Hommage

„Oh Oh Mythomanie!“: Brezel Göring über das Fest für Françoise Cactus

Mit der Band Stereo Total, Büchern, Hörspielen, Kunstprojekten und ihrer unnachahmlichen Art prägte Françoise Cactus mehrere Jahrzehnte Berlin. Ihr Tod im Jahr 2021 riss eine Lücke in die Stadt. Jetzt feiern sie bei der „Oh Oh Mythomanie!“-Gala im SO36 unter anderem Andreas Dorau, Bärchen und die Milchbubis, Cobra Killer und natürlich Brezel Göring, der sich in diesem Text an seine Bühnen- und Lebensgefährtin erinnert und den Abend geplant hat.

Françoise Cactus prägte mit ihrer Band Stereo Total die Berliner Musiklandschaft. Foto: JB/tipBildarchiv
Françoise Cactus prägte mit ihrer Band Stereo Total die Berliner Musiklandschaft. Foto: JB/tipBildarchiv

Brezel Göring: „Als ich Françoise Cactus 1992 kennengelernt habe, hat sie mir angekündigt, dass sie genug von der Musik habe!“

Als ich Françoise Cactus 1992 kennengelernt habe, hat sie mir angekündigt, dass sie genug von der Musik habe! Sie wolle fortan Schriftstellerin und Schauspielerin sein. Und wirklich: ihre Band Les Lolitas löste sich im nächsten Jahr auf und Françoise spielte in Filmen wie „Der Strand von Trouville“, „Trouble“, „Swingpfennig Deutschmark“. Außerdem begann sie mit der Niederschrift ihrer „Autobigophonie“, die 1996 erschien. An einem jener ersten Tage unserer Bekanntschaft besuchte ich sie in ihrer Wohnung: überall lagen Klamotten, auf dem Bett, auf dem Boden und ihre halbnackten Freundinnen probierten sie an und tranken Sekt! Also wirklich! Was ist denn hier los? „Ich mache Flohmarkt und verkaufe meine ganzen sexy Klamotten! Von jetzt ab trage ich seriöse Kleidung!“, sagte sie.

Dieses irre Vorhaben hat bekannterweise nicht lange angehalten. Trotzdem hat Françoise konsequent an ihrer Idee festgehalten, Schriftstellerin zu sein. Durch die unsinnige Menge von Konzerten, Tourneen und Plattenveröffentlichungen war die Schriftstellerei natürlich schwer kompromittiert.

Nach etwa sieben Jahren kam Françoise Cactus dann auch noch auf die unselige Idee, die Erzählperspektive von dritter auf erste Person zu wandeln …

Brezel Göring

Wenn ich jetzt ihr Archiv betrachte, dann sehe ich zwar sehr viel veröffentlichte Musik, aber noch vielmehr geschriebene Texte – nicht nur Liedertexte, sondern hauptsächlich Prosa. Wahrscheinlich ist es sogar falsch, von Françoise als Musikerin zu sprechen: vielmehr war sie eine Autorin, gefangen im Körper einer Musikerin. Der erste vollständige (und unveröffentlichte) Roman stammt aus den 80ger Jahren…

Umso zufriedener bin ich jetzt, ihren letzten Roman „Lebenslänglich 14“, an dem sie die letzten 15 Jahre ihres Lebens geschrieben hat (weil sie das schmissige und mitreißende Werk von 150 Seiten unbedingt auf 600, oder besser 800 Seiten aufpusten wollte). Nach etwa sieben Jahren kam sie dann auch noch auf die unselige Idee, die Erzählperspektive von dritter auf erste Person zu wandeln …

Françoise Cactus und Brezel Göring waren von 1993 bis 2021 Stereo Total. Foto: Promo

Es hätte Françoise sehr gefreut, noch das Erscheinen des Romans zu erleben und die Roman-Release-Geburtstagsparty am 5. Mai im SO 36 ist auch genau der Rahmen, den sie sich gewünscht hätte. Auch dass diesmal – obwohl es sehr viel Musik gibt – die Aufmerksamkeit völlig auf ihrer schriftstellerischen Tätigkeit liegt. Ich habe versucht, die Geburtstagsfeier nicht wie eine Trauerfeier oder eine zweite Beerdigung wirken zu lassen. Es soll ein ausgelassenes Fest werden, mit dem einzigen Schönheitsfehler, dass die Hauptperson nicht anwesend ist. 

Das Programm ist auch wirklich gemischt: einige der Musiker:innen kannten Françoise, haben mit ihr zusammen Musik gemacht, und andere sind noch viel zu jung, um sie überhaupt erlebt zu haben! Wenn die Gäste das SO 36 betreten, hören sie Françoises Stimme, denn der Laden wird mit Radiosendungen von ihr beschallt. Der Abend beginnt mit einem 20 minütigen  Super-8-Film über und mit  Françoise mit dem Titel „Françoise hätte gesagt: schmeiß das weg!“

Um 20 Uhr klettere ich dann auf die Bühne und eröffne (gemeinsam mit Wollita, die ein kleines Liebeslied an Françoise singen wird). Danach kommt der Pyrolator. Er spielt ein Stück mit Samples von Françoise, das die beiden 1997 aufgenommen haben. Dann folgen Bärchen und die Milchbubis. Annette, die Sängerin, tritt allerdings alleine auf, mit einer Ukulele. Danach folgen die Ponies auf Pump, eine Punkband, drei Frauen und ein Typ – und eine tolle Schlagzeugerin. Und dann platzt die Bombe: Andreas Dorau singt zwei Lieder von Stereo Total und das mit Françoise gemeinsam aufgenommene Lied „Schwarz Rot Gold, hat die Natur das wirklich so gewollt“, ein Lied über einen schwarz-gelb-rot-gefiederten Vogel. Andreas wird auch eine Live-Video-Übertragung zu Wolfgang Müller schalten, der sich zu diesem Zeitpunkt in Tokio befinden wird.

Brezel Göring: „Laut Wikipedia ist der 5. Mai 2024 Françoises 60. Geburtstag. Stimmt aber gar nicht!“

Es geht weiter mit Khan of Finland, mit dem Françoise mehrere Lieder aufgenommen hat. Die fremden Hände ist die Band der Sängerin Lucy, die früher in der Punkband Lucy and the Sluts spielte und Bella and the Bizarre ist das glamouröse Garage-Punk-Projekt von der Tochter von King Khan, die Françoise schon als kleines Kind kannte. Es kommen dann noch Sharizza, Felix Kubin und Cobra Killer. Zwischen den Acts werden ich und die Sänger:innen Passagen aus dem Buch vortragen. Ach so, das Buch gibt es dann natürlich zu kaufen. 

Noch ein Wort zum Titel. Laut Wikipedia ist der 5. Mai 2024 Françoises 60. Geburtstag. Stimmt aber gar nicht! Die hat so viel gelogen über ihr wahres Alter, dass der Titel des Buches „Oh, Oh, Mythomanie“ auch diesbezüglich treffend ist.

Text: Brezel Göring

  • SO36 Oranienstr. 190, Kreuzberg, So 5.5., 20 Uhr 
  • Oh, Oh, Mythomanie von Françoise Cactus, Ventil Verlag, 288 S., 25 €

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