Die perfekte Welle: Aus dem queeren New Yorker Underground gelangt der Partyhype Voguing gerade in den Berliner Mainstream
Was ist Voguing eigentlich?
Voguing ist ein Trendtanzphänomen, das aus dem queeren New Yorker Underground kommt. Seit 2012 wächst die Voguing-Szene in Berlin, inzwischen ist sie nach denen in Paris und London die größte in Europa. Inzwischen gibt es viele solcher Bälle in Europa, selbst in Russland. Auch unter Heteros wird Voguing immer populärer. Plakativ könnte man sagen: „Voguing ist das neue Yoga.“ Die Choreografien sind oft inspiriert durch hyperstilisierte Modelposen. Einem breiteren Publikum bekannt wurde der Style 1990 durch
Mit Madonna ging das Voguing richtig los
Madonnas gleichnamigen US-Nummer-1-Pop-Track Vogue. Doch damals war das Phänomen Voguing schon knapp eine Dekade alt. Bereits in den 1980ern trafen sich im Underground von Harlem die Ausgestoßenen: Queers vor allem nicht-weißer Hautfarben, nicht zuletzt Sex-Arbeiter*innen – die ihre letzten Dollars zusammenkratzten, um sich eine Nacht, einen Ball lang wie ein Star zu fühlen.
Voguing ist nur das jüngste Beispiel für ein Phänomen, das der queeren Subkultur entstammt und in den Mainstream rückt: wie in diesem Jahrtausend auch Dating-Apps, die von und für schwule Männer programmiert wurden, und sexpositive Partys.
Nicht-weiße Queers spielen nicht zum ersten Mal eine prägende Rolle für die Community: Sie waren schon Vorkämpfer*innen bei den Stonewall Riots gewesen, im Sommer 1969, dem Jahrhundertereignis des Queer Rights Movement in der New Yorker Christopher Street: Trans Frauen dunkler Hautfarben waren unter den Ersten, die sich gegen die Schikanen der New Yorker Polizei zur Wehr setzten, mit Flaschen und Steinen schmissen.
Auch bei Melt, der Fusion und Lollapalooza-Festival
Es scheint, als sei Voguing gerade überall: Die schon für drei Golden Globes nominierte Netflix-Serie Pose unternimmt eine Zeitreise in die „Ballroom Culture“ von 1987. Mittlerweile läuft auf Netflix schon die zweite Staffel der Dramedy-Serie. Eine der besten, die der Streamingservice zu bieten hat. Auch der im April 2019 auf deutsch veröffentlichte lesenswerte Roman „Das Haus der unfassbar Schönen“ des jungen US-Autors Joseph Cassara spielt in der Ballroom Culture. Und beim Melt- wie auch beim Fusion- und beim Berliner Lollapalooza-Festival gab es einen Vogue-Ball.
Wo kann man Voguing lernen?
Außerdem bieten Tanzschulen wie das motion*s Berlin und auch selbstständige Coaches Voguing-Kurse für Anfänger*innen und Fortgeschrittene an verschiedenen Locations an. Die Kurse haben oft besondere Schwerpunkte: zum Beispiel “Vogue Femme”, eine besonders feminine Spielart des Tanzes. Auch alteingesessenen Berliner Kulturinstitutionen ist die Bedeutung von Voguing inzwischen bewusst: Ende 2019 liefen und tanzten Mitglieder der Szene auf einem Ball im Gorki-Theater, wenig später gab es eine Voguing-Performance im Bode Museum, organisiert von der Choreografin Sophie-Yukiko vom House Saint-Laurent – dem Berliner Ableger eines New Yorker Kollektivs. Sogar das Studierendenwerk lädt zu einer Voguing Session. Meist muss man sich anmelden, um an den Balls teilzunehmen.
Warum wird der Tanz gerade so groß? Da Voguing hyperfeminin ist, kommt man mit seiner eigenen Sinnlichkeit und Sexualität in Kontakt. Der Tanz ist ausgesprochen energetisch, intensiv. Dadurch hat man eine starke körperliche Empfindung von innen heraus. Deswegen fühlt sich das so selbstermächtigend an. Natürlich auch für schwule Männer, aber längst nicht nur. Während man voguet, kann man wirklich zeigen, wer man ist – manche wollen sich ausleben, wie sie es im Alltag nicht können.
Ballroom ist mehr als Voguing
Ein Voguing-Ball ist ein Wettbewerb, Leute treten in verschiedenen Kategorien gegeneinander an. Wenn man von der Jury „nur“ eine 9 von 10 kriegt, ist man raus. Hat man es dann in die zweite Phase geschafft, tritt man gegen Leute aus anderen Houses an. Houses sind nicht einfach Tanztruppen, sondern in vielen Fällen so etwas wie Ersatzfamilien für Queers, die von ihren Familien ausgestoßen wurden. Und Ballroom ist mehr als Voguing: Es geht zwar um Trophäen – aber eben auch darum, zusammenzukommen und die Community zu zelebrieren. Ein Ort der Befreiung. Wenn Weiße einen Voguing-Ball betreten, sollten sie sich bewusst sein, welche Geschichte das hat – und wissen, dass das nicht einfach Entertainment ist, sondern einen gesellschaftspolitischen Hintergrund hat. Spaß macht es natürlich trotzdem extrem.
Text: Stefan Hochgesand & Xenia Balzereit
Voguing-Kurse:
Voguing classes by David Milan: www.voguing.berlin
Voguing Kurse mit Fokus auf unterschiedliche Stile: www.motionsberlin.de/kurse/house-of-saint-laurent-voguing-class
Kommende Voguing-Events:
GMF is Vogue Club kids voguing night by LaQuéfa 007 * 2nd Edition im Ritter Butzke, So 26.1., ab 20 Uhr + So 23.2., ab 20 Uhr
Voguing Session Freiraum im Studentenhaus, Hardenbergstr. 35, Charlottenburg, Do 30.1., 19 Uhr
Dürfen Weiße voguen? Ein Kommentar von Stefan Hochgesand.