Marode Berliner Schule: Seit Jahren ist die Sanierung des Gymnasiums am Europasportpark in Prenzlauer Berg überfällig. Ein Bauzaun soll verhindern, dass den Schülern und Lehrern Fenster auf den Kopf fallen. Nicht nur die Elternvertreter:innen sind mit der Geduld am Ende. Zu Besuch in den Niederungen der Berliner Schulbauoffensive.
Marode Berliner Schule im Sanierungsstau: Ein DDR-Bau aus den 70ern
Der Weg zum Gymnasium am Europasportpark drückt sich schmal an einer Baustellenzufahrt vorbei, nebenan richtet das Land Berlin einen Bau für das Technische Finanzamt her. Ein Holzplattendach überspannt den Pfad zu den Eingängen, auf dünnen Stelzen, wie eilig zusammengezimmert. Das Gestell hat etwas von einem Bergbaustollen.
Die gelbliche Fassade des Fünfgeschossers mitten in Prenzlauer Berg, eine dieser DDR-Schulen in SK-Bauweise, kann seit der Fertigstellung Anfang der 1970er Jahre nur selten mit frischer Farbe konfrontiert worden sein. 15 Meter vor der Wand: ein Bauzaun, quer über den Schulhof. Niemand soll dem Haus näherkommen. Falls etwas von oben runterfällt. Ein Fenster zum Beispiel.
Wäre ja nicht das erste Mal.
„Neulich kamen drei Referentinnen, die dachten, das könne unmöglich das Gymnasium sein“, sagt André Mors, der Gesamtelternsprecher des Gymnasiums. „Sondern ein Abrisshaus.“
Sanierung sollte 2019 losgehen, jetzt startet sie 2026 – vielleicht
Seit Jahren warten sie hier auf die überfällige Sanierung des Gymnasiums. Die Schüler, die Lehrer:innen, die Elternvertreter:innen. Erst sollte es 2019 losgehen. Dann 2023.
Das Gymnasium am Europasportpark, kurz GESP, ist ein besonders bizarres Beispiel dafür, wie holperig die groß apostrophierte Schulbauoffensive mitunter vorankommt. Wie die Bezirke, die in der Regel für die Baumaßnahmen zuständig sind, und der Senat, der das Geld dafür berappt, sich Verantwortung gegenseitig zuschieben. Hin und her.
Die Schulsenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD), seit Ende 2021 im Amt, sagte kürzlich dem „Tagesspiegel“, das Gymnasium am Europasportpark sei die erste Schule gewesen, die sie nach ihrem Amtsantritt besucht habe. „Und ich muss ganz ehrlich sagen: Ich habe nicht gewusst, dass es so was gibt.“ Dann setzt sie hinzu: „Aber ich muss auf den Bezirk verweisen. Der ist für Baumaßnahmen zuständig.“
Jetzt wurde die Sanierung erneut verschoben. „Wir hatten alle gehofft, dass wir nur noch ein bisschen durchhalten müssen“, sagt Mors, 54, drei Söhne, zwei davon auf der GESP. Ein Rechtsanwalt mit freundlicher Zugewandtheit und erfreulich robustem Humor.
Den braucht er hier auch.
Ganz dicke Luft im Klassenraum
Zum Ortstermin mit dem tip sind neben dem Gesamtelternsprecher dessen Stellvertreter Winfried Werner, auch Vorsitzender des Bezirksschulbeirates, und Marika Südbeck von der Schulkonferenz gekommen. Dazu die Schülerinnen Kyra, zwölfte Klasse, die Gesamtschülersprecherin des Gymnasiums, und Lilly, elfte Klasse. Es ist ein warmer Nachmittag im August, das neue Schuljahr ist gerade mal zwei Tage alt.
Erste Station: Keller. Hier ist der Kunstbereich. Heiße, stickige Luft. Im Flur riecht es abgestanden, muffig. Nach altem Linoleum. Es riecht nach der DDR. Lilly sagt: „Ich hatte gestern Geschichte, im Raum war nur ein Fenster offen. Es war so heiß, man konnte sich kaum konzentrieren.“
Eine Etage höher, ein anderer Raum. Mors zählt: „Hier gibt es genau zwei Fenster, die man öffnen kann.“ Zwei von sieben im Raum. Alle anderen Fenster sind zugeschraubt. Beim nächsten Raum dieselbe Ratio des Verfalls: zwei zu sieben. So geht es weiter, Etage für Etage. Zwei zu sieben.
Und das in einer Pandemie, die ja längst nicht vorbei ist. Wo Lüften Not tut, beileibe nicht in jedem Raum Luftfilter rödeln. Aber überhaupt: 32 Teenager in einem kaum ventilierten Klassenzimmer. Marika Südbeck, 50, ein Sohn, eine Tochter, sagt: „Hier riecht es wie in einem Bärenkäfig.“ Ganz dicke Luft.
In einem Flur stehen tatsächlich zwei Fenster offen. Unten am Rahmen ragen rostige Schrauben aus dem porösen Holz. Da mag man nicht aus Versehen drauflehnen.
2017 fiel die Heizung aus, es gab Kältefrei – im Oktober
Es fehlt an allem. Breitband, flächendeckendes W-Lan, Farbe an den Wänden. Die Computerräume sehen aus, als befände man sich im Museum der Dinge. 2017 fiel für einige Tage die Heizung komplett aus, es gab „kältefrei“ – im Oktober. Kurz nach Weihnachten 2021 brach ein Feuer im Haus aus. Brandstiftung, vermutlich.
„Die Botschaft dieses Gebäudes ist nicht: Ihr seid uns was Wert. Sie ist nicht: Ihr seid hier willkommen“, sagt Marika Südbeck. „Das ist doch kein sozialer Lernort.“
Der Schulhof war vor zwei Jahren gerade teilweise neu gepflastert worden, hatte neue Bänke bekommen, da krachte ein Fenster runter. Also musste der Zaun her. Vor den neuen Bänken und dem neuen Pflaster.
Dass dieses Gymnasium aussieht, als stände es auf einem Instagram-Account für Lost Places, hat unter anderem zu tun mit, sagen wir, besonders unglücklichen Kombinationen von komplexen Vorgängen.
Zwar war das Gymnasium 2016 eine Neugründung – aber in einer alten Immobilie. Der Plattenbau beherbergte vor der Wende eine Kinder- und Jugendsportschule (KJS), danach das Coubertain-Gymnasium. Weil der Senat, sehr grob gefasst, Schulneubauten finanziert, nicht aber bestehende Gebäude, war das GESP chronisch unterfinanziert. Und konnte, als die Schülerzahl stetig von 89 im ersten Schuljahr auf zuletzt 800 Schüler:innen stieg, irgendwann auch nicht mehr bei laufendem Betrieb saniert werden.
„Wir haben hier eine tolle Schülerschaft, engagierte Lehrer”, sagt Winfried Werner, 64, auch ein Rechtsanwalt. „Sonst würde hier gar nichts funktionieren.“
Noch dreieinhalb Jahre durchhalten: Ein Schock, der wütend macht
Bis Anfang das Jahres war man im GESP davon ausgegangen, 2023 für die Sanierungszeit umziehen zu können. Am Volkspark Friedrichshain, auf der „Werneuchener Wiese“, plant der Bezirk Pankow dafür einen temporären Bau, eine sogenannte „Schuldrehscheibe“. „Wir hatten für 2023 mit dem Ersatzstandort gerechnet“, sagt Mors.
Im Januar gab das Bezirksamt jedoch eine Pressemitteilung heraus. Danach zieht zuerst eine andere Schule in die Drehscheibe, das Felix-Mendelssohn-Bartholdy-Gymnasium. Das GESP kommt danach dran. Ab Februar 2026. Ein Schock, der wütend macht.
„Zwei Schülergenerationen haben dann ihre komplette Oberschulen-Zeit in einem Provisorium verbracht“, schüttelt Winfried Werner den Kopf. Sein älterer Sohn, 16, macht 2023/24 sein Abitur. Der Jüngere ist 14. „Vielleicht kommt er noch in die Schuldrehscheibe“, hofft Werner.
Noch dreieinhalb Jahre durchhalten.
Bleibt der Bauzaun bis zur Sanierung stehen?
André Mors sagt, notwendig seien endlich „verbindliche Zusagen und die Umsetzung dieser Zusagen– und auch die Umsetzung bereits bestehender Zusagen, so dass angemessene Lehr- und Lernbedingungen geschaffen werden und gewährleistet sind.“ Also: Fenster instandsetzen, Klassenräume renovieren, Begegnungszonen schaffen, Bauzaun und Schutzüberdachungen beseitigen.
Aber dafür sieht es gar nicht gut aus.
„Ein kompletter Austausch würde mindestens zwei Millionen Euro kosten und die Fenster müssten vor der bevorstehenden Sanierung wieder entfernt werden“, sagt die Bezirksstadträtin Dominique Krössin (Die Linke), in Pankow zuständig für Schule, Sport, Weiterbildung und Kultur. „Das ist bei einer Finanzierung durch öffentliche Gelder weder zulässig noch vertretbar.“
„Herr Werner und ich machen das ja schon ziemlich lange“, sagt André Mors. Beide kennen sich aus mit Ämtern, Verwaltungen, mit Schriftwechseln, die gespickt sind mit Vokabeln wie Musterausstattungsprogramm, Basiskorrektur oder Baudienststellen. „Aber wenn man das Gefühl hat, man wird von der Politik dauernd verschaukelt, macht das einfach ärgerlich.“
Es wird immer schlimmer, sagt die Schülerin
Eine Möglichkeit, die dem Lehrer:innenkollegium jetzt womöglich noch bliebe, wäre eine Gefährdungsanzeige. „Damit teilt ein Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber mit, dass es im Betrieb Gefährdungen gibt, die das Arbeitsergebnis – zum Beispiel pädagogische Qualität, Beaufsichtigung – oder die eigene Gesundheit betreffen“, erklärt Markus Hanisch, Geschäftsführer der Lehrergewerkschaft GEW Berlin. Die Schulaufsicht sei dann verpflichtet, sich mit dem angezeigten Sachverhalt auseinanderzusetzen. „Und Schritte zur Verbesserung einzuleiten.“
Kyra, die Schülersprecherin, hat ihr letztes Schuljahr auf dem Gymnasium vor sich: „Ich bin hier seit der siebten Klasse. Es hat sich nichts geändert.“ Lilly findet: „Es wurde immer schlimmer.“ Kyra dekliniert den Horror durch: „Die Heizung kaputt, Strom, die Fenster. Alles bricht auseinander.“
Sie ist froh, dass es bald vorbei ist. Für sie.
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