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Sexismus

Catcallsofberlin macht sexuelle Belästigung mit Kreide öffentlich

Als Frau an Männern vorbeizugehen, nachts auf der Straße und allein, aber auch tagsüber und zu zweit, kann unangenehm werden. Denn einige Männer finden auch im Jahr 2020 nichts dabei, auf herablassende Art und Weise das Aussehen von Frauen zu kommentieren oder sie zu bedrängen. Die Macherinnen des Instagram-Accounts Catcallsofberlin wollen das nicht so stehen lassen und machen die sexuelle Belästigung öffentlich — dort, wo die Frauen sie ertragen mussten: mit Kreide auf der Straße.

Catcallsofberlin macht sexuelle Belästigung an den Orten öffentlich, wo Frauen sie ertragen mussten.
Catcallsofberlin macht sexuelle Belästigung an den Orten öffentlich, wo Frauen sie ertragen mussten. Foto: catcallsofberlin/Mia Friedmann

„Willst du mir einen blasen?“

„Wie viel kostest du?“

„Ich wollte schon immer wissen, wie sich eine Ausländerin fickt.“

Solche Dinge, neben unzähligen anderen herabwürdigenden Kommentaren, haben Männer in den letzten Wochen Frauen* auf Berlins Straßen hinterhergerufen. Mia Friedman von der feministischen Organisation „catcallsofberlin“ will das nicht so stehen lassen. Sie will sich wehren — und kämpft seit Februar 2019 gegen Sexismus auf der Straße, indem sie die Erlebnisse von belästigten Frauen* auf dem Instagram-Acccount „catcallsofberlin“ öffentlich macht.

Denn sexuelle Belästigung ist in Deutschland noch immer Alltag. 2017 gaben 43 Prozent der Frauen* in einer Umfrage an, schon einmal sexuell belästigt oder bedrängt worden zu sein. Der eigentliche Prozentsatz könnte noch höher liegen, weil nicht alle Frauen* wissen, dass auch auch ein Kommentar über das Aussehen einer Frau, den ein Mann laut auf der Straße abgibt, sexuelle Belästigung ist.

Catcalls sind herabwürdigende sexualisierte Kommentare gegenüber Frauen*

Als „catcalling“ bezeichnet man sexualisierende, herabwürdigende, unangemessene Kommentare von Männern gegenüber Frauen* in der Öffentlichkeit. „Sobald sich jemand unwohl fühlt und die Kommentare nicht darauf abzielen, dass sich die Frauen* unterlegen fühlen, sprechen wir von Catcalling“, sagt Mia Friedmann. „Ein Catcall ist kein Dialog auf Augenhöhe, sondern zeichnet sich dadurch aus, dass die Täter, und das sind in den meisten Fällen Männer, sexualisierte Aussagen machen, auf die das Opfer gar nicht ernsthaft antworten kann.“

https://www.instagram.com/p/B0766dfIsmD/

Der Aktivismus von catcallsofberlin funktioniert so: Frauen*, die sexuelle Belästigung erlebt haben, berichten catcallsofberlin von ihren Erlebnissen. Die vier Kreiderinnen der Initiative malen dann mit Kreide auf die Straße, was den Frauen passiert ist — an genau der Stelle, an der die Männer sie belästigt haben.

Die Idee kommt aus New York

Die Idee kommt aus New York, inzwischen haben sich aber in Städten und Ländern auf der ganzen Welt Ortsgruppen gebildet. Es gibt catcallsofbielefeld, catcallsofgraz, und catcallsofturin, catcallsoflondon, catcallsoflebanon, catcallsofpuertorico, catcallsofkenya und catcallsofminneapolis – und viele mehr.

Als Mia Friedmann zum ersten Mal die Worte, mit der ein Mann eine Frau auf der Straße sexuell belästigt hatte, auf die Straße kreidete, war sie ganz schön nervös. „Ich wusste nicht, wie die Leute reagieren, wenn ich obszöne Dinge auf die Straße schreibe“, sagt sie. Tatsächlich wird Friedmann oft selbst belästigt, wenn sie die catcalls auf die Straße kreidet. Männer kommen auf sie zu und kommentieren ihr Aussehen oder wiederholen, was sie gerade auf die Straße schreibt.

https://www.instagram.com/p/BxwZNZ9Igh4/

Andere, auch Frauen, unterstellen ihr, sie brauche Aufmerksamkeit und es gebe wichtigere Dinge. Wieder andere motzen sie an, weil sie angeblich die Straße beschmutze — mit Kreide. „Aber das ist es mir wert. Der Aufwand, etwas auf die Straße zu kreiden, ist gering im Vergleich zur Wirkung“, sagt Friedmann. Die Aktivistinnen aus Kenia zum Beispiel gehen dagegen laut Friedmann ein viel größeres Risiko ein: Sie müssen anonym bleiben, weil sie sonst verfolgt und bedroht würden.

Die übergriffigen Männer sollen sehen, dass ihr Verhalten Konsequenzen hat

Manche der Instagram-Accounts der Organisation werden auch von Männern administriert — allerdings von solchen, die vom Feminismus und dem Konzept der Gleichberechtigung überzeugt sind. Dass sie und ihre Mitstreiter*innen mit den Instagram-Accounts sexistische oder dem Problem gegenüber gleichgültige Männer erreichen können, glaubt Friedmann nicht. Aber das ist auch nicht ihre primäres Ziel. Sie will, dass sich die übergriffigen Männer angesprochen fühlen, wenn sie wieder dort langgehen, wo sie Frauen* belästigt haben. „Vielleicht spart die Person sich dann das nächste Mal ihre Sprüche, weil sie merkt, dass ihr Verhalten Konsequenzen hat“, sagt Friedmann.

Darüber hinaus machen die Betreiber*innen der catcalling-Acccounts mit ihren Kreideaktionen deutlich, in welchen Gegenden Frauen* besonders oft Opfer von sexueller Belästigung werden. Denn es fällt auf, wenn die Aktivist*innen bestimmten Straßen besonders häufig kreiden. Am wichtigsten ist aber: Sie brechen das Schweigen über sexuelle Belästigung und helfen den Opfern, sich weniger hilflos, dreckig oder alleine zu fühlen. „Für mich ist das Kreiden eine Form von Widerstand“, sagt Mia Friedmann. „Es gibt mir das Gefühl, dass ich etwas gegen den Sexismus in der Gesellschaft tun kann, wenn auch in kleinem Rahmen.“


Sexuelle Belästigung ist auch im Jahr 2020 in Deutschland Alltag. Unsere Autorin beschreibt, wie sich Opfer fühlen — und wie man sich wehrt. Der Lockdown hat Berlin verändert. Wenn es um das Sicherheitsgefühl von Frauen geht, hat die Corona-Krise Berlin zeitweise zur Kleinstadt gemacht – im negativen Sinn. Übrigens: Berlin informiert regelmäßig über alle Neuerungen im Zusammenhang mit Corona.

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