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Drone

Metaphysik wird zu Musik: Sunn O))) spielen im Festsaal Kreuzberg

Klanglandschaften wie die Ewigkeit: Sunn O))) entwickeln auf ihrem neuen Album ihren dröhnenden Drones konsequent weiter – und verirren sich nur kurz in der nordischen Mythologie

Foto: SUNN-O))) & Ronald Dick

Im Anfang war das Wiehern. Das Wiehern eines Pferdes. Dann Donnern und Rauschen in der Tiefe. Klänge, die aus dem Erdinneren zu kommen scheinen und den Boden unter den Füßen zum Beben bringen. Bohrende Bässe, die in Mark und Bein fahren, sich in die Eingeweide hineinwühlen, den Brustkorb vibrieren lassen, unter der Kopfhaut kribbeln. Nein, es ist hier nicht von biblischen Wundern die Rede oder von der Entstehung unseres Planeten, sondern von der sinnlichen Erfahrung einer Sunn O)))-Listening-Session, wie sie die US-amerikanische Drone-Doom-Band kürzlich im Berghain veranstaltet hat. Seit mehr als 20 Jahren tüfteln die Gründer Stephen O‘Malley und Greg Anderson an ihrem gravitätisch raunenden Metal-Gitarren-Sound, der ohne Schlagzeug und treibende Rhythmen auskommt, ohne Melodien auch. Der trotz krasser Lautstärke ganz still zu sein scheint und sich im Raum ausbreitet wie Lava oder das Mantra eines tibetischen Mönchs.

Eine musikalische Tiefen-Meditation, deren Kraft auf den Prinzipien Minimalismus und Wiederholung beruht – und für deren Inszenierung die beiden Zeremonienmeister auf quasi-religiöse Überwältigungsstrategien zurückgreifen: Mönchskutten, Verstärkerwände und Nebelmaschinen, die den Hörer wie in Weihrauch hüllen. An einem so sakral anmutenden Ort wie dem Berghain ist ihr Sound allein schon deshalb gut aufgehoben, weil er zu Transzendenzerfahrungen einlädt – Musik gewordene Metaphysik für verlorene Großstadtseelen, die aus der Kirche ausgetreten sind und Gott auf der Tanzfläche suchen.

Auf ihrem achten Album haben SunnO))) dieses Prinzip in vier ausufernden Songkapiteln einmal mehr auf die Spitze getrieben. „Life Metal“ ist der Titel, den Stephen O‘Malley allerdings nicht als Gegensatz zu Death Metal verstanden wissen will. „Wir sind große Fans von Death Metal“, sagt er im Whatsapp-Gespräch zwischen Berlin und Paris, wo er inzwischen lebt. „Unserer Philosophie nach gibt es ohnehin keinen Unterschied zwischen Leben und Tod.“ Auch das macht Sunn O))) zu einer bemerkenswerten Drone-Doom-Band: Ihre Philosophie ist im Buddhismus verwurzelt. Ihr Vorgängeralbum war eine Hommage an „Kannon“, ein überiridisches Wesen des japanischen Shingon-Buddhismus, das dem schmerzerfüllten Menschen mit Mitgefühl zur Seite steht.

Überraschend und auf den ersten Blick enttäuschend ist es, dass O‘Malley und Anderson auf der neuen Platte aus der nordischen Mythologie zu schöpfen scheinen. Die knapp 13-minütige Ouvertüre „Between Sleipnir‘s Breaths“ spielt auf das achtbeinige Götterpferd Sleipnir an, daher auch das Wiehern zu Beginn. „Schon als Kind habe ich an den nordischen Sagen Freude gehabt“, sagt Stephen O‘Malley. „Sie sind eine Inspiration für mich.“ Ärgerlich nur, dass der deutsche Rechtsrock in derselben Legendenwelt wildert und ihre Geschichten für sich zu vereinnahmen versucht – Sleipnir ist das Pseudonym eines neonazistischen Liedermachers. Mit solch widerwärtigen Ideologien haben ­Sunn O))) natürlich nichts zu tun, dennoch ist es irgendwie beruhigend, dass sie die nordische Mythologie gleich wieder beiseite lassen und nicht weiter von Gott Odin faseln.

Stattdessen erklingt ein Gedicht, das dem mesoamerikanischen König und Philosoph Nezahualcóyotl aus dem 15. Jahrhundert zugeschrieben wird und das in einfachen, aber wunderschönen Bildern von der Vergänglichkeit allen Daseins erzählt: „Not forever on earth, only a little while here“, heißt es da, „like a painting, we will be erased, like a flower, we will dry up here on earth.“ („Nicht für die Ewigkeit auf dieser Erde, nur für eine Weile hier. Wie eine Zeichnung werden wir eines Tages ausradiert, wie eine Blume werden wir eines Tages vertrocknen.“) Vorgetragen werden diese Zeilen von der isländischen Filmkomponistin Hildur Guðnadóttir, die das Album nicht nur mit ihrer Stimme prägt. Mit ihrem elektronischen Cello und einem celloähnlichen Instrument, das den fantastischen Namen „Haldorophon“ trägt, fügt sie sich in den brodelnden Strom aus Gitarrenlava ein und lässt ihn hier und dort noch etwas unheilvoller erscheinen.

So ist ein mehr als einstündiges Klangwerk entstanden, in das man eintauchen kann wie in einen lichtdurchfluteten Raum des US-amerikanischen Künstlers James Turrell. Alles darin scheint sich in Licht und Farbe aufzulösen, die Konturen und Kontraste verblassen. „Turrell ist ein großes Vorbild für uns“, schwärmt O‘Malley, „er ist ein Meister darin, einen Raum zu definieren.“ Was der Künstler mit Licht schafft, das schaffen Sunn O))) in ihren besten Momenten mit Klang: Sie machen es dem Hörer unmöglich, sich an einem Rhythmus festzuhalten und Orientierung zu finden, sie liefern ihn dem Flirren und dem Rauschen aus. Mitunter gelingt es ihnen, ihren Sound wie aus dem Nichts kommen und ihn darin wieder verschwinden zu lassen, so als wäre er nie dagewesen oder aber als wäre er immer da, nur eben nicht immer hörbar. „Ich interessiere mich sehr für unsere Zeitwahrnehmung“, so O‘Malley. „Wie sich die Zeit beim Musikhören auszudehnen beginnt und wieder ins normale Maß zurückkehrt, wenn es vorbei ist.“ Auch wenn es ein bisschen pathetisch klingt: Wer die Augen schließt und sich in die Sunn O)))-Kompositionen hineinmeditiert, bekommt zumindest eine Ahnung davon, was Unendlichkeit bedeutet.

Festsaal Kreuzberg Am Flutgraben 2, Treptow, Di 30. + Mi 31.7., 20 Uhr, VVK 32,60 € zzgl. Geb.

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