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Kommentar

Zeitumstellung: Endlich wieder Sommerzeit!

Die Zeitumstellung erhitzt immer wieder die Gemüter. Die Wissenschaft – und mit ihr fast alle Medien – scheinen in der Umstellung auf die Sommerzeit, wie sie vom 30. auf den 31. März mal wieder geschehen wird, ausnahmslos Negatives zu sehen. Doch in Wirklichkeit werden die langen Tage gerade in Berlin Jahr um Jahr gefeiert. Denn erst an den langen Tagen blüht die Stadt so richtig auf – so wie auch tipBerlin-Redakteurin Eva Apraku.

Zeitumstellung in Berlin: „Im Frühjahr und Sommer habe ich – trotz Sommerzeit! – morgens viel mehr Lust, in den Tag zu starten, als in den ewig dunklen Wintermonaten“, schreibt tipBerlin-Redakteurin Eva Apraku.  Foto: Imago/Manngold
Zeitumstellung in Berlin: „Im Frühjahr und Sommer habe ich – trotz Sommerzeit! – morgens viel mehr Lust, in den Tag zu starten, als in den ewig dunklen Wintermonaten“, schreibt tipBerlin-Redakteurin Eva Apraku. Foto: Imago/Manngold

Zeitumstellung: Das wird mal wieder ein Gejammer ohne Ende sein

Liebe Leserinnen und Leser, darf ich euch ein Geheimnis verraten? Ja? Na gut. Aber, psst!, nicht weitersagen: Ich kann hellsehen! Ihr glaubt mir nicht. Okay, dann werde ich euch jetzt eine Kostprobe geben. Den Wahrheitsgehalt meiner Vorhersagung könnt ihr spätestens nach Ostern überprüfen. Dann nämlich, wenn die Zeitumstellung auf die Sommerzeit in der Nacht vom 30. zum 31. März absolviert ist. Zahlreiche Medien werden kurz zuvor oder spätestens am Sonntag, den 31. März darüber berichten. Und wahrlich, ich sage euch: Es wird ein Gejammer ohne Ende sein. Glaubt man Zeitungen, Fernsehsendern und natürlich auch dem Internet, scheint die Umstellung auf die Sommerzeit in ihren katastrophalen Folgen in etwa den Auswirkungen der Corona-Pandemie gleichzukommen.

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Sogar die rational-bedächtige „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) betitelte kurz vor der Umstellung zur Sommerzeit am 24. März im vergangenen Jahr ihren fast ganzseitigen Artikel dazu mit „Jetlag für Monate“. Was folgte, war eine Aufzählung der vermeintlich verheerenden Folgen des Drehens an der Uhr: monatelange Abgeschlagenheit am Morgen und Schlafstörungen in der Nacht. Als Folge davon könnten uns Menschen Diabetes, Fettleibigkeit, Depressionen und sogar Krebs erwarten. Wie furchtbar! Schließlich sind das alles Krankheiten, die nachweislich ein früheres Ableben zur Folge haben. Und sogar der Energieverbrauch würde nicht, wie zu Beginn der Zeitumstellung im Jahr 1980 erhofft, durch eine Stunde mehr natürliche Helligkeit am Tag sinken, sondern würde stattdessen steigen: „Weil Frühaufsteher heizen, um gegen die Frühjahrskälte bei Dunkelheit anzukommen“, hieß es in der „SZ“.

Hallo? Dreht nach der Zeitumstellung morgens echt nochmal jemand extra für ein Stündchen die Heizung auf? Und wachen in diesen Tagen in unseren Breitengraden nun nicht ohnehin viele Menschen von ganz alleine früher auf als etwa noch im November und Dezember? Einfach, weil die Sonne jetzt bereits kurz nach sechs Uhr aufgeht, es im Zimmer heller wird – und die Vögel bei Sonnenaufgang anfangen zu singen? Was bei aller anfänglichen Müdigkeit übrigens ziemlich gute Laune macht. Mir jedenfalls. Im Frühjahr und Sommer habe ich – trotz Sommerzeit! – morgens viel mehr Lust, in den Tag zu starten, als in den ewig dunklen Wintermonaten.

Und das Seltsame ist: Forschende wie der Chronobiologe Till Roenneberg, auf den sich auch die „SZ“ in ihrem Fast-Ganzseiter bezog, verweisen, wenn sie jahrein, jahraus gegen die Sommerzeit wettern, stets auf den Einfluss der natürlichen Lichtverhältnisse auf unsere innere Uhr.

Als wenn hierzulande, wie in den Ländern am Äquator, das ganze Jahr über Tag und Nacht stets gleich lang sind, also jeweils rund zwölf Stunden dauerten. Und jegliche Abweichung von diesem starren Rhythmus quasi den Untergang der Menschheit bedeuteten. Wie können Tourismusunternehmen da bloß so irre sein und Menschen etwa zur sommerlichen Mitternachtssonne nach Norwegen locken? Da scheint die Sonne dann nämlich 24 Stunden lang. Grausam!

Menschen kommen mit der Zeitumstellung klar, so viel Flexibilität kann man ihnen schon zutrauen

Überhaupt Tourismus! Müsste der nicht zugunsten unnötiger Ausgaben der Krankenkassen in Sachen Behandlung von Diabetes, Fettleibigkeit, Depressionen und Krebs gänzlich verboten werden? Jedenfalls dann, wenn bei den Reisen Zeitunterschiede zu bewältigen sind? Denn wenn Berliner:innen sich morgens aus ihren Betten schälen, dürfen beispielsweise die New Yorker noch fünf Stunden länger schlummern. Wobei nächtliches Schlummern in der Ausgehstadt Berlin interessanterweise ja ohnehin nie so groß geschrieben wurde: Das Fehlen einer Sperrstunde in Berlin hat eine lange und nicht nur für Tourist:innen sehr attraktive Tradition. Während anderswo die Bürgersteige hochgeklappt werden, geht es in der Hauptstadt erst so richtig los. Doch: Können wir diese eklatante Missachtung von menschlichen Biorythmen nur des reinen Vergnügen willens wirklich verantworten, müsste man mit Chronobiologen wie Roenneberg fragen?

Es scheint ein ziemlich starres Menschenbild zu sein, auf das sich die Sommerzeit-Hassenden beziehen. Demnach wäre der Mensch in seiner genetischen Prägung völlig unflexibel und dazu verdammt, in einem ewig gleichen Tag-Nacht-Rhythmus ohne Möglichkeiten zu Abweichungen oder geographischen Anpassungen zu verharren. Fragt sich nur, wie unsere Spezies es geschafft hat, von Afrika aus den ganzen Globus mit all seinen unterschiedlichen Tag-Nacht-Zeiten und den entsprechend unterschiedlichen Hell-Dunkel-Phasen zu besiedeln?

Doch wisst ihr was? Tatsächlich nehme ich den Sommerzeit-Hassenden ihre Gesundheits-„Argumente“ nicht wirklich ab. Meiner bescheidenen Beobachtung nach sind diese Leute meist einfach nur pissed, weil eine höhere Macht – der böse Staat! – ihnen vermeintlich vorschreibt, wann sie morgens aufzustehen haben. In einer hyperindividualisierten Gesellschaft wie der unseren wird Demokratie oft falsch verstanden: Als müsse die Regierung bei jeder kleinsten Entscheidung vor den Einzelnen erst einmal einen roten Teppich ausrollen, um Person für Person jeweils überaus empathisch zu befragen, ob ihr dieser oder jener Beschluss persönlich auch wirklich genehm ist.

In Sachen Zeitumstellung bedeutet das: Will jemand, um etwa von Berlin nach Düsseldorf zu kommen, einen preisgünstigen ICE-Zug nehmen, wird ohne mit der Wimper zu zucken der Wecker auf morgens vier Uhr gestellt, um den supersparpreisgünstigen 5.28-Uhr-Zug für beispielsweise 45,90 Euro zu kriegen. Und um nicht für den späteren 8.59-Uhr-Zug rund 100 teure Euro blechen zu müssen. Sagt jedoch der „böse“ Staat, hey, nutzt die Sommerzeit und habt mal was vom Tag, dann geht das für diese Sensibelchen „so gar nicht“.

Dabei, liebe Leute, kann ich sogar noch viel weiter hellsehen, als gerade mal bis zur Umstellung auf die Sommerzeit: Bereits nach einer Woche, spätestens jedoch, wenn die Tage nicht nur länger hell, sondern auch wärmer werden, kräht kein Hahn mehr wegen der Zeitumstellung! Statt, wie an dunklen Wintertagen, abends hinter irgendwelchen Bildschirmen abzuhängen (das soll übrigens nachweislich weder schlaf- noch sonstwie gesundheitsfördernd sein), nutzen viele die extralangen Sommertage, um rauszugehen, Freunde zu treffen, durch Parks zu flanieren, Sport zu treiben, mit dem Fahrrad durch die Stadt und durchs Umland zu rollen.

Einfach den Frühling und Sommer genießen

Umstellung auf die Sommerzeit – war da was? Ich jedenfalls habe im Mai, Juni, Juli, August noch nie, wirklich niemals jemanden über die „Bürden“ der Sommerzeit klagen hören. Wie ich genießen die meisten Menschen stattdessen (anscheinend eher unbewusst), dass nach den Feierabenden in der Arbeitswoche noch viel Tag übrig ist, man noch so viel Lust hat, etwas zu unternehmen. Und genau dazu wünsche ich euch jetzt das Allerbeste! Habt eine wunderbare Sommerzeit! In einer Stadt wie der unseren, die im Sommer erst so richtig aufblüht.


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