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Kommentar

Pintschstraße in Friedrichshain: Schuld ist Bau-Mantra der SPD

Die Bäume im Innenhof der Häuser an der Pintschstraße im Friedrichshainer Nordkiez fallen seit Dienstag. An diesem Beispiel zeigt sich, wo die Stadtentwicklungsstrategie der SPD hinführt.

An der Pintschstraße sieht man, wo Bauen ohne Räson hinführt.
Pintschstraße in Friedrichshain: Die zum Teil mehr als 50 Jahre alten Pappeln werden zugunsten eines Wohnhauses abgeholzt. Foto: Imago/Bernd Friedel

Pintschstraße exemplarisch für grundlegendsten Konflikt der Stadt

Am Dienstagmorgen ist eingetreten, wogegen Anwohnerinnen und Anwohner der Pintschstraße als Initiative „Erhaltet unsere grünen Friedrichshainer Innenhöfe“ seit Jahren protestiert hatten: Die Garten- und Landschaftsbaufirma Korkmaz hat im Auftrag der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft WBM mit der Rodung von 13 jahrzehntealten Pappeln begonnen, die zugunsten eines Neubaus mit 29 Wohnungen weichen sollen.

Noch am Montag waren drei Aktivist:innen auf die Bäume geklettert und hatten sich festgekettet, außerdem protestierten Dutzende Anwohnende gegen die Rodung mit Transparenten, Buh-Rufen und klappernden Töpfen. Auf ihren Plakaten standen Parolen wie „Stadtgrün gegen Hitzetod“ oder „Bäume statt Beton“.

Man könnte den Protestierenden jetzt eine Not-In-My-Backyard-Mentalität vorwerfen. Berlin braucht dringend neuen Wohnraum und davon richtig viel. Die alte Berliner Regierung, unter der der Bau 2018 beschlossen worden war, hatte in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben, 20.000 neue Wohnungen pro Jahr bauen zu wollen. Auch die neue Regierung hält an diesem Ziel fest. Wenn es erreicht werden soll, kann nicht auf jede Gelbbauchunken-Population Rücksicht genommen werden, oder auf irgendwelche gesichtslosen Fledermäuse, könnte man argumentieren. Oder, wie im Fall Pintschstraße, auf die Igel, die in dem grünen Innenhof wohnen.

An der Pintschstraße fehlen unversiegelte Flächen und Bäume

Was die neue Koalition in ihrem Regierungsvertrag allerdings auch vereinbart hat: Grünflächen zu schützen, besonders in den „vielfach belasteten Gebieten“, also jene Gegenden, die sich durch besonders viel Luftverschmutzung, Lärm und unzureichende wohnortnahe Grünflächen auszeichnen. Der Bereich um die Pintschstraße ist so ein Gebiet. Friedrichshain-Kreuzberg ist laut der Senatsverwaltung für Umwelt der Bezirk mit den wenigsten Grünflächen. Der grüne Innenhof, um den es geht, war einer der letzten Grünflächen im Kiez. Es fehlen Bäume, Spielplätze, unversiegelte Flächen. Zwar soll auch das Dach des neuen Hauses begrünt werden – die neuen Pflanzen wiegen aber den Verlust der Bäume nicht auf.

Der Konflikt an der Pintschstraße steht also exemplarisch für die Probleme einer Stadt, in der es viel zu wenig bezahlbaren Wohnraum gibt und die gleichzeitig in den vergangenen Jahrzehnten immer dichter geworden ist. Eigentlich kein Wunder, dass Nachverdichtung gerade in dicht bebauten Quartieren auf Widerstand stößt – vor allem angesichts eines kaputten Stadtklimas, in dem kühlendes Grün zum Wohle der Menschen mehr statt weniger werden sollte, wenn die Berliner:innen die Sommer zukünftig überleben sollen.

Die Friedrichshainer Nachbarschaftsinitiative hatte alternative Entwürfe zur Bebauung bei der WBM und der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Friedrichshain-Kreuzberg eingereicht, die sie in Zusammenarbeit mit einem Architekten erarbeitet hatte: einen mit Wohnhäusern, der ohne Fällung der Bäume auskam, einen ohne Wohnhäuser, dafür aber mit einem Spielplatz. Mit beiden Plänen wäre der Hof für alle Menschen im Kiez zugänglich gewesen. „Es gibt so viele versiegelte Flächen in Berlin“, sagt Kirsten Reinhold, eine Sprecherin der Initiative. „Warum muss man auch noch eine der letzten unversiegelten Flächen zubauen?“

Das wahre Problem liegt nicht bei der WBM, sondern Etagen höher

Die Anwohner:innen der Pintschstraße hatten vor Baubeginn die Möglichkeit, in einem Workshop der WBM die Gestaltung der Freiflächen mitzubestimmen. Darauf weist Karen Jeratsch von der Presseabteilung der WBM hin. Keinen Einfluss hatten sie auf die grundlegende Bebauung. „Das ist auch nicht vorgesehen“, sagt Jeratsch. „Diese Planung muss man schon Experten wie Architekten überlassen.“

Ein harter Brocken – vor allem angesichts der Tatsache, dass die vorgesehene Umweltverträglichkeitsprüfung aus finanziellen Gründen ausgefallen ist. Andererseits: Die WBM hat den Auftrag, auf all ihren Grundstücken zu prüfen, ob Platz für mehr Wohnraum ist. Dazu gehören Aufstockungsmöglichkeiten, Parkplätze und eben Baulücken wie an der Pintschstraße. Sie setzt ihren Auftrag um – wenn auch gnadenlos.

Das wahre Problem aber liegt auf höherer Ebene – nämlich bei einer Politik, die nicht bereit ist, ein Projekt zu überdenken, das wenig Sinn ergibt. Kern des Problems ist offenbar die SPD und ihre Bürgermeisterin Franziska Giffey, deren Devise lautet: Bauen, bauen, bauen, anscheinend egal wie. Die SPD pocht nämlich darauf, das Projekt durchzuziehen. Auch, wenn es nicht zum Koalitionsvertrag passt. Auch, wenn sie hier Umwelt gegen Wohnraum ausspielt.

Das ist besonders unverständlich angesichts der vielen Bürogebäude, die weiterhin in der Stadt, aber auch in direkter Nähe zur Pintschstraße zum Beispiel an der Landberger Allee entstehen – und wo gut und gerne Wohnungen hätten hingebaut werden können. Oder auch angesichts der Haltung Giffeys zur Vergesellschaftung von Wohnungen als Instrument zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum: Der Plan scheint, das Volksbegehren einfach auszusitzen. Die Pintschstraße ist ein Paradebeispiel dafür, wo das Bauen-Bauen-Bauen-Mantra und ein Regieren nach Art von SPD, CDU und FDP hinführt: zu weniger lebenswerten Kiezen und zu weniger Bürgerbeteiligung.


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