsorgen. Das zeigt, dass es keine Kommunikation gibt. Man hat da dieses Tabuthema Toilette, das immer noch über allem schwebt. Und dann werden, anstatt das Thema Schultoilette mal aus der Schmuddelecke rauszuholen und positiv zu besetzen, einseitige Schuldzuweisungen gemacht im Stil von: Die Schüler können sich nicht benehmen, die machen doch eh alles kaputt. Und wenn sie dann wirklich was kaputtmachen, ist im Grunde die erste Maßnahme von Schulleitungen: Kein Toilettenpapier mehr ausgeben oder Toiletten abschließen.

Es gibt ein Menschenrecht auf eine Toilette

tipBerlin Klo-Entzug als Kollektivstrafe – das ist schockierend! Das kollidiert doch mit den Menschenrechten, oder?

Svenja Ksoll Ja. 2010 wurde von den Vereinten Nationen das Menschenrecht auf Wasser und Sanitärversorgung ausgerufen und 2015 das Menschenrecht auf eine Toilette.

Wer dringend muss, aber nicht kann, konzentriert sich vermutlich nicht sehr gut auf den Unterricht. Illustration: Tobias Meyer

tipBerlin Und was kann man als Schüler:in dagegen ausrichten?

Svenja Ksoll Wir empfehlen immer, sich an Vertretungen zu wenden, an Klassensprecher, an die Schüler:innenvertretung. Wenn Schülerinnen und Schüler sich zusammentun, ist die Macht noch einmal größer. Unter dem Abschließen der Sanitäranlagen leidet die gesamte Schüler:innenschaft, obwohl für Vandalismus nur ganz wenige verantwortlich sind.

tipBerlin Wie wirken sich diese menschenrechtsverletzenden Sanktionen auf die Schüler:innen aus?

Svenja Ksoll Eine Korrelation aus der Studie sagt: Je weniger Toilettenpapier, desto mehr Vandalismus. Und zu den abgeschlossenen Toiletten ein Beispiel aus einer Fokusgruppendiskussion: Ein Schüler erzählte, dass er im vierten Stock Unterricht hat, und wenn er auf die letzte offene Toilette, im Nachbarhaus, muss, kann er in der Fünfminutenpause nicht gehen, weil der Weg zu weit ist und, wenn er zu spät zum Unterricht kommt, er einen Eintrag ins Klassenbuch bekommt. In der großen Pause kann er nicht gehen, weil dann die Schlangen zu lang sind. Der Hausmeister, der daneben saß, war ein bisschen geschockt und sagte: „Weißt du was, das wusste ich nicht, dass das solche Auswirkungen auf dich hat.“ Und wenn man sich vorstellt, wie das Mädchen erleben, die gerade ihre Menstruation gekriegt haben, dann sieht das nochmal ganz anders aus. Die Belange der Schülerinnen und Schüler werden zu wenig ernst genommen. Während es zu oft heißt: Die können sich nicht benehmen und deshalb gibt es jetzt kein Klopapier mehr.

Schultoiletten als Demokratiebildung

tipBerlin Gibt es auch ein Positivbeispiel, ein Superklo?

Svenja Ksoll An einer Schule in Charlottenburg hat der Schulleiter die Schülerinnen und Schüler in einem demokratischen Prozess entscheiden lassen: Wie wollen wir es haben? Sie wollten Ganzkörperspiegel und ein bestimmtes Farbkonzept. Und jetzt haben die in ihren Anlagen diese großen Spiegel hängen und dieses Farbkonzept und die haben keinen Vandalismus mehr. Wenn da was passiert, dann wird das weggemacht und thematisiert und nicht einfach weggeschwiegen. Die haben das durch Partizipation, durch Mitbestimmung im Griff. Das ist schon sehr besonders.

So könnte eine vorbildliche Schultoilette aussehen. Illustration: Tobias Meyer

tipBerlin Schultoiletten können ein Ort der demokratischen Bildung sein?

Svenja Ksoll Ja. Da gibt es ganz spannende Beispiele. Eine Schule aus Münster hat zum Beispiel seit über zehn Jahren ihre Toiletten wahnsinnig gut im Griff, gar keine Probleme damit. Die haben Prozesse verankert, dass die Schülerinnen und Schüler eines Jahrgangs klassenweise im Wechsel verantwortlich sind für das Auffüllen von Füllgütern, die Koordination der externen Reinigungskräfte, die Aufsicht in den Toiletten, die Erarbeitung von Gestaltungskonzepten. Deshalb ist auch eine der Empfehlungen, die wir aus der Studie gewonnen haben, partizipative Prozesse zu verankern. Es gibt Schulen, die haben Pflanzen in den Toiletten, um die sich eine AG kümmert, Schulradio, das über die Toiletten sendet. Alles, was die Schüler:innen selbst gestalten, erhöht die Hemmschwelle, das kaputtzumachen. Wir haben auch festgestellt, dass weniger Vandalismus herrscht, wenn es strukturell verankerte, breit kommunizierte Meldesysteme für Mängel gibt und wenn die Mängel schnell behoben werden. Dann stellt sich eine Kultur des Kümmerns ein, die Schülerinnen und Schüler wirklich spüren.

Schultoiletten: „Das ist ein sozialer Ort“

tipBerlin Wie sieht es aus mit Sex und Drogen auf den Schultoiletten?

Svenja Ksoll 1,3 Prozent der Schülerinnen und Schüler rauchen da, Sex und Drogen haben wir nicht abgefragt. 14,5 Prozent haben „Sonstiges“ angegeben. Viele Schülerinnen und Schüler haben gesagt, dass sie dort Freunde treffen. Das ist ein sozialer Ort, in der Regel ohne Aufsicht der Erwachsenen. Da kann man vielleicht auch mal ein Handy rausholen, obwohl es in der Schule verboten ist. Einige checken ihr Aussehen, waschen ihre Hände oder füllen ihre Trinkflasche auf. Oder sie machen die Tür hinter sich zu, um endlich mal Ruhe zu haben. Gute Schultoiletten sind ein wichtiger Bestandteil eines gesunden Lernumfelds.

tipBerlin Welche Toiletten sehen schlimmer aus, die von den Jungs oder die von den Mädchen?

Svenja Ksoll Das können wir nicht pauschal beantworten. In Schule A ist das Mädchenklo ganz furchtbar und das Jungsklo gut und in der nächsten Schule ist es andersrum. Was wir feststellen, ist, dass eine Jungstoilette in der Regel Urinale hat und die sind ein bisschen schwerer zu bedienen als die Standard-Sitztoilette. Es gibt unterschiedliche Spülsysteme mit Sensor, Druckknopf, Zugseil. Manche funktionieren auch ohne Wasser. Oft hängen sie nur auf einer Höhe, man hat aber unterschiedlich große Jugendliche, da geht öfter mal was daneben. So dass das Geruchsproblem in Jungstoiletten stärker gegeben ist. Und je mehr die Anlagen stinken, desto mehr Vandalismus herrscht auch. Wir haben auch festgestellt, dass das Genderthema groß diskutiert wird an Schulen, die sagen, wir wollen eine Unisextoilette, weil wir Transmenschen an der Schule haben.

tipBerlin Abgesehen von Mitbestimmung und Meldeketten: Was können Schulleitungen noch tun, um ihre Klos in den Griff zu bekommen?

Svenja Ksoll Wir haben uns auch das Thema Schulreinigung angeschaut, das ja hier in Berlin immer wieder hochkocht. Wir haben festgestellt, dass an Schulen, an denen der Reinigungszyklus zweimal am Tag stattfindet, nicht nur weniger Verschmutzung zu finden ist, sondern auch weniger Vandalismus. Wir sehen, dass, wenn Reinigungskräfte im Schulalltag sichtbar sind, und eben nicht nur frühmorgens und spätabends da, dann die Wertschätzung für deren Arbeit steigt.

Svenja Ksoll: „Ich habe das Leid der Schülerinnen und Schüler live mitbekommen“

Svenja Ksoll von der German Toilet Organization hat eine Studie über Schultoiletten geleitet. Foto: germantoilet.org

tipBerlin Haben Sie im Rahmen der Studie auch mal probegesessen?

Svenja Ksoll Ja. Ich bin jetzt seit zehn Jahren bei der German Toilet Organization Referentin für Schultoiletten. Ich habe schon sehr viele Schultoiletten genutzt, auch während der Erhebung.

tipBerlin Und wie war es?

Svenja Ksoll Auf der einen oder anderen fehlte das Toilettenpapier, einmal konnte ich die Tür nicht abschließen und musste sie von innen zuhalten. Da habe ich das Leid der Schülerinnen und Schüler live mitbekommen.

Die Studie

Der Verein German Toilet Organization hat in 17 weiterführenden Schulen aus elf Berliner Bezirken eine Bestandsaufnahme der Toiletten gemacht und zudem fast 1.000 Schüler:innen zu ihrer Perspektive befragt. Titel der im August 2022 veröffentlichten Studie: „Toiletten machen Schule“. Der Fokus lag auf neunten Klassen.

Studie „Toiletten machen Schule“: Berliner Schultoiletten in (ekelhaften) Zahlen

Sichtbare Sachbeschädigung: 68,8 %

Irgendetwas funktioniert nicht: 58,8 %

Es riecht nach Urin: 56,3 %

Es liegt Papier und oder Müll auf dem Boden: 50 %

Löcher in den Kabinenwänden oder Türen: 37,5 %

(Teilweise) kein Toilettenpapier: 31,3 %

Ausscheidungen, wo sie nicht hingehören: 25 %

Es gibt Gefahrenquellen: 18,8 %

  • Die ganze Studie „Toiletten machen Schule“ hier

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