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Medizinisches Cannabis: Wie Berlin auf dem Hanf-Markt mitmischt

Medizinisches Marihuana aus Deutschland? Seit Juli 2021 dürfen deutsche Pharma-Firmen Cannabis anbauen. Auf dem Wachstumsmarkt mischt auch Demecan, ein Cannabis-Start-up aus Berlin, mit. Das Produkt: Hanf als Heilpflanze. Wir haben den Betrieb besucht – und bei Patient:innen gefragt, was ihnen der Boom bringt.

Dass es Hanfplantagen bloß in Kolumbien, Jamaika oder versteckten Ecken in Brandenburg gibt – das ist längst nur noch ein Klischee. Medizinisches Marihuana wird längst an vielen Orten in Deutschland angebaut. Foto: Imago/Future Image
Cannabis für alle? Dass es Hanfplantagen bloß in Kolumbien, Jamaika oder versteckten Ecken in Brandenburg gibt – das ist längst nur noch ein Klischee. Medizinisches Marihuana wird längst an vielen Orten in Deutschland angebaut. Foto: Imago/Future Image

Medizinisches Cannabis wächst auch in Deutschland

Unter den persönlichen Arzneimitteln von Patrick Firnkes, 45, einem ADHS-Patienten, befindet sich eine pharmazeutische Weltneuheit. „Aphria Typ 1“, so heißt die Arznei auf seinem Verschreibungszettel. Sie enthält den Cannabis-Wirkstoff THC. Außergewöhnlich an diesem Medikament ist der Herstellungsort. 

Das Heilmittel ist auf einer Indoor- Plantage im schleswig-holsteinischen Neumünster gezüchtet worden. Marihuana von der Sorte Sativa, mit einem THC-Gehalt von 22 Prozent. Die botanische Anlage in der Provinz wird von der deutschen Tochterfirma eines kanadischen Pharma-Konzerns betrieben, der so heißt wie das Mittel selbst, nämlich Aphria. Patrick Firnkes lindert damit sein Leiden: eine schwere Form des Aufmerksamkeitsdefizit-Syndroms (ADHS).

Berliner Cannabis-Start-up Demecan baut Hanf an

Das hat es in der Bundesrepublik, dem Land von Bayer, Ratiopharm und Robert-Koch-Institut, noch nie gegeben: Medizinal-Hanf aus deutschem Anbau – ganz legal, in einen wirtschaftlichen Ordnungsrahmen gefügt. Der Grund ist eine gesetzliche Lockerung. Seit Juli 2021 darf Cannabis „made in Germany“ unter der Aufsicht des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte an hiesige Konsumenten verkauft werden.

Drei Firmen haben dabei vom Staat den Zuschlag für die Produktion erhalten. Aphria, aber auch die deutsche Niederlassung der Firma Aurora, ebenfalls aus Kanada, sowie das Berliner Start-up Demecan. 2,6 Tonnen jährlich dürfen die Cannabis-Spezialisten produzieren. Eine staatliche Cannabis-Agentur regelt das Business – und hat einen Frankfurter Dienstleister namens Cansativa mit dem Vertrieb beauftragt.

Die Cannabis-Firmen sind Pioniere in einem Wachstumsmarkt, dessen Umsätze vor allem in den Staaten des nordamerikanischen Kontinents steigen. Im experimentierfreudigen Israel prosperiert die Branche ebenso. Ein Heilsversprechen lockt die Kunden: Die uralte Kultpflanze Cannabis, jahrzehntelang dämonisiert, als Sedierungsmittel für Tagediebe und Tunichtgute, soll viele Gebrechen mildern. Von Migräne bis Multipler Sklerose.

Was bringt den Menschen deutsches Medizinal-Hanf? Patrick Firnkes hat schon kurz nach der Freigabe von seinem Psychiater ein Rezept ausgestellt bekommen. Er sagt über die Verbreitung von Cannabis à la carte: „Ein wichtiger Fortschritt für Deutschland.“ Der deutsche Hanf gesellt sich zu etlichen Cannabis-Importen aus anderen Ländern, die es in den Apotheken bereits gibt.

Patrick Firnkes leidet unter einer schweren Form von ADHS. Der Joint ist seine Rettung. Foto: High Stoned Media

Firnkes bezeichnet sich als „Edelkiffer“

Fünf Gramm am Tag raucht Patrick Firnkes, im Monat also rund 150 Gramm, inhaliert vor allem an der Bong. Manchmal auch im Joint oder Vaporizer. Sein deutsches Präparat, Aphria Typ 1, ist dabei ein Medikament in einer ganzen Arznei-Palette; er verabreicht sich noch zwei Produkte aus Kanada und eines aus Israel. „Die durchgehende, gleichbleibende Versorgung ist supergut“, sagt er. Tagsüber greift er zu den belebenden Blüten, nachts zu den entspannenden Sorten. Die hohe Dosis benötigt er, weil sein ADHS so heftig ist.

„Edelkiffer“, so bezeichnet sich der gebürtige Baden-Württemberger, der auch drogenpolitischer Aktivist ist, auf seiner Website. Ein Alias, dessen Coffeeshop-Humor ironisch ist. Denn Firnkes’  Biografie ist ein Leidensweg: Mit anderthalb Jahren plagte ihn eine fiese Hirnhautentzündung. Das Zappelphilipp-Syndrom, das ihn quält und depressive Phasen zur Folge hat, könnte Folge der damaligen Erkrankung sein.

„Ich bekomme mein Leben dank Cannabis besser auf die Reihe“, erzählt Firnkes. Die Wirkstoffe würden einen beruhigenden und fokussierenden Effekt haben, seine Impulsivität sei deutlich schwächer. Außerdem schläft er besser. Seit seinem 18. Lebensjahr therapiert sich Firnkes mit Cannabis. Über die Linderung seiner Symptome sagt er: „Der Staat hat mich gezwungen, kriminelle Handlungen vorzunehmen.“ Ob als Käufer größerer Mengen auf dem Schwarzmarkt oder als Hanfbauer mit Growbox in verborgenen Räumen.

Cannabis aus Deutschland ist vergleichsweise günstig

Schätzungsweise zwischen 7,50 und 11 Euro kostet Aphria Typ 1, das deutsche Produkt, in den Apotheken. Damit ist der Stoff um einiges billiger als die importierte Ware. Bald wird Aphria, der Quasi-Monopolist unter den deutschen Anbietern, dann Konkurrenz aus dem eigenen Land bekommen. Jedenfalls dann, wenn die Fuhren der anderen beiden deutschen Hersteller von Medizinal-Hanf produziert sind. Noch sind die Unternehmen nicht so weit.

Es könnte mehr  Verkaufsstellen geben. Deutschlandweit horten gerade einmal zwischen 2.000 und 2.500 Apotheken Cannabisblüten in ihren Regalen. Lediglich 80.000 Menschen lassen sich in der Republik mit Cannabis-Produkten behandeln.

Patienten wurden wie Drogenbarone behandelt

Für Patienten wie Firnkes ist das Ganze dennoch ein weiterer Schritt zur Normalisierung eines probaten Medikaments. Immer ferner rückt die Repressionspolitik der Vergangenheit. 2013 etwa war Firnkes, der ADHS-Patient, noch ins Visier der Justiz geraten. Er wurde ins Gericht geladen, nachdem ihn die Polizei mit 1,5 Kilo, dem Erntegut aus seiner privaten Plantage, erwischt hatte. Anderthalb Jahre Gefängnis auf drei Jahren Bewährung und 1.000 Euro Geldstrafe bekam er, wie ein kleiner Drogenbaron.

Seit 2017 holt sich Firnkes seine Rationen aus der Apotheke. Jenes Jahr, das eine weitere Liberalisierung gebracht hatte: Ärzte dürfen seither ihren Patienten medizinisches Cannabis per Rezept verordnen. Zuvor war in Deutschland die Gesetzeslage noch streng. Grundsätzlich war der Gebrauch von Cannabis zu medizinischen Zwecken erlaubt – jedoch nur im Fall einer Ausnahmegenehmigung, erteilt vom Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte.

Zurzeit kostet Firnkes’  medikamentöse Behandlung 3.000 Euro pro Monat. Darunter auch das neue Präparat aus Deutschland. Berappt wird die Therapie von einer gesetzlichen Krankenkasse. Was nicht selbstverständlich ist: Nur in 60 Prozent der Fälle erstatten Barmer, AOK & Co. die Kosten für medizinisches Marihuana.

Demecan: Cannabis-Start-up aus Kreuzberg

Die drei Gründer des Cannabis-Startups Demecan: Adrian Fischer, Cornelius Maurer und Constantin von der Groeben (v.l.) Foto: Demecan/www.engelmann-photographie.de

Zu einem Profiteur des Cannabis-Hypes könnte die junge Pharma-Firma Demecan werden. Jenes Start-up aus Berlin, das zum exklusiven Kreis der staatlich lizensierten Hanfbauern zählt.

Das Unternehmen, 2017 gegründet, hat sich an der szenigen Reichenberger Straße in Kreuzberg angesiedelt – ein Hotspot der „Legalize It“-Bewegung. Früher einmal gehörte Kreuzberg zum Wahlkreis des Grünen-Rebellen Hans-Christian Ströbele, der sich mittlerweile aufs Altenteil zurückgezogen hat. Seine Losung „Gebt das Hanf frei“, auf der Hanfparade 2002 in Berlin verkündet, ist bis heute legendär.

Die Gründer sind „Die drei ???“ im Cannabis-Kosmos

Die Gründer des Start-ups sind gewissermaßen „Die drei ???“ im Cannabis-Kosmos. Drei Jungs, die ihre Freundschaft zum Treibstoff einer gemeinsamen Sache gemacht haben – und dabei ihre Neigungen ausleben. Adrian Fischer, ausgebildeter Arzt, kümmert sich um die medizinische Expertise, der Ökonom Cornelius Maurer um die Bilanzen. Constantin von der Groeben, ein Jurist, untersucht die rechtlichen Belange rund um ein Medikament, das noch immer unters Betäubungsmittelgesetz fällt.

Die Thirtysomethings waren einmal Mitglieder der Studienstiftung des Deutschen Volks. Ihr Labor ist nun ein ehemaliger Schlachthof im sächsischen Ebersbach. Dort wächst der Hanf – in einem Raum, der von 24 Zentimeter dicken Stahlbeton ummantelt ist.

Hier werden einmal Blüten für gezüchtet: eine Produktionsstätte von Demecan, Berliner Start-up für medizinisches Marihuana. Foto: Demecan
Hier werden einmal Blüten für gezüchtet: eine Produktionsstätte von Demecan, Berliner Start-up für medizinisches Marihuana. Foto: Demecan

Mehr als 60 Leute arbeiten für die GmbH, darunter Gärtner, Chemiker und Pharmazeuten. „Hier wird ein neuer, seriöser Markt angestoßen“, sagt Constantin von der Groeben. Unter den Bewerbern für das Unternehmen ist auch schon einmal ein Hobby-Kiffer. Ein Missverständnis: Im Cannabisgeschäft sind geschliffene Young Professionals gefragt. Zum Jahreswechsel 2021/22 erwarten die THC-Farmer die erste Ernte.

Medizinisches Marihuana als Erlösung für Schmerzpatienten

Noch ein Cannabis-Business floriert im soliden Wilmersdorf. Ein Therapiezentrum im Zeichen des Hippokrates: Dort behandeln Ärzte verzweifelte Menschen mit der segensreichen Wirkung des Hanfs. Ein Naturmittel, das hierzulande verschrieben wird, wenn andere Wege versagt haben.

Julian Wichmann, promovierter Arzt, ist Mitgründer von Algea Care. Dort bieten Telemediziner Cannabis-Therapien an. Foto: Algea Care

Algea Care heißt die Firma. Julian Wichmann, der Mitgründer, berichtet von „Therapiedurchbrüchen“, von Patienten, die ihre Behandlungserfolge „fast schon wie Erlösungen“ erleben oder „danke“ sagen. Unter den entlasteten Menschen sind etwa Schmerzpatienten.

Die Firma, deren Hauptsitz in Frankfurt/Main ist, hat ein Netz von sieben Standorten ausgespannt. Nicht nur Berlin ist darunter, auch Hamburg, Leipzig oder München. Die Therapiezentren sind Inseln der Hoffnung für die Mittel- und Oberschicht. Nur für Versicherte von Privatkassen und Selbstzahler teilen die Docs ihr Wissen über Pathologien und Wirkstoffe.

Ein Termin im Rahmen der maßgeschneiderten Behandlung kostet zwischen 100 und 140 Euro. Das erste Gespräch wird vor Ort geführt, es folgen Video-Sessions. „Telemedizin“ nennt man diese Arzt-Patient-Beziehung im Medienzeitalter. Hinzu kommen die Kosten für die Cannabis-Medikamente, die Patienten per Rezept in den Apotheken kaufen. Zwischen 200 und 300 Euro im Monat geben sie in der Regel dafür aus. Wird damit persönliche Gesundheit dem Profitstreben unterworfen?

Zwei-Klassen-Medizin in der Cannabis-Heilkunst

Über die Zwei-Klassen-Medizin in der Cannabis-Heilkunst sagt Julian Wichmann: „Es ist klar, dass das Versorgungsangebot besser werden muss.“ Dabei hat er ein Anliegen: „Es wäre wünschenswert, wenn sich das Gros der niedergelassenen Ärzte und Krankenversicherungen etwas offener zeigen würden.“

In der Tat gibt es Hürden im staatlichen Gesundheitssystem. Viele gesetzliche Krankenkassen verweigern bekanntlich die Kostenerstattung – zugleich ist unter vielen Ärzten mit Krankenkassen-Sitz die Scheu vor dem verrufenen Cannabis groß. Die Bürokratie beim Austausch mit den Krankenkassen ist aufwändig. Viele Ärzte fürchten zudem, von den Versicherungen in Regress genommen zu werden, falls die Kosten explodieren.

Anti-Drogen-Kampagnen hallen noch immer nach

Außerdem hallt bis heute das Grusel-Narrativ aus staatlichen Anti-Drogen-Kampagnen nach. Cannabis, die Einstiegsdroge – das ist den Menschen immer wieder eingebläut worden. „Cannabis als Medikament erlebt selbst in einer weltoffenen Stadt wie Berlin immer noch eine Stigmatisierung“, konstatiert Wichmann. Derzeit sieht es zwar politisch nach einer Cannabis-Legalisierung aus, ob sie wirklich kommt und damit eventuell auch die medizinische Abgabe noch einmal vereinfacht, steht aus.

Dabei ist das Potenzial groß. Ein Beispiel: Allein 2018 gab es 16,5 Millionen Verschreibungen in Deutschland für Opiate. Ein wirkmächtiges Mittel, um Krankheitssymptome erträglicher zu machen. In vielen Fällen könnte auch Cannabis helfen – medizinisches Marihuana birgt weniger Risiken.

In einer medizinischen Einrichtung wie Algea Care sammeln die Ärzte jetzt praktische Erfahrungen mit dem Substitut. Julian Wichmann, der Boss, selbst ein Radiologe, kündigt an: „Wir werden wissenschaftliche Evidenzen mit universitären Partnern veröffentlichen.“ Heraus käme mindestens eine neue Studie – und damit mehr Akzeptanz im gesellschaftlichen Mainstream.

Der Verkauf von Cannabis aus deutschem Anbau, wie vom Berliner Start-up Demecan geplant, hat wiederum einen positiven Effekt für den Staat. Weil die heimischen Blüten günstiger sind als Ware aus dem Ausland, könnte Geld im öffentlichen Gesundheitssektor gespart werden. Der überschüssige Zaster könnte nützlich eingesetzt werden. Zum Beispiel für Menschen, denen die Kassen bislang die Finanzierung ihrer Cannabis-Therapie verwehrt haben. Gras wäre dann nicht nur eine Volksdroge, sondern auch breitenwirksames Heilmittel.


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Medizinisches Marihuana zu kaufen ist nicht kompliziert. Man kann aber auch kläglich am Drogenkauf scheitern, wie dieser Chatverlauf dokumentiert. Das Geschäft boomt seit Jahren: In Berlin sind Koks-Taxis unterwegs und liefern Kokain. Der Wirkstoff Cannabidiol hat viele gute Eigenschaften. Berlins beste CBD-Shops stellen wir hier vor. Was Berlin bewegt, erfahrt ihr immer in unserer Stadtleben-Rubrik.

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