Das Coronavirus hat Berlin lahmgelegt. Die Menschen sollen möglichst zu Hause bleiben. Doch manche Jobs lassen sich nicht aus dem Home Office erledigen — weil ihre Arbeit das nicht hergibt oder weil ihre Jobs systemrelevant sind. In unserer Stadthelden-Reihe stellen wir Berliner*innen vor, die trotz der Pandemie immer noch jeden Tag rausgehen und der Situation trotzen. Ob bei der Polizei, im Supermarkt, bei den Sicherheitsdiensten und Logistiker*innen oder im Gesundheits- und Pflegesektor. Dieses Mal: Busfahrer Sener Piskin, der seine Fahrgäste jeden Tag mit dem 265er oder 165er Bus vom Schlesischen Tor nach Schöneweide und zurück bringt. Wir haben mit ihm über die Angst vorm Anstecken, verständnisvolle und weniger tolerante Fahrgäste gesprochen
tipBerlin Herr Piskin, vor etwa drei Wochen hat die BVG in allen Bussen die vorderen Einstiegstüren gesperrt und im Bus eine Absperrung eingerichtet, sodass niemand mehr nach vorne zu den Fahrer*innen durchgehen kann. Akzeptieren die Menschen das?
Sener Piskin Insgesamt ja. Am Anfang haben manche schon mit Unverständnis reagiert. Aber wenn wir denen die Situation erklären und sagen, dass wir als Busfahrer besonders gefährdet sind und das Virus ja auch nicht weitergeben wollen, dann zeigen die meisten schon Verständnis. Das Ganze ist ja auch zu ihrer eigenen Sicherheit.
tipBerlin Sind die Busse im Moment leerer als sonst?
Sener Piskin Ja. Und in den letzten Wochen wurden es jeden Tag weniger. Ich finde, man hat richtig gemerkt, wie die Menschen sich informiert haben und dann weniger unterwegs waren.
tipBerlin Hatten Sie Angst, sich mit dem Virus anzustecken, bevor die BVG die Absperrungen installiert hatte?
Busfahrer in der Corona-Krise: „Das Fenster neben mir war ständig offen“
Sener Piskin Ja, schon. Da spielt die Fantasie manchmal schon verrückt. Das Fenster links neben mir war ständig offen, damit ich Durchzug hatte und alle Viren schnell wieder weggeblasen werden. Außerdem habe ich mir ziemlich oft die Hände desinfiziert und diese Reinigungstücher benutzt. Ich habe auch mit Handschuhen gearbeitet. Und wenn Fahrgäste eingestiegen sind, habe ich mich ein bisschen zurückgelehnt.
tipBerlin Das heißt, nachdem die Absperrung kam, hatten Sie ein besseres Gefühl beim Arbeiten?
Sener Piskin: Richtig.
tipBerlin Ist es komisch für Sie, dass Sie sich jetzt nicht mehr so mit den Fahrgästen kommunizieren können wie vorher?
Sener Piskin Ja, auf jeden Fall. Bei vielen Fahrgästen ist es ja so, dass man sich ein bisschen kennt. Normalerweise setzen sich manche auf den ersten Platz links oder rechts hinter dem Busfahrer und fragen nach Kollegen, fragen wie es mir geht. Das geht jetzt wegen der Absperrung nicht mehr so gut. Aber unserer Gesundheit und die der Fahrgäste ist wichtiger.
tipBerlin: Haben Sie das Gefühl, dass die Fahrgäste wertschätzen, dass Sie in diesen schwierigen Zeiten Ihren Beruf weiter ausüben?
Stadtheld und Busfahrer Piskin: „Manche zeigen ein Herz mit ihren Fingern“
Sener Piskin Die allermeisten schon. Manche klopfen vorne an die Tür und machen den Daumen hoch oder zeigen ein Herz mit ihren Fingern. Andere kommen im Bus nach vorne, so weit es geht, und sagen Sachen wie: “Bleib gesund!” oder “Danke, dass ihr da seid!”. Aber es gibt auch welche, die zeigen mir einen Vogel oder den Mittelfinger. Letztens hat einer gesagt: “Na, fühlt ihr euch da vorne sicher? Was ist mit uns?” Aber das geht bei mir links rein, rechts raus. Solche Leute wird es immer geben.
tipBerlin Also machen Sie Ihren Job weiterhin gerne?
Sener Piskin Auf jeden Fall, sehr gerne. Viele Leute kennen mich und winken mir schon von weitem zu. Sowas freut mich immer.
tipBerlin Halten sich die Menschen Ihrem Empfinden nach an die neuen Regeln?
Sener Piskin Die meisten schon. Aber ich sehe auch viele, zum Beispiel wenn ich mit dem 194er Bus am Lohmühlenplatz vorbeifahre, dass Menschen Schulter an Schulter nebeneinander sitzen und ihre Getränke trinken.Gerade jetzt in den letzten Tagen bei dem schönen Wetter. Da fragt man sich schon, was passiert, wenn da jetzt einer hustet oder niest. Da sind einfach zu viele Menschen. Lesen die alle keine Nachrichten? Dafür gibt’s aber keine Touristen mehr oder Leute, die feiern gehen, ist ja klar.
Corona? „Manche Radfahrer fahren zu dritt nebeneinander“
tipBerlin Haben Sie das Gefühl, dass die Straßen dafür leerer sind?
Sener Piskin Auf jeden Fall. Es gibt fast keine Rush Hour mehr. Und man merkt wirklich, wie mit jeder halben Stunde stufenweise weniger Autos durch die Stadt fahren. Abends sind auch keine Fußgänger mehr unterwegs. Ab 19 oder 20 Uhr ist wirklich alles ausgestorben. Neulich bin ich mit dem Bus an der Simon-Dach-Straße vorbeigefahren. Und da konnte ich bis zum Ende der Straße gucken. Das gibt’s sonst nie, da tobt das Leben sonst.
tipBerlin Kommen Sie jetzt mit dem Bus schneller voran?
Sener Piskin Ja, jetzt habe ich oft freie Fahrt. Normalerweise liegen auf meiner Stammstrecke viele Kitas und Schulen. Da dauert es sonst immer ein bisschen, bis alle eingestiegen sind. Jetzt geht alles ganz schnell. Dafür sind viel mehr Radfahrer unterwegs.
tipBerlin Müssen Sie deswegen mehr aufpassen?
Sener Piskin Ja. Ich glaube, manche lassen sich von den leeren Straßen verführen. Die fahren dann zu dritt nebeneinander oder im Zick-zack. Oder sie wollen ihre speziellen Fahrräder mal ein bisschen ausprobieren und fahren freihändig oder nur auf einem Rad. Aber ich hupe dann und die Leute merken, dass sie jetzt anständig fahren müssen.
tipBerlin: Wie fühlt es sich für Sie an, durch eine Stadt im Shutdown zu fahren?
Sener Piskin Das ist nicht meine Welt. Ich finde es fast schon gruselig, wenn abends alles leer ist. Da habe ich kein gutes Gefühl. Ich komme aus Istanbul, ich mag das Gewusel. Ich mag es, wenn, viele bunte Menschen unterwegs sind, ich mag, wenn man in den Straßen die unterschiedlichste Musik hören kann.
In unserer ersten Folge sprachen wir mit einer Taxifahrerin, die trotz Corona ihre Existenz zu sichern versucht.
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