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Kommentar

Xhain-Terrassen: Parkplätze werden zum Außenbereich der Gastronomie – ja bitte!

In Friedrichshain-Kreuzberg können Restaurants, soziale Projekte und Einzelhandel neuerdings Parkplätze temporär als Außenbereich nutzen. Unter dem Namen „Xhain-Terrassen“ soll das Projekt Unternehmen nach dem langen Corona-Winter eine Perspektive ermöglichen. Das ist richtig so – und fördert nebenbei auch ein bisschen das Gemeinwohl. Ein Kommentar von Aida Baghernejad.

Die Marabu-Bar hat genug Platz für Tische und Bänke auf dem Gehweg – doch der Stadtraum ist beengt. Die "Xhain Terrassen" können Abhilfe schaffen.        Foto: Imago/Jürgen Held
Die Marabu-Bar hat genug Platz für Tische und Bänke auf dem Gehweg – doch der Stadtraum ist beengt. Die „Xhain-Terrassen“ können Abhilfe schaffen. Foto: Imago/Jürgen Held

Wir haben Grund zum Feiern

Der Sommer ist da, die Inzidenzen gefallen, immer mehr Berliner:innen sind geimpft und Gastronomie, Kunst und (Teile der) Kultur haben nach über einem halben Jahr Lockdown abgestaubt und Türen und Toren wieder geöffnet. Grund zum Feiern, oder? Also mit Abstand und Anstand natürlich. 

Wenn ich durch die Straßen der Innenstadtbezirke, zum Beispiel meines Zuhauses Friedrichshain-Kreuzberg, laufe, kann ich die Lebenslust meiner Mitbürger:innen förmlich mit den Händen fassen: die Cafés und Restaurants sind voll, und weil bislang noch kaum Tourist:innen in die Stadt zurückgekehrt sind, fühlt sich alles an wie eine intime Party der Nachbarschaft. Lokale erfüllen mehr denn je eine ihrer ureigensten Aufgaben: Sie sind Orte der Begegnung und der Gemeinschaft für Kiez und Stadt.

Xhain-Terrassen: Das Projekt hilft auch der Wirtschaft

Diese intime Party aber, sie kurbelt auch ganz Nebenbei die Wirtschaft der Stadt wieder an, zumindest ein kleines Stück: Die Gastronomie ist ein wichtiger, doch oft übersehener Wirtschaftsfaktor Berlins. Jedes Dinner mit Freund:innen, jeder Abend vor der Kneipe spült Geld in die Kassen der oft in den letzten Monaten verzweifelten Kleinunternehmer:innen, aber auch in die Kassen der Corona-gebeutelten Kommune. Und das kommt im Endeffekt uns allen zugute.

Bedenkt man all das, da erscheint es ganz logisch, dass der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg sein Programm der “Xhain Terrassen” aus dem vergangenen Jahr ausgebaut hat: Gastronomiebetriebe und auch soziale Betriebe und Einzelhandel können hier beantragen, einige Parkplätze vor ihrem Laden abzusperren und dort entweder Tische aufzustellen oder ihre Waren auszulegen.

Was 2020 aber noch auf wenige Straßen beschränkt war, ist nun theoretisch überall im Bezirk  möglich – allerdings geht jeder Antrag durch eine Einzelfallprüfung durch das Straßen- und Grünflächenamt, das sich genau mit dem Verkehrsaufkommen und -bedürfnis der Location auseinandersetzt. Das Ziel der Aktion ist es, “Betriebe bei der Sicherung ihrer ökonomischen Existenz und bei der Umsetzung von Pandemievorgaben wie Abstandsregeln” zu unterstützen, so das Bezirksamt. Davon profitierten 2021 bislang 136 Unternehmen, deren Anträge genehmigt wurden. Und nicht nur die – denn im Gegenzug bleibt auch mehr Raum auf dem Bürgersteig frei.

Wem gehört eigentlich Berlin?

Die „Xhain-Terrassen“ sind eigentlich ein guter Deal für alle, möchte man meinen. Aber natürlich gibt es immer irgendjemanden, der auf die Barrikaden steigt. Schließlich sind wir ja immer noch in Berlin. In diesem Fall sind es einzelne Autofahrer:innen wie kürzlich auch mein Kollege, der sich fragte, warum die raren Parkplätze zum Außenbereich der Gastronomie werden. Die Parkplatzsuche, so argumentieren sie, wird nun noch anstrengender, und überhaupt, wer brauche schon die Gastronomie?

Dahinter stecken fundamentale Fragen, die wir als Gemeinschaft beantworten müssen: Welchen Wert haben Räume der Begegnung und lebendiger lokaler Einzelhandel für uns? Und wem gehört die Stadt? Welche Art der Privatisierung öffentlichen Raumes möchten wir gestatten? Restaurants und Läden, die auf dem öffentlichen Straßenraum Profite erwirtschaften? Oder Autos, die den Raum blockieren? 

Die meisten Autos stehen ohnehin nur rum

Denn seien wir doch mal ganz ehrlich: die meisten Gefährte werden höchstens eine Stunde am Tag bewegt, um 23 Stunden herumzustehen. 23 Stunden, in denen sie mehrere Quadratmeter öffentlichen Raumes blockieren. 23 Stunden, in denen Kinder weniger Platz zum Spielen haben, Menschen weniger Raum für Spaziergänge, zum Leben, zum Atmen. 

Im Autofahrerland Deutschland haben wir uns bislang darauf geeinigt, dass dem Blech die Stadt gehört – und wir vor allem ein Anrecht auf mindestens billige, meistens sogar kostenlose Parkplätze haben. Aber mit welchem Recht eigentlich? In Friedrichshain-Kreuzberg befinden sich Autofahrer:innen in der Minderheit: gerade mal 35% der Haushalte verfügen über ein Auto, so eine vom Senat in Auftrag gegebene Studie aus dem Jahr 2018, Tendenz sinkend.

Gleichzeitig wächst die Anzahl an Fahrradfahrer:innen, insbesondere im Ring, und die beliebtesten Fortbewegungsmittel Berlins sind sowieso die eigenen zwei Beine und der öffentliche Nahverkehr. Vielleicht ist es also mal Zeit, gewisse Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen?

Mit welchem Recht blockieren Autos eigentlich die Stadt?

Dabei bin ich gar keine Autohasserin: Ich habe selbst einen Führerschein und wuchs an einem Ort auf, wo man ohne Auto aufgeschmissen ist. Mein Lebensgefährte hat auch heute noch eins und ich kann nicht leugnen, dass es bisweilen furchtbar praktisch ist. Nur: Mit welchem Anrecht belegen Autos so viel öffentlichen Grund? In den Innenstadtbezirken einer immer voller werdenden Stadt, in denen sowieso nur eine Minderheit überhaupt über ein eigenes Auto verfügt?

Autos sind Privateigentum. Manchen sind sie für ihre Mobilität unabdinglich, den meisten aber, so ehrlich müssen wir doch sein, dienen sie der Bequemlichkeit. Und das ist auch vollkommen okay. Allerdings sollten wir davon abrücken, dieser Bequemlichkeit weiterhin so weitreichende Privilegien einräumen zu müssen wie bisher – erst recht angesichts des Bevölkerungswachstums und durch den Klimawandel immer häufiger auftretender Hitzewellen und anderer extremer Wetterereignisse. Wer das nötige Kleingeld für ein Auto hat, sollte sich auch um dessen Unterbringung kümmern.

Die Stadt wird enger und wärmer, das heißt, dass wir alle ein wenig verzichten müssen, um uns gegenseitig das maximal beste Leben zu ermöglichen. Und wir können froh sein, wenn dieser Verzicht nur ein paar Parkplätze umfasst, in denen dafür unsere Lieblingskneipe drei Tische aufstellen kann.


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