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Toiletten-Desaster in Berlin: Wenn Frau der Penis-Neid packt

Nicht, dass das öffentliche Toiletten wären. Aber Cafés, Kaufhäuser und Shopping-Malls bieten fast immer ein stilles Örtchen. Sind jedoch alle Läden dicht – wie derzeit – wird ein plötzlich eintretender Blasendruck beim Spaziergang durch Berlin zum großen Problem. Insbesondere für Frauen. Ein Erfahrungsbericht.

Verlässt sich die Stadt bei Toiletten zu sehr auf Handel und Gastro? Foto: Images Images/Arnulf Hettrich
Verlässt sich die Stadt bei Toiletten zu sehr auf Handel und Gastro? Foto: Images Images/Arnulf Hettrich

Neulich, Samstag, am Hardenbergplatz vor dem Löwentor des Zoologischen Gartens. Pünktlich um 11 Uhr vormittags postiere ich mich vor diesen Treffpunkt, um von hier aus mit einer Freundin durch den Tiergarten spazieren zu gehen. Ich warte etwa zehn Minuten, rufe sie an. Ooops, die Verabredung ist eigentlich eine Stunde später.

Nun ist Zeit totschlagen angesagt. In Lockdown-Zeiten keine einfache Sache. Ein kurzer Bummel durch einen der anliegenden Modeläden fällt aus – es ist alles geschlossen. Genauso wie die Cafés. Dabei würde ich mich gerade jetzt gerne mal ein wenig aufwärmen, es ist kalt. Und noch soviel Zeit.

Spaziergang in Corona-Zeiten: Wenn plötzlich die Blase drückt

Kaum habe ich diesen Gedanken zu Ende gedacht, meldet sich auch schon ein weiteres Bedürfnis: Die Blase drückt – ich muss mal. Kein Problem, der Bahnhof Zoo ist schließlich nur ein paar Schritte entfernt. Wie heißen die Bahnhofsklos neudeutsch noch gleich? Hygiene-Center? Also Maske auf und ab zum Hygiene-Center, 70 Cent werde ich schon noch in Münzen in meinem Portemonaie vorrätig haben.

Hinter beschlagenen Brillengläsern suchen meine Augen die Vorhalle ab: War hier nicht mal irgendwo eine Türe, durch die es zu den Sanitäreinrichtungen ging? Ich frage am Bahnschalter, fast hätte ich ihn übersehen. Der Bahnhof Zoo wird seit längerem umgebaut, der Schalter ist in einer Nische nur provisorisch untergebracht. Meine Frage hört auch eine Kundin. „Gehen Sie wieder raus“, sagt sie. „Während der Umbauzeit gibt es nur den Toiletten-Container draußen.“

Öffentliche Toilette vor dem Bahnhof Zoo. Foto: Imago Images/Rolf Kremming
Öffentliche Toilette vor dem Bahnhof Zoo. Foto: Imago Images/Rolf Kremming

Stimmt, da war etwas. Da bin ich ja eben dran vorbeigelaufen. Also nix wie zurück. Ich umrunde den Container, der, behindertenfreundlich, immerhin mit einer kleinen Rampe ausgestattet ist. Doch weder Rollstuhlfahrende noch Fußgänger*innen können sich hier erleichtern. „Aus technischen Gründen derzeit geschlossen“ – oder so ähnlich – lautet die Absage. 

Allmählich beginne ich die zwei Tassen Kaffee, die ich als erste morgendliche Amtshandlung hinuntergespült hatte, zu bereuen.

Normalerweise kein Thema in Berlin

Zwischendurch mal pinkeln zu müssen ist in einer Großstadt wie Berlin ja sonst kein nennenswertes Problem: Die Kaufhäuser und Shopping-Malls verfügen alle über Kundentoiletten und auch in Cafés und Restaurants lächeln die Leute hinter der Theke auf die Bitte, das WC benutzen zu dürfen, eher milde. Vor allem dann, wenn frau ganz devot gleich eine 50-Cent-Münze rüberschiebt.

Ich linse zu McDonald’s hoch oben auf den Zooterrassen. Und zu seinem muslimischen Gegenstück direkt gegenüber, Risa Chicken, mit seinem Halal-Food. Beide Schnellrestaurants dürfen im Lockdown nur Essen zum Mitnehmen verkaufen. Die Gasträume – und mit ihnen die Sanitäranlagen – scheinen hermetisch abgeriegelt.

Ganz schön blöd, wenn Pinkeln-müssen weitgehend ein Privatproblem zu sein scheint und entsprechende Erleichterungsangebote praktisch ausschließlich in einem kommerziellen Umfeld angeboten werden.

Das Business mit dem Geschäft

Zwar hat sich Berlin zur Aufgabe gemacht, die Ausstattung mit öffentlichen Toiletten von derzeit rund 280 auf 366 entsprechenden Anlagen zu erhöhen. Angesichts einer Stadtfläche von rund 890 Quadratkilometern ist das, nun ja, allerdings nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.

Falls so eine Toilette ohnehin nicht gerade gewartet wird oder aus anderen technischen Gründen geschlossen ist. Nur zu lebhaft erinnere ich mich an eine Situation im letzten Jahr, es war ebenfalls Lockdown, wo ich mich vormittags zu einem Outdoor-Interview im Schöneberger Nelly-Sachs-Park verabredet hatte. Per Rad dort angekommen war ich ebenfalls etwas zu früh – und hatte das bekannte Kaffee-Problem: Wohin mit der vom Körper inzwischen verarbeiteten Flüssigkeit?

Pech gehabt! Foto: Imago Images/Mauersberger
Pech gehabt! Foto: Imago Images/Mauersberger

Ich erinnerte mich an die City-Toilette Potsdamer-, Ecke Kurfürstenstraße, sauste schnell dorthin. Stand aber leider vor verschlossener Tür: „Aus technischen Gründen geschlossen.“ Mal abgesehen davon muss man die 50 Cent „Eintritt“ übrigens auch passend haben. Weder funktioniert die Eingabe von Geldscheinen oder, bei derzeit noch den allermeisten öffentlichen Toiletten, von irgendwelchen Bankkarten.

Auch Rückgeld wird, zum Beispiel beim Einwurf von einer Zwei-Euro-Münze, nicht gegeben. Wie oft mögen die Betreiber, in Berlin ist das vorwiegend die Wall GmbH, davon profitiert haben, wenn das kleine Bedürfnis auf einmal zu einem äußerst dringlichen Problem wurde und die Frage nach Rückgeld nebensächlich wird?

Derzeit lernen wir die Kunst des Einhaltens

Doch diese Gedanken nützen mir jetzt hier, am Hardenbergplatz, auch nichts. Der Blasendruck bekommt etwas Schmerzhaftes, mein Hirn beginnt, sich auf die Kontrolle der Körperfunktionen zu fokussieren. Sofort erinnere ich mich an stundenlange Autofahrten in den Urlaub.

Damals als Kind, als ich mit meinen Geschwistern im Fond saß, während die Mutter das Fahrzeug mit Elan über die Autobahn jagte und der Vater auf dem Beifahrersitz eine Zigarette nach der anderen schmauchte.

Während der Fahrt einmal wegen des kindlichen Pinkeldrangs anzuhalten wurde von unserer Mutter, der Steuerfrau mit stählerner Blase, noch als okay betrachtet: Alle drei Geschwister wurden zur Raststättentoilette abkommandiert. Blöd nur, wenn der individuelle Drang da erst kaum, ein paar Kilometer später aber umso verzweifelter vorhanden war.

Der schönste Ort auf Erden, wenn man während der Autofahrt drigend mal muss. Foto: Imago Images/brennweiteffm
Der schönste Ort auf Erden, wenn man während der Autofahrt drigend mal muss. Foto: Imago Images/brennweiteffm

Man solle einfach einhalten, sagte die Mutter leichthin auf die zaghafte Bitte, nun wieder ein Klo anzusteuern. Okay, also einhalten – aus kindlicher Perspektive für gefühlt die nächsten 900 Kilometer. Während die Familie im Auto auf landschaftliche Besonderheiten aufmerksam machte oder Anekdoten zum Besten gab, litt das betroffene Kind, ich, den Blick stier auf einen festen Punkt gerichtet, vor sich hin. Nur ein kurzes Nachlassen der Konzentration, so die angstvolle Sorge, könnte alle Dämme zum Platzen bringen.

Schwangere trifft’s besonders hart

Nicht viel anders fühlte sich das Jahre später während der Schwangerschaften an. Kaum hatte ich das Haus verlassen, machte sich schon die durch das werdende Kind gefühlt auf Haselnussgröße zusammengepresste Blase bemerkbar.

„Alles klar zu Wende – Ree!“, kommandierte das Hirn im Seglerjargon und sorgte für den geordneten Rückzug in die sicheren, heimischen vier Wände. Um dann, nach der Entleerung einer Schnapsglasmenge an Flüssigkeit, erleichtert wieder loszuziehen. Wie mag das für Schwangere nun in Lockdown-Zeiten sein? Können sie das Haus überhaupt noch verlassen?

Weibliches Wildpinkeln mit Hindernissen

Ich aber habe das Haus jetzt nun einmal verlassen, weiß immer noch nicht, wohin mit mir. Bis die Not eine zwangsläufige Lösung gebiert: Ich muss Wildpinklerin werden! Kurz nach dem Löwentor führt der Weg entlang der Bahngleise doch direkt in den Tiergarten. Irgendwo da werde ich mich in die Büsche schlagen. Mit zielgerichteten Schritten und gleichmäßigem Takt, der allzuviel Erschütterung vermeidet, walke ich los.

Ganz schön viel Betrieb hier! Alle paar Meter spazieren Menschen den Weg entlang. Auf die Idee, Berlins Grünanlagen aufzusuchen, kommen in Lockdown-Zeiten eben nicht nur ich und meine Freundin. Meinem Pinkel-Plan steht außerdem die winterliche Jahreszeit diametral entgegen: Die entlaubten, dürren Büsche bieten keine echte Deckung.

Zumal ich mich umständlich aus einer Jeans mit darunter liegender, wärmender Leggings pellen müsste. Damit dann weder mein Mantel noch andere Textilien benetzt würden, wäre ein komplizierter Balanceakt in der Hocke erforderlich. Ich kann das schaffen! Für noch ältere, nicht mehr ganz rüstige Geschlechtsgenossinnen ein weiterer Hinderungsgrund, in dieser Situation ihrem natürlich Bedürfnis folgen zu können.

Wildpinkeln in der Stadt: Für die meisten Männer das normalste der Welt. Foto: Imago Images/Jürgen Ritter
Wildpinkeln in der Stadt: Für die meisten Männer das Normalste der Welt. Foto: Imago Images/Jürgen Ritter

Jetzt mal für ein paar Minuten Mann sein! Der Weg vom ersten, noch zarten Blasendrang bis zur Erleichterung wäre ein deutlich kürzerer gewesen. Unauffällig hätte ich mich nur wenige Meter neben dem Löwentor mit dem Rücken zum Hardenbergplatz in eine Nische stellen können.

Ohne irgendeine Verrenkung unternehmen zu müssen, hätte ich dezent den Hosenschlitz geöffnet, den Hahn herausgeholt und auf „Entleerung“ gestellt. Anschließend wäre mit wenigen Handgriffen alles schnell wieder eingepackt – fertig! Ja, ich gebe es zu: So gerne ich auch sonst Frau bin – bei Pinkel-Pein überkommt mich mitunter Penisneid.

Öffentlich geförderter Penisneid

Dieser Neid scheint seitens der öffentlichen Hand übrigens gewollt zu sein. Denn mit den ab 1878 einst mit der Errichtung der von Carl Theodor Rospatts entworfenen „Café Achtecks“, öffentlichen Pissoirs, hatte man einzig Menschen mit Penis im Visier: Die zeitweilig rund 140 dieser Bedürfnisanstalten waren ausschließlich für männliche Stehpinkler gedacht.

Zwar wurden einige der wenigen erhaltenen, gußeisernen Pissoirs ab Anfang der 1990er Jahre zu – immerhin kostenlos benutzbaren! – öffentlichen Toiletten mit neutralen Kabinen für Männer und Frauen umgebaut.

Viele der seit 2018 im Rahmen eines neuen, städtischen Toilettenkonzeptes jüngst errichten City-Toiletten bevorzugen indessen People, die durch einen Pimmel pullern können: Die oberschenkelhoch installierten Urinale auf der einen Seite der Anlage sind ohne Geldzahlung zugängig. Während sich die Türen zu den in Kabinen befindlichen Toilettenschüsseln auf der anderen Seite des Gebäudes erst nach Münzeinwurf öffnen. Sprich: Männer pinkeln kostenlos, Frauen müssen für ihre Erleichterung blechen.

Ok, die Schutzwand hätte etwas breiter ausfallen können. Foto: Imago Images/Jürgen Ritter
Ok, der Sichtschutz hätte etwas breiter ausfallen können. Das Konzept bleibt diskriminierend. Foto: Imago Images/Jürgen Ritter

Frau muss sich etwas einfallen lassen

Ich aber werde heute nicht fürs Pinkeln zahlen müssen! Inzwischen ist nämlich meine Freundin aufgetaucht. Vorausschauend, wie sie nun einmal ist, hat sie angesichts von ein paar Wolken für unseren Spaziergang einen Schirm mitgenommen, einen Doppelschirm. Der ist groß genug, zwei Personen vor Nieselregen zu schützen.

Und aufgespannt sei ein Schirm auch groß genug, wie sie mir mit bestimmenden Worten erklärt, vor einem Gebüsch als eine Art Spanische Wand zu dienen.

Also stapfen wir nun zurück in Richtung Tiergarten. Und bauen bereits nach kurzem Weg unsere denkwürdige Installation auf. Unauffällig geht anders, was aber längst egal ist. Zumal wir nicht nur kichern, sondern zeitweilig in brüllendes Gelächter ausbrechen.

Trotzdem gelingt das Erleichterungsmanöver endlich. Selten bin ich so federnden Fußes durch einen Park flaniert, wie nach der ganzen Aktion. Also danke, Berlin! Für nichts!

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Von der Kaiserzeit bis Heute: eine Typologie der öffentlichen Toiletten in 12 Bildern. Wenn ihr euren Spaziergängen einen kleinen Thrill verpassen wollt, empfehlen wir einen Würfel-Spaziergang auzuprobieren. Urinellas nicht vergessen, Ladys. Oder eben Schirme.

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