In Berlin hat Lone Scherfig bereits viele ihrer Filme vorgestellt. Mit ihrem jüngsten Werk „The Kindness of Strangers“ eröffnet die dänische Regisseurin in diesem Jahr den Wettbewerb der Berlinale
Nicht selten bleibt einem das Lachen im Halse stecken, wenn man einen Film von Lone Scherfig sieht. Dabei hatte es doch eigentlich ganz nett und irgendwie leichtherzig angefangen. Und dann war es so ein bisschen tragikomisch, aber nie wirklich hoffnungslos düster weitergegangen. Doch dann geschieht mit einem Male etwas zutiefst Schreckliches und erschlägt ein Happyend, das bereits in greifbare Nähe gerückt schien. Und nicht nur muss sich nun die Erzählung neu sortieren – soll sie als Tragödie enden? Soll sie sich noch einmal aufraffen und einen etwas optimistischeren Schluss versuchen? –, auch das Publikum muss, nachdem es die Fassung wieder erlangt hat, seine Erwartungen adjustieren. Ganz so simpel ist es dann wohl doch nicht gemeint gewesen. Konventionelle romantische (Tragi-)Komödien sind Scherfings Filme jedenfalls nicht, auch wenn sie mitunter meisterlich deren Klischees anzutäuschen vermögen.
Es sind die großen Themen, um die es der dänischen Regisseurin in ihrem Werk zu tun ist: Leben und Tod, Glück und Unglück, natürlich die Liebe. Und nicht zu vergessen, ja wahrscheinlich sogar am allerwichtigsten: Mitgefühl und Wärme. Also das, woraus sich eine Gemeinschaft bildet.
Drama voller Widersprüche
Furchtlos hat sich die 1959 in Kopenhagen geborene Scher- fig im Laufe ihrer erfolgreichen Karriere immer wieder auf die Gratwanderung begeben und komplexe Gefühls- lagen, schwierige Charaktere und diffizile Situationen in eine narrative Form gebracht, die von herzlicher Zuge- wandtheit geprägt ist und die keine Berührungsängste kennt, auch nicht jene vor dem Mainstream.
Scherfig studierte Filmwissenschaft in ihrer Heimat sowie an der Pariser Sorbonne und schloss ihr Regie- studium an der Danske Filmskole 1984 ab. International auf sich aufmerksam machte sie im Jahr 2000, als sie mit „Italiensk for begyndere“ als erste Frau einen Film im 1995 von unter anderen Lars von Trier und Thomas Vin- terberg ins Leben gerufenen Dogma-Stil drehte – und bei der Berlinale, wo der Film 2001 im Wettbewerb lief, mit dem Silbernen Bären – Preis der Jury ausgezeichnet wurde. Zehn Jahre zuvor bereits war sie mit ihrem ersten Spiel- film „Kajs fødselsdag“, einer Komödie um einen Geburts- tagsausflug dänischer Männer nach Polen, ins Panorama eingeladen. 1998 zeigte sie „Når mor kommer hjem“ beim (damals noch) Kinderfilmfest, 2003 lief die Tragikomödie „Wilbur begår selvmord“ außer Konkurrenz im Wettbe- werb, und 2009 wurde das Coming-of-Age-Drama „An Education“ im Berlinale Special gezeigt. „The Kindness of Strangers“, mit dem die 69. Filmfestspiele am 7. Februar eröffnet werden, ist Scherfigs zehnter Spielfilm und der sechste, den sie in Berlin vorstellt.
Angesiedelt ist der hochkarätig unter anderem mit Zoe Kazan und Andrea Riseborough besetzte Ensemblefilm in einem russischen Restaurant im winterlichen New York. Nach eigenem Drehbuch inszeniert Scherfig ein zeitge- nössisches Drama, das von schmerzlichen Widersprüchen handelt, von Arm und Reich, von Hoffnung und Verzweif- lung – aber eben auch vom Trost, der in der Freundlichkeit liegt. Und selbst wenn einem das Lachen dabei vermutlich mehr als einmal vergehen wird, so wird wohl am Ende doch Herzenswärme in die kalte Berliner Nacht hinausstrahlen. ALEXANDRA SEITZ
Von Dogma-Filmen zum gehobenen Mainstream: Die dänische Regisseurin Lone Scherfig drehte ihre Filme in den vergangene- nen Jahren vornehmlich in Großbritannien.