Zwei Paare stehen im Mittelpunkt von „So Long, My Son“. In der ersten Szene sehen wir zwei Jungen beim Spielen an einem Staussee. Der eine möchte nicht ins Wasser, der andere drängt, wenig später ist einer der beiden tot. Yaojun und Lijun, seine Eltern, ziehen sich nach der Tragödie in einen der hintersten (südwestlichen) Winkel der Volksrepublik China zurück, aber die schicksalhaften Verbindungen zu den Eltern des überlebenden Jungen und zu anderen Menschen aus der gemeinsamen Zeit in einer Fabrik in der kommunistischen Hochphase reißen nicht ab. Wang Xiaoshuai debütierte 1994 auf der Berlinale im Forum, seine Karriere war seither nicht immer leicht einzuordnen, wie auch seine Einstellung gegenüber den Veränderungen in seinem Land. In „So Long, My Son“ ist Wehmut die alles prägende Grundstimmung. „Sie haben unsere Spuren ausgelöscht“, sagt Lijun gegen Ende, als sie zwischen neuen Wohnquartieren hindurchgefahren wird. Diese Spuren sind das eigentliche Thema des Films: die Spuren, die Menschen durch die Geschichte ziehen. Yaojun und Lijun werden in mehrfacher Hinsicht zu Opfern der chinesischen Bevölkerungspolitik, die nur ein Kind pro Paar erlaubte. Diese Maßnahme aber ist wiederum aber nur Sinnbild des alles überformenden Zugriffs des Systems auf die privatesten Beziehungen der Menschen, wobei Wang Xiaoshuai vor dramaturgischen Zuspitzungen nicht zurückscheut. Die Menschen, die selbst noch erlebt hatten, wie sie „aufs Land geschickt“ worden waren (im Zuge der brutalen „Kulturrevolution“), erleben viel später die neue Kulturrevolution der freien Marktwirtschaft. Die Zeit dazwischen ist die (verschachtelt erzählte) Zeit von „So Long, My Son“. Der Film trägt das Projekt eines alles zusammenführenden Geschichtsepos der zweiten Aufbaugeneration der Volksrepublik vielleicht ein wenig zu deutlich vor sich her, um sich jemals aus diesem Repräsentationsanspruch befreien zu können. Für einen wirklich großen Film ist „So Long, My Son“ schließlich einfach zu konventionell. Für exzellente Chancen bei der Bären-Vergabe reicht das aber allemal.
14.02.2019 - 18:00 Uhr
Berlinale 2019