HipHop mal anders: Little Simz bricht radikal mit den inhaltlichen und musikalischen Klischees des Genres – und wurde so so einer der wichtigsten politischen Stimmen in der britischen Popmusik
Alben sind out. Zumindest im Rap. Singles reichen aus, um 2019 ein Star zu werden, vorausgesetzt, sie landen bei den Streaming-Anbietern in der richtigen Playlist. Die Logik: Instagram-Reichweite + Catchphrases in den möglichst primitiven Songs + Streaming-Erfolg > konzeptuelle Songs + Soundexperimente + sprachliche Finesse. Das Format Rap-Album ist also immer dann out und nur noch ein nettes Gimmick für die Fans, wenn man Rap-Alben zusammen mit Begriffen wie Verwertungslogik, Umsatz und Star denkt. Natürlich gehört das zur Mainstream-Popmusik, das Inszenieren und das Verkaufen, der Glamour und das Money.
Zu Popmusik gehört aber auch der Bruch mit eben dieser Logik – und Little Simz, eine kritische, experimentelle Rapperin, die gerade auf sprachliche Finessen steht, beweist mit ihrem aktuellen Album „Grey Area“, wie das funktionieren kann. Sie kann sowohl Rap-Album als auch Glamour. Aus der Zeit gefallen wirkt ihre Musik deswegen trotzdem nicht.
Little Simz ist ein von Musiker*innen geschätzter Anti-Star. Eine starke Stimme in der britischen Rap-Szene, wo in diesem Jahr neben ihr unabhängig voneinander auch Slowthai und Dave eine erfolgreiche Gegenbewegung zum Rap-Alben-sind-out-Trend gestartet haben. Alle drei waren für den diesjährigen Mercury Prize, den britischen Musikpreis, nominiert, alle drei positionieren sich politisch, alle drei haben 2019 experimentelle Zuhöralben veröffentlicht, die sich weder als Begleitmusik für einen Mall-Bummel noch für irgendwelche Fashionweek-Partys eignen. Nur eine richtige Hitsingle haben sie alle nicht veröffentlicht. Das Gesamtwerk ist wichtiger. Ist es womöglich auf die undurchsichtige politischen Situation in UK, die irren Wirren rund um den Brexit zurückzuführen, dass Rapper*innen dafür umso strukturierter an die Musik herangehen und politische Statements höher gewichten als eigene Coolness?
Es scheint so. Andererseits wehrt sich Little Simz in Interviews immer wieder dagegen, bloß die Anti-Brexit-Rapperin zu sein oder auf das Label Feminismus-Rapperin reduziert zu werden. Zu Recht. Der Stempel nervt ja auch, denn bloßer Polit-Rap ist meistens verkrampft. Little Simz ist nicht verkrampft. Sie sucht das Politische im Privaten, man liest es zwischen ihren Zeilen. Sie nutzt ihre Musik auch dafür, um sich selbst und alle Frauen, die ihr zuhören wollen, zu empowern. Die ersten drei Songs auf „Grey Area“, ihrem dritten Album, heißen: „Offence“, „Boss“ und „Selfish“.
Es ist ein Coming-of-Age-Album, eine Reflexion des Erwachsenwerdens der letzten Jahre. Es lebt von Simz’ Nachdenken über sich selbst und die große Stärke dabei ist ihr Selbstbewusstsein, das aus jedem ihrer Songs herauszuhören ist. „Selfish“ und Lines wie „All I do is kill shit, shit, even when I’m chillin’/ I‘m Jay-Z on a bad day, Shakespeare on my worst days“ wirken bei ihr nicht narzisstisch. Little Simz hat sich den Status hart erarbeitet, das in dieser Direktheit sagen zu können. Immerhin unterstützte HipHop-Mogul Jay-Z schon 2013 eines ihrer ersten Mixtapes auf einer von ihm gehosteten Website. Damals war Little Simz gerade mal 19 Jahre alt, in der Szene aber schon eine große Nummer.
Gegengewicht zu Gewaltausbrüchen
Mittlerweile ist Simbiatu Ajikawo, geboren als Tochter nigerianischer Eltern in London, 25 Jahre alt. Seit knapp zehn Jahren veröffentlicht sie Musik. Sie hat mit britischer Bass Musik und mit Grime experimentiert, nur um zu verstehen, dass das nicht ihr Ding ist, auch wenn diese Art von Musik gerade einen Hype erlebt. Als Teenagerin hat sie in der BBC-Serie „Spirit Warriors“ mitgespielt, ihre Schauspielkarriere aber zugunsten der Musik beendet. Sie hat sich in den letzten Jahren immer mehr an Soul-, Funk- und Jazz-Roots herangetraut, an organisches Grooven und Gluckern. Sie hat also nicht nur mit dem Weg gebrochen, den Rapper*innen zurzeit gehen müssen, um erfolgreich zu werden, sondern auch immer wieder mit ihrem eigenen Sound.
Es ist eine stetige Entwicklung, die auf „Grey Area“ ihren bisherigen Höhepunkt findet. Dieser Sound mit Drums, die nicht aus einer Maschine, sondern direkt vom Schlagzeug zu kommen scheinen und dumpf ruckeln, untersetzt mit Streicher-Sounds, Gitarren und Funk-Bassläufen, bietet die perfekte Grundlage für ihren Rap. Der ist hart, schnell und direkt, switcht immer wieder in Passagen, die an Spoken Word erinnert.
„Ich entdecke mich immer noch selbst. Die Dinge sind viel komplexer als vor fünf Jahren. Nichts ist unkompliziert. Mit zunehmendem Alter schäle ich Schichten von mir ab und finde immer mehr über mich heraus“, sagte Little Simz in einem Interview vor kurzem. Das fasst die eine Seite von „Grey Area“ zusammen, auf der man ihre Selbstfindung beobachten kann. Die andere Seite ist die kritische. Simz bäumt sich auf, auch gegen die von Männern dominierte Rapszene in Großbritannien, die zwar musikalisch schon immer progressiv denkt, in der es deswegen aber nicht weniger sexistisch zugeht als anderswo. Und sie kritisiert die Gewaltverherrlichung in den Texten vieler Rapper, gerade in einer Zeit, in der Messerattacken unter Jugendlichen in London zunehmen. „You idolize the rappers that are on gun talk/ But their lifestyle, never lived that, never did that/ He didn‘t want no crud/ No dead bodies and no blood“, rappt sie in „Wounds“.
Das könnte auch ein Seitenhieb auf das derzeit angesagte UK-Drill-Genre sein. Ausschließlich Männer, oft mit Gang-Background, rappen bedrohliches Zeug über bedrohliche Beats. Es geht um Waffen, Geld, Überfälle, Frauen als Accessoire – inhaltlich ist das Genre also maximal rückwärtsgewandt, kommerziell aber ultraerfolgreich. Interessant ist, dass sie den Alben-sind-out-Trend befeuern: UK-Drill-Acts sind One-Hit-Wonder, haben aber dafür Millionen Klicks auf YouTube. Richtige Alben veröffentlichen nur einige wenige Stars der Szene. Little Simz wiederum und damit auch „Grey Area“ sind das maximale Gegengewicht zu den unkontrollierten Gewaltausbrüchen. Sie ist gefasst, reflektiert, komplex. Das macht sie zu einer der wichtigsten Stimmen der britischen Rap-Szene – und zu einer der Retterinnen des Albumformats. Viele ihrer Kollegen sind mittlerweile einfach zu limitiert, um auf Albumlänge bestehen zu können.
Berghain Am Wriezener Bahnhof, Friedrichshain, Di 8.10., 20 Uhr, ausverkauft