Mitte – das ist für manche Berliner mittlerweile fast schon ein No-Go. Zu überlaufen sind die touristischen Trampelpfade rund um den Hackeschen Markt, die Oranienburger Straße und den Rosenthaler Platz. Und doch gibt es sie noch: die beschaulichen, ruhigen Ecken und Seitenstraßen, in die sich kaum ein Tourist verirrt. Und natürlich die Insider-Adressen, die nicht in jedem Berlin Guide zu finden sind. Der Berliner Record Store auf der Invalidenstraße ist eine solche Adresse und war daher der Treffpunkt für unsere Tour mit Musiker Henning Wehland am 28. Januar 2019, der sich als hervorragender Guide bewährte. Besser hätte unsere Eventreihe „Berlin mit Berlinern präsentiert von Mastercard Priceless Berlin“ gar nicht ins neue Jahr starten können.
Im Plattenladen „The Record Store Berlin“ scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Poster und Plattenhüllen von Künstlern wie Bob Dylan, Tom Waits und Miles Davis zieren komplett die Wände. Im Hintergrund läuft Musik – natürlich eine Vinylscheibe. Und auch die beiden Betreiber, so um die 30, sehen eher wie Hippies aus den 60ern aus. Henning Wehland steht in der Mitte des kleinen Plattenladens, umringt von den rund 20 Teilnehmern. Der 47-jährige Musiker zählt zur Gattung der Ewigadoleszenten. Wenn auch mittlerweile grau meliert, versprüht der in Münster aufgewachsene Sänger sofort einen jungen Spirit. Sein lässiger Look, bestehend aus schwarzem T-Shirt, schwarzen Jeans, schwarzen Vans und schwarzer Designer-Brille, unterstreichen seine Attitüde und das Image eines coolen Rockmusikers. Seit den 90ern ist er als Musiker und Songschreiber unterwegs. Er war Frontmann der Crossover-Band H-Blockx, die mit über 2 Millionen verkauften Alben zu den wichtigsten deutschen Rockbands der 90er Jahre zählt.
Von Münster ging es über Berlin nach Mannheim, wo er 2007 bei den Söhnen Mannheims einstieg. Eine komplett neue Erfahrung, die ihn aber über mehr als zehn Jahre geprägt hat. Dort musste er erst einmal lernen zu singen, erklärt er. Denn während bei den H-Blockx eher die Lautstärke und eine punkige Performance zählten, standen bei den Söhnen Mannheims die leisen, aber genauen Töne im Vordergrund. Ein krasser Genre- und Imagewechsel, den viele seiner Fans nicht nachvollziehen konnten. Heute geht Henning Wehland wieder seine ganz eigenen Wege. Sein Solo-Album „Der Letzte an der Bar“, das 2017 herauskam, knüpft von der Geisteshaltung wieder an seinen Crossover-Wurzeln an. Der Bartresen ist für ihn der Inbegriff von menschlichem „Crossover“. Hier kommen per Zufall verschiedene Menschen zusammen, die ihre unterschiedlichen Geschichten erzählen. Henning Wehland konzentriert sich auf seinem aktuellen Album auf die Energie und Momente, die man zwischen den Zeilen bzw. Tönen hört. Für die Produktion seiner neuen Songs hat er in der gesamten Republik Gleichgesinnte gesucht und gefunden, um seine Geschichten und die aus seinem Umfeld zu erzählen.
Vom Plattenladen geht es musikalisch weiter. Henning führt uns in das Tonstudio BlackHead Studios in der Novalisstraße, das von Klas-Henrik Lindblad, besser bekannt als Sasse, betrieben wird. Der finnische Elektronikproduzent ist seit 1999 in Berlin ansässig und betreibt ein kleines, aber feines Tonstudio. Auch wenn Henning und Sasse in verschiedenen musikalischen Genres zu Hause sind, verbindet die beiden eine langjährige Freundschaft. Gerne tauschen sie sich fachlich aus und lassen sich gegenseitig voneinander inspirieren. Hier erklärt uns Henning, wie wichtig das Mastering eines Albums ist. Ob Streaming-Dienst, CD oder Platte: Der endgültige Sound wird dem jeweiligen Medium angepasst. Sasse und Henning reflektieren, wie sich die Produktion eines Albums durch die Digitalisierung verändert hat. Was früher 150.000 DM kostete und ein kreativer Prozess war, ist heute um einiges günstiger und nicht selten lieblos schnell erledigt.
Nach einigen unterhaltsamen Anekdoten mehr, und die hat Henning Wehland wahrlich zuhauf parat, ist die Zeit im Tonstudio abgelaufen und es geht weiter zum BeachMitte in der Caroline-Michaelis-Straße. Hier fand der gesellige Teil der Tour statt. Auf dem großzügigen Strand-Sportplatz ist im Winter Nebensaison. Nach einem Glas Glühwein oder Apfelpunsch und einer Butterbrezel wurde es beim Eisstockschießen noch richtig sportlich. Die Teilnehmer traten in drei Gruppen gegeneinander an. Henning ließ sich nicht lumpen und schleuderte die Stöcke eifrig mit. Danach ging es in die urige Holzhütte, wo die Gruppe mit heißem Chili con Carne und kalten Getränken versorgt wurde. Henning gesellte sich noch lange zu den Teilnehmern und stand geduldig Rede und Antwort. Und so endete am gemütlichen Kamin eine musikalisch-sportliche Tour durch Mitte, die den Bezirk wieder richtig sympathisch gemacht hat. Henning sei Dank!
Am 8. März erschien die neue Single „Es brennt noch Licht in der Stadt“ und am 12. April trat Henning Wehland live im Kreuzberger Bi Nuu auf.
Text: Christine A. Lebert
Fotos: Lena Ganssmann