Mit seinem Silberschnurrbart erinnert er eher an einen Banker der alten Schule als an einen vierfachen Grammy- und dreifachen Oscar-Preisträger: Giorgio Moroder geht mit seinen Dance-Welthits wie „Love To Love You Baby“ erstmals auf Live-Tournee – mit 79 Jahren
tip Herr Moroder, im April werden Sie zum ersten Mal live dirigieren, den Vocoder bedienen und Elektro-Effekte kreieren. Warum erst jetzt?
Giorgio Moroder Vor 20 Jahren wurde ich schon gefragt, ob ich als DJ auftreten möchte. Wollte ich zu dem Zeitpunkt aber nicht. Erst 2013 habe ich zufällig damit angefangen. Die Tournee-Idee kam mir, als ich vor drei Jahren Hans Zimmer gesehen habe. Er hat mir sehr gut gefallen. Ich habe keine Hemmungen aufzutreten, weil ich weiß, dass die Musiker und Sänger gut sind.
tip Sie haben als Sänger angefangen. Werden Sie bei dieser Tour auch singen?
Giorgio Moroder Ja. In meiner Band spielten anfangs ein Pianist, ein Schlagzeuger und ein Bassist. Wir sind in großen Hotels aufgetreten mit Liedern von den Beatles und den Rolling Stones. Meinen ersten Hit landete ich schließlich Ende der 60er Jahre, der Bubblegum hieß „Looky, Looky“. Die Platte hat sich rund 300.000 Mal verkauft. Mit dem Lied bin ich als einer von 50 Sängern durch ganz Italien getourt. Ich will es jetzt noch einmal singen. Und ich werde „From Here To Eternity“ singen, das ich vor 30 Jahren gemacht habe. Meine Lieder sind ziemlich einfach, dafür braucht man nicht die besten Sänger der Welt.
tip Sie haben auch vor, persönliche Geschichten zu erzählen, die bisher noch niemand gehört hat.
Giorgio Moroder Ich will Anekdoten von meiner Zusammenarbeit mit David Bowie und Donna Summer erzählen. Aber nicht zu viel.
tip Wie war es zum Beispiel mit Freddie Mercury?
Giorgio Moroder Über ihn brauche ich nichts zu erzählen, weil ich das Lied „Love Kills“ nicht spiele. Hätte mir sein Manager Freddie Mercurys Stimme gegeben, hätte ich es gespielt.
tip Ihre ehemalige Muse, die 2012 verstorbene Disco-Diva Donna Summer, wird auf dem Bildschirm synchron mit Ihnen und Ihrem Elektro-Orchester einen Song performen.
Giorgio Moroder Ein Avatar wäre technisch möglich, ist aber unglaublich teuer. Wir haben ihre Originalstimme und Videos von einem Konzert, das sie vor zehn Jahren gegeben hat. Die anderen Donna-Summer-Lieder werden von ganz hervorragenden Sängerinnen live gesungen. Wir haben auch die Erlaubnis bekommen, David Bowies Originalstimme zu verwenden. Ich habe mit ihm ein Lied für den Horrorfilm „Cat People“ gemacht. Quentin Tarantino hat es später für „Inglourious Basterds“ verwendet.
tip Donna Summers „I Feel Love“ aus dem Jahr 1977 wird von manchen Kritikern als die wichtigste Elektronikplatte aller Zeiten angesehen, weil sich viele House- und Technomusiker von Ihren Elektronikklängen haben inspirieren lassen.
Giorgio Moroder Wir haben damals überlegt, was der Sound der Zukunft ist und ob es möglich wäre, ein ganzes Playback nur mit Moog-Synthesizern zu machen. Und das ist gut gelaufen. Inzwischen hatte ich mit David Bowie ein Lied gemacht. Er erzählte mir, dass er zusammen mit Brian Eno in Berlin fieberhaft nach dem neuen Sound suchen würde. Und Eno sagte zu Bowie: „Hör auf, Giorgio Moroder hat ihn schon gefunden!“
tip Kam David Bowie persönlich zu Ihnen ins Studio?
Giorgio Moroder Nein, David Bowie habe ich in Montreux aufgenommen. Dort gab es im Casino ein sehr schönes Tonstudio, es gehörte der Gruppe Queen. An einem Samstagvormittag haben wir „Cat People“ aufgenommen. David war sehr professionell, dem brauchte man nicht zu sagen, wie er zu singen hat. Beim ersten Durchgang wäre es schon gut gewesen.
tip Haben Sie die Originalbänder noch?
Giorgio Moroder Ja. Aber wir haben nur dieses eine Stück aufgenommen. Wenn man Lieder für einen Film macht, dann meistens nur einzelne Titel. Wenn man einen Hit in einem Film hat und anschließend ein Album nachschiebt, ist das ganz schwierig. Die Leute wollen eigentlich nichts anderes hören. Nach dem Soundtrack zu „Flashdance“ habe ich noch ein Album mit Irene Cara produziert. Das ist nicht gelaufen.
tip Besser lief es für Sie mit David Bowie.
Giorgio Moroder Bowie wusste nicht, dass ich „I Feel Love“ gemacht hatte. Das erfuhr er erst von Brian Eno in Berlin. Und ich wusste bis vor ein, zwei Jahren nicht, dass die beiden auch nach dem Sound der Zukunft gesucht hatten. Ich habe mich mit Bowie ein paarmal getroffen, aber diese großen Künstler sind immer unheimlich beschäftigt. Er hatte damals einen Wohnsitz in der Schweiz, aber man wusste nicht wo. Parallel bewohnte er auch Häuser in London und in New York. Unter solchen Bedingungen eine Freundschaft zu entwickeln ist ganz schwierig.
tip Ihr „Munich Sound“ war geprägt durch Streicher, sich ständig wiederholende Refrains und einen repetitiven Schlagrhythmus. Wie kamen Sie darauf?
Giorgio Moroder Das Leben als Musiker war zwar schön, aber es blieb nichts übrig. Deshalb beschloss ich, Komponist zu werden. Ich bin dann mit meinen Ersparnissen nach Berlin gegangen, wo ich ein Jahr lang bei meiner Tante wohnen konnte. Angefangen habe ich mit zwei Tonbändern. Und dann habe ich über das Album „Switch It On Bach“ den Moog-Synthesizer für mich entdeckt. Darauf hat Wendy Carlos Instrumente wie Cello und Oboe mit dem Synthesizer imitiert. Das fand ich faszinierend. 1972 gelang mir mit „Son Of My Father“ ein Hit, den ich teilweise mit einem Synthesizer aufgenommen hatte. Es war der erste Popsong mit einem Moog. Und in dieser Art habe ich weitergemacht bis „I Feel Love“. Ich habe eine der ersten Digitalaufnahmen in Stereo mit einem Riesenapparat gemacht.
tip Wie reagierten die Leute damals auf knisternd-erotische Donna-Summer-Songs wie „Love To Love You Baby“?
Giorgio Moroder Neil Bogart von Casablanca Records war anfangs nicht so begeistert. Die Engländer akzeptierten diesen Sound wesentlich schneller. Den Amerikanern gefiel der mechanische Rhythmus nicht so sehr, das klang ihnen zu europäisch. Aber sie mochten Donnas sinnliche Stimme. Diese Kombination machte das Lied irgendwie interessant. Neil Bogart rief mich eines nachts an und fragte, ob ich „Love To Love You Baby“ nicht auf eine ganze Plattenseite verlängern könnte. Das habe ich dann auch getan. Auf der neuen Version stöhnte Donna Summer, bis es nicht mehr ging. Die Radiosender spielten das Lied anfangs nicht, aber als es in den Discotheken ein Riesenhit wurde, zogen auch sie nach. Auch bei der BBC wurde es zuerst verboten, aber am Ende doch gespielt.
tip Wie kam Donna Summer darauf, in dem fast 20 Minuten langen Song so lüstern zu stöhnen?
Giorgio Moroder Das haben wir uns zusammen ausgedacht. Ganz am Anfang war es noch ein Spaßprojekt. Ich hätte nie gedacht, dass eine Plattenfirma solch ein Lied rausbringt. Aber ich habe es trotzdem gemacht – in drei Minuten. Eine Berliner Freundin von mir hat es dann mit auf die Musikmesse Midem in Cannes genommen und Leuten vorgespielt – und zu meiner Überraschung wollte es jeder rausbringen. Neil Bogart von Casablanca Records verlangte sogar, dass Donna noch ein bisschen mehr stöhnt.
tip Für den Filmsong „Flashdance…What A Feeling“ wurden Sie 1983 mit einem Oscar ausgezeichnet, er wurde ein Welthit. Mit „Take My Breath Away“ aus „Top Gun“ mit Tom Cruise konnten Sie diesen Erfolg 1986 wiederholen. Hatten Sie eine Formel gefunden, mit der man in Hollywood erfolgreich sein konnte?
Giorgio Moroder Hollywood war lange Zeit eine Domäne von klassischen Komponisten wie John Williams. Pop-Leute hatten dort keine Chance. Aber „I Feel Love“ gefiel dem Regisseur Alan Parker so gut, dass er mir den Job gab, die Musik für „Midnight Express“ zu machen. Er wollte von mir ein Lied, das ähnlich klingt. Und das war dann „Chase“. Dafür habe ich meinen ersten Oscar bekommen. Zur gleichen Zeit hatte ich ein Lied mit Donna Summer produziert, es hieß „Last Dance“ und gewann einen Oscar als bester Song. In der ersten Zeit wurden alle meine Film-Songs Hits: „Call Me“, „Flashdance… What A Feeling“, „Take My Breath Away“. Heute wollen alle großen Künstler Songs für Filme schreiben.
tip Genießen Sie in Hollywood wegen Ihrer drei Oscars noch immer einen besonderen Ruf?
Giorgio Moroder Ich habe in den letzten fünf Jahren viel mit Daft Punk gearbeitet und seit zehn Jahren nichts mehr für Hollywood gemacht. Die Entertainment-Welt vergisst dich ziemlich schnell. Du bist immer nur so gut wie dein letzter Hit.
tip Treten Sie eigentlich noch als DJ auf?
Giorgio Moroder Ja. Zu mir kommen Leute, die jünger sind als die meisten meiner Hits. Ich habe gerade in Rimini aufgelegt, da waren ein paar Ältere sowie viele 40- und 20-Jährige. Als DJ kann man viel Geld verdienen, aber es ist anstrengend. In Europa geht es noch, aber jetzt habe ich ein Angebot aus Mexiko bekommen. Die zahlen gut, aber ich habe absolut keine Lust, zwölf Stunden im Flugzeug zu sitzen und nach drei Tagen mit Jetlag zurückzufliegen. Ich möchte mich lieber auf die Live-Tour konzentrieren.
Tempodrom Möckernstr. 10, Kreuzberg, Fr 12.4., 20 Uhr, VVK 78–90 € zzgl. Gebühren