Musik

Spotify-Chefin Conny Zhang im Interview: „Wir wollen die beste Plattform sein“

Vielleicht ist sie die mächtigste Frau in der deutschen Musikbranche: Die 1993 geborene Berlinerin Conny Zhang ist Head of Music beim Audio-Streaming-Dienst Spotify. Marit Blossey und Jacek Slaski haben sie für die April-Ausgabe des tipBerlin zum Interview getroffen und über Berlin, Konzernjobs, die Zukunft des Musik-Streaming und ihre persönlichen Lieblingskünstler:innen aus der Hauptstadt gesprochen.

Conny Zhang ist Head of Music beim Audio-Streaming-Dienst Spotify. Foto: Christoph Neumann

Spotify-Chefin Conny Zhang sieht einen positiven Umschwung

tipBerlin Frau Zhang, Sie sind 30 und Head of Music bei Spotify, verantwortlich für Deutschland, Österreich und die Schweiz, die DACH-Region, eine Spitzenposition. Wie war Ihr beruflicher Weg dorthin?

Conny Zhang Zwei Themen ziehen sich wie ein roter Faden durch meine Vita: Tech und Musik. Ich hatte meine erste prägende Arbeitserfahrung während des Studiums bei Universal Music. Dort war ich in der Brands- und Partnershipsabteilung, habe Dinge wie Showcases organisiert und wirklich von der Pike auf gelernt, wie es ist, zwischen Musik und Marken zu arbeiten. Dann bin ich relativ schnell in den Tech-Bereich gegangen, zu Google, wo ich im Sales- und Partnerships-Team gearbeitet habe und lernte, wie es ist, in einem großen Tech-Unternehmen zu arbeiten und den Plattform-Gedanken zu leben. Als die Möglichkeit von Spotify kam, war das ein perfekter Mix, weil sich hier meine Leidenschaft für Musik mit der Tech-Welt verbindet.

tipBerlin In der Musikindustrie gibt es noch immer ein Geschlechtergefälle. Welche Erfahrungen haben Sie als Frau in der Branche besonders geprägt?

Conny Zhang In der Tech-Welt habe ich positive Erfahrungen gesammelt und Umgebungen gesehen, wo Diversität wichtig ist, wo Unconscious-Bias-Trainings gemacht werden, wo im Hiring darauf geachtet wird und generell eine Kultur gelebt wird, die super offen und divers ist. In der Musikbranche hingegen gibt es auf jeden Fall noch ein Gefälle. Nur eine von fünf Künstler:innen weltweit ist eine Frau. Dafür gibt es natürlich tausende Gründe: Wer sitzt hinter den Songs, wer sind die Songwriter:innen und Produzent:innen, wie sieht es mit Diversität aus? Ich glaube aber auch, dass sich an diesen Strukturen etwas verändert, dass Awareness da ist und darüber gesprochen wird. Mittlerweile sind viele Frauen in Positionen, in denen sie Entscheidungen treffen können. Auch in den deutschen Charts kann man einen Trend beobachten: Wenn man sich anschaut, wie viele Frauen dort heute vertreten sind im Vergleich zu noch vor ein paar Jahren, sieht man auf jeden Fall einen positiven Umschwung.

tipBerlin Gehen wir ein wenig zurück in Ihrer Biografie. Sie sind in Berlin geboren, wo und wie sind Sie aufgewachsen?

Conny Zhang Ich bin im Wedding geboren, was unter Berliner:innen ja auch immer ein bisschen lustig ist, weil man immer sagt: „Wedding ist im Kommen!“ (lacht). Ich kann mich aber kaum an die Zeit erinnern, wir sind relativ schnell nach Wilmersdorf gezogen und da bin ich auch zur Schule gegangen. Die Hälfte meiner Schulzeit und mein Abi habe ich dann in Stralsund verbracht, weil meine Mutter wegen ihres Jobs umgezogen ist. So habe ich beide Welten erlebt, die Großstadt und die Provinz. Dann bin ich für das Studium an der Hochschule für Wirtschaft und Recht nach Berlin zurückgekehrt, was ich auf jeden Fall wollte. Für mich gibt es keine andere Stadt in Deutschland!

tipBerlin Wie hat Ihre Musikleidenschaft begonnen? Was hat Sie in Ihrer Kindheit und Jugend begeistert?

Im Herzen bin ich eine Pop-Liebhaberin. 2023 war meine Top Artist Taylor Swift.

Conny Zhang

Conny Zhang Meine früheste musikalische Kindheitserinnerung ist, dass meine Mutter Karaoke singt. Ich bin halb Chinesin, halb Koreanerin – vielleicht ist die Leidenschaft für Karaoke tatsächlich ein bisschen in der Kultur verankert. Ansonsten haben es mir vor allem Mariah Carey, Whitney Houston und Céline Dion angetan, drei weibliche Superstars der 1990er. Mit diesen Stimmen aufzuwachsen, hat meine eigene Emotionalität und Empathie geprägt. Später habe ich immer noch viel Pop gehört, aber auch Indie, Bon Iver zum Beispiel. Aber im Herzen bin ich eine Pop-Liebhaberin. 2023 war meine Top Artist Taylor Swift.

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tipBerlin Zurück zum Job. Was sind konkret Ihre Aufgaben bei Spotify?

Conny Zhang Mein Team und ich haben zwei Ziele: Wir wollen A die beste Plattform für Musikschaffende sein und B, wir wollen das beste Hörerlebnis für die Hörer:innen schaffen. Ich verbinde diese zwei Teilbereiche. Das eine ist ein klassisches Artist-Label-Partnership-Team: Wir sprechen mit Künstler:innen, Managements und Labels und schauen, dass es ein Verständnis von Spotify gibt und sie wissen, welche Tools sie nutzen können, um ihre Zielgruppen zu erreichen. Wir machen auch Programme wie EQUAL oder RADAR , wo wir Newcomer:innen und auch speziell Frauen supporten. Das zweite Team ist für das Thema Musikentdeckung zuständig, also das Kuratieren und Empfehlen, wir nennen das „Programming und Editorial“. Dahinter steckt ein Team von Musikredakteur:innen, die schauen, welche Trends es gibt und was Hörer:innen suchen. Wir bilden in der App alles ab, was gerade kulturell relevant ist. Ein gutes Beispiel war kürzlich Greta Gerwigs Film „Barbie“: Wir fragten uns, können wir den Trend auf der Plattform mit einer Playlist widerspiegeln?

„Spannend ist auch, welche Genres in Deutschland Gehör finden, etwa K-Pop oder Afrobeats und Afropop“, sagt Spotify-Chefin Conny Zhang. Foto: Christoph Neumann

tipBerlin Welche Rolle spielt die DACH-Region auf dem Internationalen Musikmarkt? Was sind die erfolgreichsten Exporte?

Deutschland ist weltweit der viertgrößte Musikmarkt

Conny Zhang Eine große Rolle, allein weil Deutschland weltweit der viertgrößte Musikmarkt ist. Wir haben einen Löwenanteil am Musikkonsum und sind für die lokalen Künstler:innen sehr relevant, aber eben auch für andere Märkte. Die Aufgabe von meinem Team und mir ist auch, die DACH-Region innerhalb von Spotify zu repräsentieren und auf Trends aufmerksam zu machen. Ein gutes Beispiel ist die Folktronica-Band Milky Chance, die weltweit eine große Hörer:innenschaft gefunden und mit ihrem Hit „Stolen Dance“ die Eine-Milliarde-Streammarke geknackt hat. Ansonsten sind wir im elektronischen Bereich stark, Stichwort Felix Jaehn oder Purple Disco Machine. Auch Leony ist eine superstarke Künstlerin aus Deutschland, die global gestreamt wird. Spannend ist auch, welche Genres in Deutschland Gehör finden, etwa K-Pop oder Afrobeats und Afropop.

tipBerlin Lassen Sie uns etwas mehr über Spotify-Playlists sprechen, die sehr viel Einfluss auf den Erfolg von Künstler:innen haben. Wie kommen diese Playlists zustande?

Conny Zhang Da muss ich etwas weiter ausholen. Auf jeden Fall ist es so, dass Playlists einen starken Einfluss auf die Entdeckung von Musik haben. Trotzdem sehen wir, dass der meiste Musikkonsum nicht über Playlists kommt, sondern über aktive Suchen. Playlists sind dennoch hilfreich, weil sie spezielle Bedürfnisse abdecken. Es gibt Playlists, die hundertprozentig von unserem Redaktionsteam kuratiert sind, die nennen wir „Editorial Playlist“. Dann gibt es Playlists, die algorithmisch sind: Die sind personalisiert, werden aber vom Algorithmus erstellt. Das beste Beispiel dafür ist der „Release Radar“, wo du eine andere Liste haben wirst als ich, basierend auf deinem Hörverhalten. Dann gibt es eine Mischform, wir nennen es „Algotorial“, bei der der Mensch die Maschine füttert. Da sagt also jemand aus der Redaktion: Hey, ich habe eine Hypothese zur Duschplaylist, ich glaube, dieser Songpool macht Sinn, aber lasse nochmal den Algorithmus ran, damit die Duschplaylist von User A anders ist als von User B. Außerdem können Künstler:innen über unsere Plattform „Spotify for Artists“ Songs für eine Playlist vorschlagen und je nachdem, wie die Hypothese einer Playlist ist, schaut dann die Redaktion, welcher Song am besten passt.

tipBerlin Welche Spotify-Playlist hören Sie selbst am liebsten?

Conny Zhang Aktuell eine Algorithmus-Playlist, die „Zuhause“ heißt und eher für Background-Listening steht. Die höre ich oft am Wochenende. Da ist bei mir gerade viel Indie-Pop drin. In den „Release-Radar“ höre ich auch jede Woche rein.

tipBerlin Welche Rolle spielen Berliner Künstler:innen bei den Playlists, die Ihr Team erstellt? Gibt es einen lokalen Fokus?

Conny Zhang Nein, es hat keinen Einfluss, wo die Künstler:innen herkommen. Aber Berlin ist natürlich eine Musikhochburg: Wir haben spannende Künstler:innen hier. Zum Beispiel Lie Ning, der auch in unserem LGBTQI+ Förderprogramm GLOW war.

tipBerlin Vor dem Hintergrund verschwindender Musikzeitschriften und kürzlich dem Ende der Internetplattform Pitchfork interessiert uns auch der Einfluss von Playlists auf den Erfolg der Musiker:innen. Hat Spotify die sogenannte Gatekeeper-Funktion, also die Deutungshoheit über die Verbreitung neuer Musik, von den klassischen Medien übernommen?

Conny Zhang Einer der großen Vorteile, nicht nur von Spotify, sondern von Streaming insgesamt, ist, dass wir Markteintrittsbarrieren niedriger machen. Wahrscheinlich war es noch nie so einfach wie jetzt, als Künstler:in Musik zu machen und sie auch zu vertreiben. Man braucht nicht unbedingt einen Major-Label-Vertrag oder eine Platzierung der eigenen Tonträger im Mediamarkt, sondern kann auch als Independent-Künstler:in relativ einfach über digitale Distributionskanäle seine Musik öffentlich machen und das nicht nur im eigenen Markt, sondern auch in anderen Ländern. Grundsätzlich würden wir daher sagen, das ist positiv und im Gegenteil eben keine Gatekeeper-Funktion, sondern eine Demokratisierung der gesamten Musik.

Auf jeden Fall ist es so, dass Playlists einen starken Einfluss auf die Entdeckung von Musik haben.

Conny Zhang

tipBerlin Wobei das der Vertrieb ist. Das Empfehlen von Musik etwa über Playlists hat eine kritische Dimension, das ist nochmal eine andere Ebene.

Conny Zhang Hier ist es wichtig zu sehen, dass auch das Kuratieren unserer Playlists immer zum Ziel hat, die beste Experience für die Hörer:innen zu schaffen. Am Ende ist es ein Empowerment der Fans: Im Prinzip entscheiden sie heute, was sie hören wollen. Die Aufgabe unserer Musikredaktion ist es, dementsprechend zu agieren und im Interesse der User Experience zu kuratieren. Zum Beispiel auch zu überlegen, welche Hypothesen Sinn machen.

tipBerlin Immer wieder gibt es auch Kritik: Seit Januar 2024 ist Spotify nicht nur für die Nutzer:innen teurer, es gibt auch ein neues Bezahlmodell für Kreative. Einnahmen gibt es erst ab 1.000 Streams. Wie passt das damit zusammen, dass Spotify auch kleinere Artists supporten will?

Conny Zhang Schaut man, wo die Industrie vor zehn Jahren war und wo sie jetzt ist, ist die Entwicklung positiv. Die Industrie ist auf einem Level wie vor Musikpiraterie-Zeiten und dazu hat unter anderem das Streaming beigetragen. Der Musikmarkt wächst: zwölf Prozent im Vergleich zum letzten Jahr, beim Streaming noch mehr. Es gibt mehr Musikkonsum und generell Wachstum für die Industrie. Konsument:innen entscheiden mit, wessen Musik erfolgreich ist, und der Musikmarkt wächst global und lokal. Diese Entwicklungen sind super.

tipBerlin Die Vergütung der Musiker:innen ist aber dabei immer noch ein umstrittenes Thema.

Conny Zhang Das ist ein wichtiges Thema. Man hat sich vor mittlerweile 15 Jahren auf ein Modell geeinigt. In der Zwischenzeit kamen neue Trends auf, und auch das User-Verhalten hat sich verändert. Es ist grundsätzlich immer ein Dialog mit anderen Industrie-Teilnehmer:innen und vor allen Dingen mit den Rechteinhaber:innen wie Labels, Publisher und Verlage. Alle müssen sich an einen Tisch setzen und sagen, hey, welches Modell macht Sinn? Unser Ziel als Plattform ist es, den Pool an Ausschüttungen langfristig zu vergrößern. Wir zahlen 70 Prozent der Einnahmen, die wir haben, wieder zurück an die Industrie. Ein größerer Pool an Ausschüttungen bedeutet auch, dass die Künstler:innen mehr von dem Kuchen abbekommen, das ist eine positive Entwicklung.

tipBerlin Wohin wird sich das Musikstreaming in der Zukunft entwickeln?

Conny Zhang Alle Zeichen stehen dafür, dass Musik mehr konsumiert wird. Ein Thema, um das man nicht herumkommt, ist natürlich Künstliche Intelligenz. Bei der Produktion von Songs wird schon lange mit KI gearbeitet. Neue Wege zu finden, wie diese Technologie die Kreativität beeinflussen kann, ist spannend.

tipBerlin Im April findet der All Music Friday in Berlin statt. Welche Themen werden auf dem Summit dieses Jahr wichtig sein?

Conny Zhang Wir freuen uns sehr darauf! Das ist mittlerweile das Klassentreffen der Musikindustrie geworden. Wir besprechen dort Themen, die Künstler:innen, Management und Labels betreffen und fragen uns, wie man in der heutigen Welt erfolgreich Musik machen kann. Wir werden Workshops anbieten, Trends beleuchten und über Themen wie Mental Health sprechen, über Fan Engagement und welche Tools man als Künstler:in nutzen kann, um Fans zu erreichen. Mit dabei sind unter anderem Artists wie Ski Aggu oder Esther Graf. Am Donnerstag vor dem All Music Friday findet übrigens auch unser Podcast-Summit All Ears statt, ebenfalls in den Wilhelm Studios.

tipBerlin Streamen Sie ausschließlich, oder legen Sie zuhause heimlich auch mal eine Schallplatte auf oder eine CD?

Conny Zhang Ich habe einen Schallplattenspieler zu Hause und auch ein paar Platten, die rausgeholt werden, wenn Freunde da sind, aber ich streame zu 99 Prozent, das muss ich schon zugeben.


  • All Music Friday Wilhelm Studios, Kopenhagener Str. 60–68, Reinickendorf, Freitag 19.4., 12 Uhr, mehr Infos hier

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