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Angsträume in Berlin: Wenn der Heimweg zur Bedrohung wird

Der Nachhauseweg ist besonders nachts für viele mit einem Gefühl der Unsicherheit verbunden. Der Grund dafür: Angsträume, also Orte im öffentlichen Raum, an denen man befürchtet, Opfer von Kriminalität zu werden. Bestimmte Teile der Bevölkerung sind davon ungleich stärker betroffen. Doch Organisationen wie das Heimwegtelefon bieten hilfreiche Lösungsansätze.

Der Yva-Bogen zwischen Hardenbergstraße und Kantstraße wirkt nachts nicht gerade einladend. Foto: Imago/Dirk Sattler

Angsträume in Berlin: Die Sorgen vor dem Heimweg

Nach einem feuchtfröhlichen Abend in der Bar steht früher oder später der Heimweg an, der einem schon beim Gedanken daran die Stimmung vermiesen kann. Der eigentlich kurze Weg zum nächsten Bahnhof ruft im Dunkeln auf einmal Angespanntheit hervor, die man beim Hinweg noch nicht verspürt hat. Im Dunkeln nimmt man seine Umgebung anders wahr und betrachtet die wenigen Menschen, die einem über den Weg laufen, als mögliche Gefahrenquellen. Schließlich erreicht man sein Ziel, doch der Bahnhof scheint ausgestorben.

Ganz leer ist er dann aber oft doch nicht, denn es gibt fast immer diesen einen Typen, der sich auffällig und unberechenbar verhält und ziellos den Bahnsteig abläuft. Mit etwas Glück, beachtet er einen nicht, sonst wird man auf unangenehme Weise fixiert und muss den Anschein zu erwecken, dass man ihn nicht weiter beachtet und vermeidet jeglichen Augenkontakt. Doch zeitgleich beobachtet man seine Bewegungen aus dem Augenwinkel. Irgendwann löst sich die Anspannung, wenn das Rauschen der einfahrenden Bahn einsetzt.

Angsträume sind nicht unbedingt Kriminalitäts-Hotspots

Unbehagen als Normalität auf dem Nachhauseweg? Das Phänomen kann man unter dem Begriff der Angsträume fassen: Gemeint sind öffentliche Räume, an denen sich Teile der Gesellschaft unsicher fühlen und Angst davor haben, Opfer von Kriminalität zu werden. Meist bei Dunkelheit. Es sind Parks, Unterführungen oder schlecht beleuchtete Straßen und nicht unbedingt Orte, die statistisch eine höhere Kriminalitätsrate haben. Eher geht es um das subjektive Sicherheitsempfinden. Schließlich ist Angst bei Dunkelheit auch eine normale körperliche Reaktion und evolutionär bedingt. Gerade bei Frauen, Personen mit Opfererfahrung und älteren Menschen rufen solche Räume Ängste hervor. Männer können sich in solchen Situationen auch unsicher fühlen, sie betrifft das Phänomen aber seltener.

Unterführungen wie diese wecken bei vielen Unbehagen. Foto: Imago/Rolf Zöllner

Dabei sind Männer statistisch gesehen viel häufiger Opfer von Verbrechen. Trotzdem fühlen sich Frauen, neben Personen mit einem Migrationshintergrund, in der Öffentlichkeit bedrohter, was eine Befragung des Bundeskriminalamts (BKA) von 2020 zu „Sicherheit und Kriminalität in Deutschland“ zeigt. Wahrscheinlich ist das mitunter damit zu begründen, dass in Deutschland mehr als jede dritte Frau mit sexualisierten Sprüchen oder Beleidigungen auf der Straße konfrontiert wurde, wie eine Befragung von Frauen des Instituts Ifop im Auftrag der Pariser Jean-Jaurès-Stiftung ergeben hat. Menschen mit Migrationshintergrund hingegen könnten durch rassistische Übergriffe eine stärkere Bedrohung verspüren.

Ungleiche Teilhabe durch Angsträume

Die Folgen im Umgang mit Angsträumen verdeutlichen sich in der Auswertung der BKA-Befragung: Demnach würden Frauen im Durchschnitt mehr Geld für Taxifahrten ausgeben, mehr Umwege in Kauf nehmen, oder auf dem Heimweg immer mit einer vertrauten Person in Verbindung stehen. Letztlich kann die Teilhabe der Betroffenen am städtischen Leben dadurch beschränkt werden, wenn man aufgrund von Ängsten gar nicht erst vor die Tür geht. Diese Vermeidungstaktik wird von Frauen mehr als doppelt so oft angewendet als von Männern. Auch bei anderen Strategien zur Vermeidung von Angsträumen zeigt sich das ungleiche Verhältnis. Frauen würden zum Beispiel häufiger nur in Begleitung nachts das Haus verlassen, den ÖPNV und bestimmte Orte vollständig meiden.

Es kann unterschiedliche Gründe dafür geben, warum man an bestimmten Orten Angst hat. Auch eine vermehrt negative Berichterstattung kann dazu beitragen. Foto: Imago/Rolf Zöllner

Mit anderen Worten: Menschen, die sich im öffentlichen Raum unsicher fühlen, können nur eingeschränkt am städtischen Leben teilhaben. Um dem entgegenzuwirken und eine Gleichberechtigung anzustreben, gibt es verschiedene Lösungsansätze. Zum einen können bauliche Maßnahmen Angsträume reduzieren. Indem zum Beispiel die Beleuchtung verbessert oder der öffentliche Raum durch Begrünungen und Sitzgelegenheiten aufgewertet wird. Zum anderen kann man durch Aufklärungsarbeit sensibilisieren oder geeignete Kontaktstellen schaffen.

Das Heimwegtelefon als Begleitung im Dunkeln

Oft kann es schon helfen, dass man in solchen Situationen mit jemanden reden und seine Ängste teilen kann. Die gemeinnützige Organisation Heimwegtelefon setzt genau an dieser Stelle an. Die Telefonhotline ist in den Abendstunden für Menschen in ganz Deutschland erreichbar, die sich auf dem Heimweg unsicher fühlen und gerne von jemandem am Telefon nach Hause begleitet werden wollen.

Daniel, Telefonist beim Heimwegtelefon, hat das Angebot über seine Freundin kennengelernt. Zu dem Zeitpunkt waren die Öffnungszeiten aufgrund von fehlenden Ehrenamtlichen eingeschränkt worden. Daraufhin habe er sich kurzerhand selbst beworben. 2022 war das Heimwegtelefon dann dank gut 100 Helfer:innen zum ersten Mal personell so gut aufgestellt, dass der Dienst täglich angeboten werden konnte.

In der Regel wartet man weniger als 30 Sekunden, bis man jemanden bei der Hotline erreicht. Foto: Heimwegtelefon e.V.

Die Menschen, die bei ihm und seinen Kolleg:innen anrufen, befinden sich meistens in keiner akuten Gefahr, sagt Daniel, trotzdem verspüren sie ein ungutes Gefühl auf dem Heimweg. Dafür müsse nichts Konkretes vorgefallen sein, das Gefühl der Angst sei oft irrational. Deswegen würde es auch nichts bringen, die Polizei zu rufen, da sie in solchen Fällen nichts machen könnte. Für die Menschen beim Heimwegtelefon sei es trotzdem wichtig, die Sorgen der Menschen ernst zu nehmen und die Betroffenen damit nicht allein zu lassen.

Zu Beginn des Gesprächs wird immer erst die Situation abgeklärt, um zu entscheiden, ob es sich nicht doch um einen Fall für die Polizei handelt. Grobe Daten zur eigenen Person werden aufgenommen: Vorname, Alter, Geschlecht und die Telefonnummer, die im Notfall einer Personenbeschreibung oder Ortung dienen sollen. Mittels Angaben über den Standort und das Ziel, können die Telefonist:innen über Google Maps den Weg virtuell mitlaufen. Dabei vergewissern sie sich immer wieder, ob sich die anrufende Person noch auf der Route befindet.

Das Heimwegtelefon gibt Sicherheit

Daniel erzählt, dass die Arbeit des Heimtelefons quasi auf zwei Säulen beruht: Zum einen gibt sie den Anrufer:innen die Sicherheit, dass falls doch etwas passieren sollte, jemand genau weiß, wo man sich befindet. Zum anderen sei es für die Anrufenden eine große Erleichterung, dass sie ihre Ängste in dem Moment mit jemandem teilen könnten und nicht allein damit fertig werden müssten. In den allermeisten Fällen passiere auch weiter nichts: Im Jahr 2021 musste bei weniger als 0,2 % der Anrufe beim Heimwegtelefon ein Notruf abgesetzt werden, die zudem oft nur präventiv getätigt wurden.

Auch wenn die Angst oft irrational ist, ist es wichtig, sie ernst zu nehmen. Foto: Imago/Jürgen Ritter

Die Gründe, warum Menschen beim Heimwegtelefon anrufen, sind sehr unterschiedlich. Frauen machen zwar den größten Anteil der Anrufer:innen aus, es gibt aber auch Menschen, die Angriffe im öffentlichen Raum befürchten, aufgrund ihrer sichtbaren Religiosität, einer Behinderung oder ihrer politischen Einstellung beziehungsweise ihres politischen Engagements.

Das Heimwegtelefon richtet sich auch an Männer

Allerdings betont Daniel ausdrücklich, dass sich ihr Dienst an alle richte. Ungeachtet des Geschlechts oder anderer Faktoren. Oftmals seien sich Männer unsicher, ob sie die Hotline überhaupt in Anspruch nehmen dürften. Oder sie würden sich vor dem Anruf schämen. Dies könne aus dem gesellschaftlichem Druck resultieren, als Mann keine Angst in solchen Situationen zu verspüren.

Es ist also wichtig, Angebote wie das Heimwegtelefon zu schaffen und die Ängste der Menschen ernst zu nehmen. Ob sie rational begründbar sind oder nicht. Mittlerweile gibt es auch verschiedene Apps, die einen auf dem Weg nach Hause begleiten und damit Sicherheit geben. Projekte wie diese leisten demnach eine wichtige Arbeit für die Teilhabe am städtischen Leben.

  • Heimwegtelefon Tel. 030 12 07 41 82 (deutschlandweit), weitere Informationen hier

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