Der Kaiser hält Audienz. Moment, einen Kaiser gibt es in Deutschland doch schon lange nicht mehr? Stimmt, außer im Atze-Musiktheater, wo am Nachmittag die Premiere von Andersens Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ in der Version von Regisseur Kay Dietrich laufen wird. Vorher hat eine bunt altersgemischte Gruppe zwischen vier und zehn Jahren noch die Chance, einen Blick hinter die Kulissen zu erheischen und mehr über den Ablauf einer Theaterproduktion heraus zu finden.
Die Theaterpädagogin Jana van Beek lädt die Gäste zunächst ein, in der Zeltbühne Platz zu nehmen, eine erst im letzten Spieljahr eingebaute kuschelige Seitenbühne im Treppenaufgang des Hauses. Hier verrät Jana van Beek, wie aus einer kurzen Märchengeschichte ein richtiges Textbuch für ein Theaterstück wird und erzählt von den Proben für das Stück, bei denen auch viel ohne Text improvisiert wurde, um herauszufinden, wie so ein Kaiser sich eigentlich bewegen könnte. Einen Kaiser gibt es zwar nicht mehr in Deutschland, das wissen auch schon die jüngsten Besucher. „Aber wer hat heute besonders viel Macht?“ will sie von den Kindern wissen. „Donald Trump,“ meint ein Junge, „Graf Falkenstein aus Bibi und Tina“ vermutet ein Mädchen. Anschließend dürfen die Gäste ihre Fragen loswerden. „Geht der Kaiser nackt auf die Bühne?“ will ein etwa siebenjähriges Mädchen wissen. Das sei eine Frage, über die auch Regie und Schauspieler lange nachgedacht haben, berichtet Jana van Beek. „Ein nackter Mann im Kindertheater, das ginge natürlich nicht,“ sagt sie. Aber man habe eine andere Lösung gefunden. Welche, wird noch nicht verraten. Eine erwachsene Besucherin fragt, ob das Haus schon immer ein Theater war. Tom Müller-Heuser, zuständig für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, erzählt, dass im Gebäude zunächst Audimax und Mensa der angrenzenden Beuth-Hochschule für Technik untergebracht waren.
Ein gutes Stichwort, um das Haus noch etwas näher zu erkunden. Beim Besuch auf der Studiobühne laufen gerade die letzten Vorbereitungen für die Inszenierung. Cellist und Schauspieler Nikolaus Herdieckerhoff spielt sich ein auf seinem Instrument, das schon viele Stunden vor Beginn des Stücks im Raum gelagert werden muss, damit es die Raumtemperatur annimmt und sich nicht gleich wieder verstimmt. „Kommt herein, das ist ein Kindertheater und keine Kirche,“ ermuntert er die Gästegruppe zum Nähertreten. Auf der Bühne stehen ein gelber Mülleimer, ein riesiger Hochstuhl und ein Garderobenständer mit Kleidung von Fischerhemd über Pailletten-Jacke bis zu einem goldenen Fahrradhelm. Ein Mitarbeiter verteilt eine matschige Mischung aus Wasser, Sand und Sägespänen auf dem Boden. „Das wird die Straße,“ erklärt er. „Die Mischung rühren wir vor jeder Aufführung frisch an“.
Nach diesen Eindrücken gibt es noch einen Rundgang in Räume, die der Theaterbesucher normalerweise nicht zu sehen bekommt. Vorbei am Getränketresen geht es durch ein Büro hindurch und viele verwinkelte Treppen hinauf, vorbei an einem Technik-Raum voller Kabelrollen und großer Boxen, an Requisiten-Schränken und den Garderoben der Schauspieler. Hier werden gerade die Darsteller eines anderen Stücks, des Singspiels „Albirea“, geschminkt, die sich gleich zur Probe im großen Saal einfinden müssen. Auch in den Saal darf die Gruppe noch einen Blick werfen. Fast 500 Leute haben hier Platz, die Leiterin der Theaterpädagogik Denise Dröge zeigt den Besuchern ein kleines Modell des Bühnenaufbaus von „Albirea“ und erklärt, dass die Bühne unter der Woche zwei oder drei Mal, am Wochenende sogar täglich, immer komplett abgebaut werden und auch möglichst Platz sparend gelagert werden muss. Gar nicht so einfach angesichts der riesigen drei mit buntem Stoff umspannten Säulen, die da auf der Bühne stehen.
Bevor es wieder zurück in die Studiobühne zur Premiere von „Des Kaisers neue Kleider“ geht, gibt es noch eine Stärkung in Form von Mini-Burgern, gefüllten Tomaten, Obstspießen und Saftschorle, die vor allem die kleinen Gäste dankbar annehmen, die jetzt eine Tobepause gut gebrauchen können. Als passendes Requisit dazu sind die Ballons in den Geschenk-Beuteln bestens geeignet, die die tip Backstage-Besucher mit auf den Weg bekommen.
Und dann kommt der große Premieren-Moment, den die tip Backstage-Besucher von extra reservierten Plätzen in der zweiten Reihe aus verfolgen. Der Mülleimer ist jetzt beleuchtet, der Hochstuhl verwandelt sich in einen Thron, der goldene Fahrradhelm wird zwischendurch zur Kaiser-Krone. Der Matsch auf der Straße ist prima zum Ausrutschen geeignet und sorgt für eine Menge Slapstick-Einlagen. Zumal der Kaiser meist auf Stöckelschuhen unterwegs ist. Was er trägt, als er nackt ist, wird auch hier noch nicht verraten. Die begeisterten Zuschauer jedenfalls sehen ein Stück, das jede Menge Schein entlarvt und Erwachsene genauso wie Kinder dazu auffordert, hinter die Kulissen der Macht zu schauen. So gehen die Gäste der tip Backstage-Tour mit einer Menge neuer Eindrücke und Anregungen nach Hause.
Text: Teresa Schomburg
Fotos: F. Anthea Schaap