Besser essen

Kantine Zukunft in Berlin: Vier Millionen Teller Glück

Kantine kann auch anders: das vom Senat geförderte Projekt Kantine Zukunft ist angetreten, das Essen in Kitas, Krankenhäusern und Betriebskantinen zu revolutionieren. Mit mehr Handwerk – und weniger Fleisch. Für eine Gemeinschaftsverpflegung, die diesen Namen auch gerecht wird und mehr ist als bloßes Abspeisen. Nach einem Jahr zieht das Team ein erstes – leckeres! – Resümee.

Kantine Zukunft Team
Kantine Zukunft in Berlin: Frisch zubereiten statt einfach nur aufwärmen. Foto: Saskia Uppenkamp

Das wichtigste Werkzeug in einer Kantine? Heute ist es oft die Schere. Mit ihr werden Tüten mit fertig angelieferten Lebensmitteln, vakuumiert, tiefgekühlt, vorbereitet und jeglichen Geschmacks beraubt, aufgeschnitten. Kein Wunder, dass Kantinen generell keinen guten Ruf haben. Ihre Aufgabe scheint es nicht zu sein, Menschen zu ernähren und die Mittagspause aufzuwerten, sondern sie im wahrsten Sinne des Wortes abzuspeisen. Gulasch aus der Vakuumtüte, Kartoffelbrei aus Pulver dazu, zack, fertig. Aber so muss es nicht sein. Und so soll es auch nicht sein, geht es nach der Kantine Zukunft. Das vom Berliner Senat mit jährlich 1,15 Millionen Euro geförderte Projekt ist angetreten, die Gemeinschaftsverpflegung zu verbessern, das Essen in den Kantinen von BVG, BSR und den Wasserbetrieben, in Krankenhäusern, Schulen und Kitas. Kurz: in all den Orten, in denen Berlin tagtäglich satt wird.

Kantine Zukunft in Berlin: Fertigware ist eine Milchmädchenrechnung

Aber was heißt das überhaupt, besser? Im Fall der Kantine Zukunft bedeutet es: Der Anteil von Biolebensmittel soll auf 60 Prozent gehoben werden. Was aber nur die Hälfte dieser Geschichte ist, denn dieser Bio-Anteil ist zudem der Hebel für eine tiefgreifende Veränderung. Um sich die Bio-Produkte nämlich leisten zu können zu, müssen die knapp budgetierten Kantinen sparen. Das heißt: weniger Fertigware und weniger Fleisch, stattdessen mehr Saisonalität, Regionalität. Und vor allem: wieder selbst kochen, anstatt nur die Tüten und Tonnen mit den Convenience- Produkten aufzureißen.

Dabei stehen auch in den Küchen Menschen, die das handwerkliche Kochen einmal gelernt haben. Aber oftmals nicht mehr können, dürfen, sollen. Sparen war die Prämisse, viel zu lange. Und Kosten sparen hieß, dass an Arbeitskraft und der Frische der Lebensmittel gespart wurde. Dabei ist die angeblich effiziente Tütenware eigentlich deutlich teurer, als selbst Kartoffeln zu kochen und frischen, gemüsegrünen Erbseneintopf aufzusetzen. Aber für den Einkauf sind in einer Kantine eben oft keine Köch:innen zuständig. Sondern dieselben Leute, die auch Druckerpapier und Kugelschreiber besorgen.

Kantine Zukunft in Berlin: Es geht darum, Prozesse zu verändern

„Wir müssen ziemlich viel gemeinsam mit den Küchen umkrempeln“, erzählt Philipp Stierand, promovierter Stadt- und Raumplaner und Leiter des Projekts. „Wir machen es ja nicht nur, um Bioprodukte in die Küchen zu bringen, sondern um Prozesse zu verändern“, ergänzt Dinah Hoffmann. Ziel sei ein neues Selbstverständnis und, ja, auch ein neues Selbstbewusstsein der Mitarbeiter: innen: „Ein Koch oder eine Köchin soll es nicht als Karriereknick empfinden, in einer Kantine zu arbeiten.“

Das Konzept der „Kantinen-Werkstatt“, wie es offiziell heißt, kommt an: „Für dieses Jahr ist die Warteliste voll“, resümiert Stierand, schon jetzt produzieren die beteiligten Küchen vier Millionen Gerichte pro Jahr. Vier Millionen Gerichte, die besser für die Umwelt sind, gesünder für die Menschen – und die natürlich auch viel besser schmecken. „Küchen, die sich jetzt melden, werden auf das nächste Jahr vertröstet. Melden kann sich jeder: Das Programm steht theoretisch allen Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung offen – von der kleinen Kita bis zum großen Krankenhausträger. Die Beratung ist für die teilnehmenden Organisationen kostenfrei, aber dafür müssen sie auf andere Art Ressourcen aufwenden: Zeit und Bereitschaft für tiefgreifenden Wandel.

„Als wir angefangen haben, sind wir noch auf die Küchen zugegangen“, erinnert sich Hoffmann. Schnell aber wandelte sich das Blatt. Ein früher Erfolg war die Arbeit mit den Berliner Wasserbetrieben: Nachdem das Modellprojekt 2020 ausgelaufen war, forderten die Mitarbeiter:innen der Wasserbetriebe mehr – das neue Essen kam offensichtlich an. Und was steht dann da auf der Speisekarte? „Vegetarische Moussaka zum Beispiel“, berichtet Küchentrainer Manuel Poschadel, „auch Shakshuka mit hausgemachtem Brot ist super, der Portobello-Burger mit Ofenkartoffeln ist aber wohl mein Favorit.“

Kantine Zukunft in Berlin: mehr Messer, weniger Scheren

Im Testwochen-Speiseplan der Verkehrsbetriebe hingegen finden sich immer noch Kantinenklassiker wie Grünkohl mit Speck oder ein Chicken-Burrito. Aber auch der ist ein gutes Symbol für den Wandel in den Küchen: dadurch, dass der Fleischanteil auf magere 14 Gramm pro Burrito gesenkt wurde, reicht jetzt das Geld, um Biohühnchen zu verarbeiten. Trotzdem ist der volle Geschmack geblieben – weil beispielsweise auch die Bohnen in Hühnerbrühe gekocht wurden, oder die knusprige Haut ebenfalls in den Burito kommt.

Und so ist die Vision von Stierand, Hoffmann und all ihrer Mitstreiter:innen, die Schere als Küchengerät der Wahl durch Messer und Löffel zu ersetzen. Messer, um selbst zu schnippeln, schneiden, vorzubereiten, und Löffel, um Gerichte zu probieren und abzuschmecken. Und um eine Welt zu schaffen, in der sowohl Kantinenmitarbeiter: innen, als auch ihre Gäste wieder genießen, was auf den Tisch kommt.

  • Kantine Zukunft Aufgrund der Einschränkungen der Pandemie kann man aktuell keine der Kantinen als Gast besuchen – sobald es wieder geht, empfehlen wir einen Besuch im Betriebsrestaurant Spreeschleuse der Berliner Wasserbetriebe, um die Arbeit der Kantine Zukunft auch schmecken zu können. www.kantine-zukunft.de

Mehr Berliner Esskultur

Hier wird natürlich nicht nur in den Betriebskantinen und Großküchen gekocht und gegessen, sondern auch auf Food Festivals und Food Weeks in Berlin: Highlights für Hungrige. Manchmal finden sich im Restaurant auch Überraschungen: im Horváth wurde ein verlorenes Wandgemälde von Jim Avignon wieder freigelegt. Die Kantine Zukunft haben wir übrigens nicht zum ersten Mal getroffen, sondern auch zum Start uns ihre Arbeit angesehen: öffentliche Kantinen sollen auf regionale Bioküche umgestellt werden. Mittlerweile ist ein Kochbuch dazu erschienen: „Currywurst und Grünzeug“ von der Kantine Zukunft.

Folgt unserem Instagramkanal @tipberlin_food!

https://www.instagram.com/p/CRis1EgtwTi

Tip Berlin - Support your local Stadtmagazin