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„Erschießen sollte man euch!“ – Wie es um das Volksbegehren „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ steht

Es ist das am heftigsten umstrittene Volksbegehren in der Geschichte Berlins. Am 13. Juni endet die erste Stufe der Unterschriftensammlung. Wir haben Aktivisten begleitet, um zu sehen, wie Berliner auf das Projekt reagieren

Foto: Deutsche Wohnen & Co. enteignen/ Jan Ickx

Die Wut hat sich tief in sein Gesicht eingegraben. „Erschießen sollte man euch“, sagt ein etwa 60-jähriger Mann mit verzerrter Miene. „Mit Maschinengewehren“, fügt er mit Nachdruck hinzu, während er bereits mit großen Schritten weiterläuft. Die Angesprochenen, das sind fünf Menschen, die sich mit Klemmbrettern und Kugelschreibern nahe dem Eingang des Tempelhofer Felds positioniert haben. Sie sind zwischen 26 und 60 Jahren alt. Sie tragen lila Warnwesten, manche auch Rucksäcke, aus denen gelbe Schilder ragen. Auf diesen steht in lila ihr Anliegen: „Deutsche Wohnen und Co enteignen“. Sie rufen: „Berlin retten durch Enteignung!“ Und sie sind gekommen, um Unterschriften für das wohl umstrittenste Volksbegehren in der Geschichte Berlins zu sammeln.

Am 14. Juni reicht die Initiative „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ ihren Antrag auf ein Volksbegehren beim Senat ein. Bis dahin wird sie deutlich mehr gesammelt haben als die nötigen 20.000 Unterschriften. Allein am ersten Sammlungstag haben auf der Auftakt-Demo 15.000 Berlinerinnen unterschrieben. Mit dem Volksbegehren sollen die zehn Firmen, die in Berlin über 3.000 Wohnungen besitzen, enteignet werden. Es wäre ein Paradigmenwechsel. Weg von der reinen Markt­orientierung, hin zum Allmende-Gedanken in der Wohnungspolitik. Kritikerinnen sehen einen Angriff auf die kapitalistische Ordnung, viele Unterstützerinnen sehnen genau den herbei. Die explodierenden Mieten in Berlin lassen sie auf radikale Schritte hoffen. Laut einer Umfrage von infratest dimap ist momentan mehr als ein Drittel der Berlinerinnen für eine Enteignung gegen Entschädigung, mehr als die Hälfte dagegen. Bei einer Umfrage von Civey bekamen beide Seiten rund 45 Prozent. Unentschiedene gibt es in dieser Frage kaum.

Eine schick gekleidete Gruppe, darunter eine Frau mit schwarzer Sonnenbrille und kurzen grauen Haaren, passiert den Eingang des Tempelhofer Feldes. Ob sie unterschreiben will? Die Frau lacht und ruft: „Wir dürfen nicht, wir sind Immobilienmakler.“ Viele scheinbar gutsituierte Berlinerinnen verweigern den Aktivistinnen an diesem Tag ihre Unterschrift. „Wie fänden Sie es, wenn ich Ihnen die einfach wegnehme?“, sagt ein weißhaariger Herr, Hemd unter dem Pullover, entrüstet und zeigt auf die goldfarbene Uhr der Unterschriftensammlerin, die ihn angesprochen hat.

„Bis jetzt unterschreibt man nur für die Demokratie“, sagt Robert, 26, einer der Unterschriftensammler vom Tempelhofer Feld. Es geht darum, das Volksbegehren zur Zulassung zu bringen. Ab dem 14. Juni wird der Antrag in der Senatsverwaltung geprüft. Vier Monate dürfen die Behörden sich dafür Zeit lassen. Danach haben die Aktivistinnen vier Monate, um 170.000 Unterschriften von wahlberechtigten Berlinerinnen für das Volksbegehren zu sammeln. Klappt das, kommt es zum Volksentscheid. Berlin wird zur Urne gerufen. Stimmt mindestens ein Viertel der Wahlberechtigten und mehr als die Hälfte der Abstimmenden für die Enteignungen, hat die Initiative gesiegt.

Das Schlagwort Enteignung lässt die Emotionen hochkochen. Es klingt für viele nach der Rückkehr des Sozialismus, dem Ende der Leistungsgesellschaft. Die Landes-Partei die Linke ist dafür. An Europawahlkampf-Ständen hat sie mehr als 10.000 Unterschriften für die Enteignungs-Initiative gesammelt. Die Berliner Grünen unterstützen das Volksbegehren, die SPD hat sich noch auf keine Position festgelegt, CDU und AfD sind dagegen.

Die Wirtschaft ist in Sorge. „Unternehmen werden sich künftig dreimal überlegen, ob sie Wohnungen bauen, wenn ihnen Enteignungen oder Mietendeckel drohen“, sagt Frank Sitta, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Bundes-FDP. „Enteignen: Das haben die Stasi und die Gestapo auch gemacht“, ruft ein etwa 60-jähriger Mann zornig, während er die Unterschriftensammler auf dem Tempelhofer Feld passiert. „Das ist falsch, in der BRD wird jeden Tag enteignet“, entgegnet Robert mit aufgebrachter Stimme. Doch der Mann schenkt ihm kein Gehör und läuft hastig weiter.

Tatsächlich laufen in Deutschland aktuell 200 Enteignungsverfahren von Grundstücken, auf denen Bundesstraßen oder Autobahnen gebaut werden sollen. Der Unterschied: Die Enteignungen, die es bisher in der Bundesrepublik gab, wurden auf Basis des Artikel 14 vollzogen. Die Aktivistinnen von der Enteignen-Initiative hingegen wollen den Artikel 15 des Grundgesetzes nutzen. Der Unterschied: Bei Enteignungen mittels Artikel 14 wird um die Höhe der Entschädigung vor Gericht gestritten, bei Nutzung von Artikel 15 wird die Entschädigung per Gesetz festgelegt. Artikel 15 wurde noch nie genutzt. Die Höhe der Entschädigung ist eine zentrale Frage in der Enteignungs-Diskussion. Bei etwa 200.000 betroffenen Wohnungen rechnet die Initiative mit Kosten von 7,3 bis 13,7 Milliarden Euro. Davon soll Berlin 20 Prozent mit Eigenkapital finanzieren, den Rest durch Kredite. Der Senat schätzt die Kosten auf 36 Milliarden Euro. Aber würde die Enteignung die Lage in Berlin überhaupt verbessern? Immerhin sind ja auch die öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften, privatwirtschaftlich organisierte GmbHs, auf Rendite aus. Das Wohnungsunternehmen Berlinovo, das Berlin gehört, erzielt mittels möblierter Studentenwohnungen Mieten weit jenseits des Mietspiegels. Die Lösung der Initiative: Die Bestände sollen an eine neu zu gründende, gemeinwohlorientierte Anstalt öffentlichen Rechts übertragen werden. In ihrer Satzung soll festgehalten werden, dass die Bestände nicht wieder privatisiert und somit langfristig geschützt werden. Mieterinnen, Stadtgesellschaft und Belegschaft sollen demokratisch an Verwaltungsentscheidungen, wie etwa zur Sanierung und Kostenstruktur beteiligt sein. In Kombination mit dem Neubau von Sozialwohnungen könnte sich der Berliner Wohnungsmarkt erholen, so die Hoffnung der Initiative.

Hinter den Enteignungs-Aktivistinnen, die wir begleitet haben, erstreckt sich das Tempelhofer Feld. Es ist ein riesiges Zeichen für die Macht der Berlinerinnen. Und die Wirksamkeit Berliner Volksentscheide. 2014 stimmten 65 Prozent der teilnehmenden Wählerinnen für ein freies Feld. Doch die Diskussion um eine Bebauung ist damit nicht beendet. Immer wieder kocht sie hoch. Der Volksentscheid, der die Offenhaltung des Flughafens Tegel vorsah, wird von der Politik erst gar nicht akzeptiert. „Demokratie ist ein Ideal und das ist gut so, aber wenn das was verändern würde, wäre es schon längst verboten“, sagt ein älterer Mann zu den Aktivisten am Tempelhofer Feld. Er klingt verbittert. Er unterschreibt nicht. Aber als er weitergeht, dreht er sich noch einmal um und sagt: „Weiter so!“. Ein etwa 50-jähriger Mann im Jogginganzug unterschreibt und sagt kopfschüttelnd: „Diese Wohnungsunternehmen sind die größten Verbrecher aller Zeiten.“ Andere klopfen den Unterschriftensammlerinnen auf die Schultern oder sagen „Jut jemacht.“ Einige Menschen finden die Kampagne gut, wollen aber nicht unterschreiben, da sie selbst nicht in einer der betroffenen Wohnungen leben. Wenn Aktivist Robert ihnen vorschlägt, dass sie aus Solidarität zu ihren Mitmenschen trotzdem unterschreiben könnten, tun sie das meistens auch.

Drei Stunden sammeln die Vertreter von „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ an diesem Tag Unterschriften. Gegen 18 Uhr verstauen sie Klemmbretter, Flyer und Schilder in ihren Rucksäcken. Aufgekratzt versammeln sie sich am Tisch eines nahen Cafés unter einem Sonnenschirm. Sie tauschen sich über ihre Erfahrungen aus und lachen gemeinsam über Kommentare, die sie sich anhören mussten. Die verschiedenen Gruppen die an diesem Tag auf dem Tempelhofer Feld unterwegs waren, haben insgesamt etwa 100 Unterschriften gesammelt. 100 kleine Schritte zu einer ganz neuen Mietenpolitik.

Text: Masha Slawinski und Martin Schwarzbeck

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