Ficken für eine bessere Welt! Die Electroclash-Feministin und Ehrenberlinerin Peaches ist in der Hochkultur angekommen. Nun gastiert sie mit ihrer Over-The-Top-Show „There’s Only One Peach With The Hole In The Middle“ in der Volksbühne
Kürzlich an einem ganz normalen Novemberabend vor einem Vintage-Klamottenladen in Neukölln: Da torkelt ein Kerl an einer Gruppe junger Menschen vorbei und dreht sich plötzlich um, ohne dass irgendjemand auch nur einen Laut von sich gegeben hätte. Er führt sich aber auf, als hätte ihn jemand schwer beleidigt, und geht auf eine der jungen Frauen los, die instinktiv das Richtige tut und mit ihrer Handykamera mitzufilmen beginnt. Er rempelt sie beiseite, nennt sie „Schlampe“, droht ihr mit der Faust, schlägt ihr das Telefon aus der Hand. Und spuckt der Dragqueen, die in diesem Augenblick aus dem Laden kommt, ins Gesicht. Der Täter flieht, das Video aber bleibt. Es zeigt ein Stück trauriger Wirklichkeit. Denn das ach so progressive Berlin mag manchmal zwar wie eine bunte Bubble erscheinen, in der alle, wirklich alle ihren Platz finden. Zur Wahrheit gehört aber auch: Da draußen auf den Straßen gibt es noch immer eine Menge Hass, Sexismus und Transphobie, da sind noch immer viel zu viele Dreckskerle unterwegs, deren zur Schau gestellte Maskulinität nicht bloß toxisch, sondern schlicht kriminell ist.
Wenn es einen Gott gibt, dann muss er selbst ein Dreckskerl sein, denkt man sich manchmal. Oder zumindest einer, dem eigentlich alles scheißegal ist. Andererseits stimmt der Gedanke tröstlich, dass es im Universum immer so etwas wie einen Energieausgleich gibt, ein kosmisches Gegengewicht zur Dreckskerl-Energie. In Gestalt singender Racheengel, die zur Erde gekommen sind, das Patriarchat zu zerschmettern und den Menschen Liebe zu bringen. Einer dieser Racheengel ist Peaches, die kanadische Punk- und Electroclash-Sängerin, Ikone des Queer-Feminismus, lebendes Gesamtkunstwerk. Wo Peaches ist, da ist kein Hass, sondern Sex, Bass und Party. In ihrer Welt gibt es keine toxische Maskulinität mehr, weil es überhaupt kein Konzept von Männlichkeit mehr gibt, das die Gesellschaft vergiften könnte. In ihren Shows gibt sie Geschlechterkonstruktionen ebenso der Lächerlichkeit preis wie chauvinistische Dominanzrituale.
Peaches feiert den menschlichen Körper, unabhängig davon, wie er aussieht und welcher Kategorie er sich zuordnen lässt, vor allem aber feiert sie die Lust, die wir in ihm erfahren können. „In meiner Arbeit geht es immer um Ausdrucksfreiheit, Gemeinschaft und die Fähigkeit, sich im eigenen Körper wohlzufühlen“, sagt die 53-Jährige. Das ist die wesentliche Lehre, die sie in ihrer Musik umkreist – „The Teaches of Peaches“, wie ihr zweites Studioalbum hieß, das im Jahr 2000 beim Berliner Independent-Label Kitty-Yo erschien, kurz nach ihrem Umzug in die deutsche Hauptstadt.
Merrill Nisker, so ihr bürgerlicher Name, weiß: Wer die Menschen befreien will, muss ihre Genitalien befreien. Sexualität ist nicht allein Privatsache, in ihr zementieren sich Machtverhältnisse. Daher ihre grotesk überdimensionierten Vulva- und Schwanzkostüme, daher auch die auf die Spitze getriebene Pussy- und Penis-Poetry („Vaginoplasty“, „Dick In The Air“). Peaches, die Sexualtherapeutin unseres Vertrauens, will unsere geschundenen Körper von anerzogenen Schamgefühlen heilen, von all den physischen und psychischen Schmerzen, die sich leider nicht so einfach wegficken lassen („Fuck The Pain Away“).
Das Jahr 2019 war ein besonderes für Peaches. Denn in den vergangenen zwölf Monaten öffneten sich für die kompromisslose Künstlerin, die eigentlich immer in der Subkultur zuhause war, endgültig die Türen zur Hochkultur. Im Januar spielte sie an den Staatstheatern Stuttgart die Hauptrolle der Anna im Kurt-Weill-Ballett „Die sieben Todsünden“ und sang ihre Parts vor Orchester mit einer solch bravourösen Souveränität, als hätte sie in ihrem Leben nie etwas anderes gemacht als die großen Theaterbühnen zu bespielen. Im August eröffnete sie ihre erste Solo-Ausstellung am Hamburger Theater Kampnagel („Whose Jizz Is This?“), bei der sie für Männer produzierte Sextoys, die die Frau auf ihre Öffnungen reduzieren, zu wasserspeienden Fontänen umfunktionierte – ein typischer Peaches-Move: aufgeladene Symbole so umzudeuten, dass sich die Machtverhältnisse umkehren.
Seit sie mit etablierteren Institutionen zusammenarbeite, habe sich für sie nicht viel verändert, sagt Peaches: „Verändert hat sich nur die Art und Weise, wie ich von anderen wahrgenommen werde – und jüngere Menschen, die meine Arbeit schätzen, haben mittlerweile Positionen erreicht, in denen sie wirklich etwas verändern und mich in ihre Programme miteinbeziehen können.“
Ende des Jahres ist sie mit ihrer Performance „There’s Only One Peach With The Hole In The Middle“ an vier aufeinander folgenden Abenden an der Berliner Volksbühne zu Gast, angekündigt als futuristisches Bühnenhappening, was aber keine besonders treffende Bezeichnung sei, wie sie betont: „Es ist schließlich keine spontane, sondern eine durchgeplante, gut einstudierte Show.“ Wie sollte es auch anders gehen bei knapp 40 Musiker*innen und Performer*innen auf einer Bühne, mit Hörnern und Streichern, Gitarren und Live-Drums, Live-Back-Up-Vocals und Laserharfen, spektakulären Kostümen von Charlie Le Mindu und modernen Tanzchoreographien – inspiriert von den Varieté-Shows der 70er-Jahre, von LGBTIQ*-Vorbildern wie Bette Midler und Liza Minnelli. „Over-the-top-Entertainerinnen“, schwärmt Peaches.
Damit geht das Jahr 2019 also zu Ende. Und es bleibt die Frage, ob die Welt in den letzten zwölf Monaten zu einem besseren oder schlechteren Ort geworden ist? „Die Welt ist groß und expansiv, sie wächst exponentiell in alle Richtungen. Deshalb ist meine Antwort: beides“, sagt Peaches. Merrill Nisker ist keine naive Idealistin, sie weiß um die Rückschläge, die mit jedem Fortschritt einhergehen. „Wir müssen unsere Kräfte nutzen, um den guten Kampf zu kämpfen – to fight the good fight.“
Neben all den frauenverachtenden Lockerroom-Talks und transphoben Übergriffen auf Neuköllner Straßen muss man eben auch sehen, dass eine Künstlerin wie Peaches in diesem Jahr enorm an Einfluss gewonnen und altbewährte Institutionen erobert hat. So betrachtet sind wir dem Guten, Wahren und Schönen vielleicht doch wieder ein Stückchen näher gekommen.
Volksbühne Rosa-Luxemburg-Platz, Mitte, Sa 28.–Di 31.12., 20 Uhr, VVK ab 38 €