Liebe in Zeiten der Follower, geht das? Der alte Souler Lee Fields wird gerade von jungen, harten HipHoppern und anderen Großstadtjugendlichen entdeckt – weil er weiß, wie der Hase hüpft
Glaubt man der Soziologin Eva Illouz, steht es nicht gut um die Liebe: Der Spätkapitalismus hat sie übel zugerichtet und zu einer schnöden Ware verkommen lassen, während in Dating-Apps herzenserkaltete Großstädter zu unverbindlichen Selbstoptimierern degenerieren. Das liest man und denkt sich: Stimmt schon irgendwie. Aber noch gibt es Hoffnung – und ihr Name ist: Lee Fields. New Yorker Soulsänger, nach dem Tod seines Freundes Charles Bradley wohl der größte noch lebende der älteren Generation.
Schwarzes Hemd, Lederjacke, Sonnenbrille. Frisch geduscht und bester Laune tritt er eines regnerischen Vormittags in die Lobby eines West-Berliner Hotels. Gestern noch Paris, morgen London, heute Berlin. In der einen Hand seinen Reisekoffer, in der anderen seinen Anzug, feinsäuberlich in der dafür vorgesehenen Hülle verstaut. Er habe es gerne ordentlich, erklärt er, in seinem Leben wie in seinen Liedern. „Mit meiner Musik bringe ich auch Ordnung in das Leben anderer. Und wenn ich einen Menschen damit verändere, dann verändere ich gleichzeitig die ganze Welt“, sagt er und lacht in sich hinein, als wäre er selbst etwas amüsiert über seine Ausführungen.
Und damit ist er im Grunde schon fast bei seiner Weltformel, die er mehr singt, als dass er sie spricht: „Love Is The Answer!“ Liebe hält die Welt nicht nur im Innersten zusammen, sie ist auch „the main ingredient“, die wichtigste Zutat, die wir für unser Leben brauchen, die Antwort auf alle Fragen und die Lösung aller Probleme. Von der Beziehungsunfähigkeit isolierter Großstadtmenschen über die hasserfüllten Trumps und Bolsonaros dieser Welt bis hin zum Klimawandel, denn was ist Umweltverschmutzung anderes als ein Mangel an Liebe zu unserem Planeten? Über Politik spricht Lee Fields allerdings ungern, er wisse zu wenig darüber und rede lieber über das, wovon er wirklich etwas versteht: über die Musik und die Energie, aus der heraus alles entsteht, über die Harmonie und Ordnung im Universum, über das Glück in den Gesichtern seiner Zuhörer. „People want to be happy.“ So viel ist sicher.
Die Botschaft von der allumfassenden Kraft der Liebe umkreist der 68-Jährige im Grunde seit einem halben Jahrhundert in verschiedensten Variationen und Formationen – immer aber mit der brüchig-fiebrigen Hitze seiner Stimmgewalt. Lee Fields ist so etwas wie der Prototyp des Soul-Veteranen, der mit so ziemlich allen Giganten seines Fachs zusammengearbeitet hat, von B.B. King bis zu Kool and the Gang, ohne dabei selbst in den Olymp der Superstars eingelassen zu werden.
Symptomatisch sein Spitzname: „Little JB“, der kleine James Brown, der immer im Schatten des großen stand und in den 1980ern erst einmal von der Bildfläche verschwand. Die Wiederentdeckung des Soul Ende der 1990er-Jahre bescherte Lee Fields nicht nur einen zweiten Frühling, sondern auch die Chance, endlich mal in die erste Reihe vorzutreten und eine eigene Stimme zu finden, die sich nicht mehr ständig nur mit dem Godfather vergleichen lassen muss – und die sich fallen lassen darf in das warme Bläserbett seiner Backingband The Expressions.
Mit seinen schweiß- und schmerzdurchtränkten Liedern spricht Lee Fields interessanterweise zunehmend die emotional deformierten jungen Menschen in Berlin und New York an, die von der Liebe angeblich nichts mehr verstehen, wie Kulturpessimisten meinen, aber offensichtlich eine große Sehnsucht danach haben. Junge HipHop-Götter wie J. Cole und Travis Scott sampeln den altehrwürdigen Lee Fields.
Der Titelsong seines neuen Albums „It Rains Love“ ist eine Ode an seine Frau, die er einst in einem New Yorker Restaurant kennengelernt hat und mit der er seit mehr als 40 Jahren verheiratet ist. Und noch immer regne es Liebe, wenn er bei ihr sei. „Wir haben immer zusammengehalten“, sagt er, in guten wie in schlechten Zeiten. Ein Loblied auf die Ehe also als altmodischer Gegenentwurf zur Liebe in Zeiten der Dating Apps, die nach Eva Illouz durch Schnelligkeit und Effizienz gekennzeichnet ist. Lee Fields sagt: „Du musst es ehrlich meinen und wissen, dass der Weg nicht immer reibungslos ist. Es wird die Zeit kommen, in der deine Partnerin krank wird, dann musst du bei ihr bleiben.“ So einfach ist die Liebe. Und so schwer.
Im Videoclip zu seinem Song „You’re What‘s Needed in My Life“ lässt sich Lee Fields in einem Atelier von sieben Künstlern porträtieren. Wie fühlt sich das an, allmählich selbst zu einem Kunstwerk zu werden, zu einer Ikone gar? „Ich betrachte mich selbst nicht als Legende, sondern als einen Mann, der immer sehr hartnäckig gewesen ist.“ Ein Mann, der nur ein paar Dollar in der Tasche hatte, als er Ende der 1960er-Jahre nach New York zog, und der durchgehalten hat, als es still um ihn wurde. Ein Mann, der längst aus den zu engen Hemden des James-Brown-Epigonen hinaus- und in größere Anzüge hineingewachsen ist.
Aus Little JB ist Big LF geworden. Was er mit den zehn Stücken seiner neuen Platte einmal mehr beweist. In ihnen bleibt er seinem Rezept im Wesentlichen treu: einfache Texte, die für sich genommen nicht besonders aufregend sind, denen er aber besondere Authentizität verleiht, weil er das, was er singt, wirklich fühlt. Ob er sich nicht manchmal Gedanken über sein Erbe macht – über das, was er hinterlässt? „Doch, das schon“, sagt er in der Berliner Hotellobby. „Ich will, dass sich die Leute nach meinem Tod an mich erinnern und sagen: Lee Fields? Der war in Ordnung!“ Denn dann kann er ja nicht viel falsch gemacht haben.
Columbia Theater Columbiadamm 9, Kreuzberg, Fr 26.4., 20 Uhr, VVK 32 € zzgl. Gebühren