Er betreute Obdachlose, fuhr Morgan Freeman zur Berlinale und sprang für Ossis von Bungee-Kränen. Und jeden einzelnen dieser Jobs fand Christoph Prinz über eine Stellenanzeige im tip
Für seinen ersten Job in Berlin qualifizierte ihn vor allem sein Versprechen, dass er sich nach der Entleerung der Därme Schwerstbehinderter als Zivi vor nichts mehr ekele. 1986 wurde er Betreuer im Obdachlosenheim in der Franklinstraße. Und so lernte Christoph Prinz West-Berlin von ganz unten kennen. Die Stellenausschreibung hatte er im tip entdeckt. Damit fing alles an.
Dass es ihn einmal in die wilde Großstadt verschlagen würde, konnte bei seiner Geburt im Jahre 1963 niemand ahnen. Denn eigentlich kommt Prinz aus dem Gegenteil von Berlin. Und damals fühlte sich das kleine ostfriesische Dorf Ihrhove sogar noch kleiner an. Seine Eltern kannten Berlin nur von der Landkarte. Wie alle Jugendlichen wollte auch Prinz weg – nach einigen Zwischenstationen und einer Reise durch die USA fand sich der Junge vom Land schließlich bei Anarchisten in San Francisco wieder. Dort entschied er eines Abends in der Badewanne, dass er zu Hause nur noch in der aufregendsten Stadt des Landes leben könne: in West-Berlin.
Als Prinz 1985 mit seinen 21 Jahren und nicht viel mehr als einer braunen Kunstledertasche hier ankam, war David Bowie schon ein paar Jahre weg. Trotzdem erschien der Rest Deutschlands im Vergleich wie das reinste Schlafmittel. Der Ostfriese verbrachte die Nächte im Linientreu und entfernte sich mit jedem Tanzschritt weiter von der Heimat. Prinz trug High-Waist-Karottenhosen, Motorradjacken mit Schulterpolstern und die Haare wasserstoffblond. Billy Idol machte seinem Namen alle Ehre. Statt zur Uni zu gehen, hielt sich Prinz mit Nebenjobs über Wasser. Doch seine Charlottenburger Wohnung kostete ganze 150 Mark pro Monat – es wurde Zeit für eine geregelte Arbeit. Allerdings gab es 1986 noch kein Internet. Jobs suchte man über Stellenanzeigen in Printmedien. Im tip wurde Prinz fündig. Und landete in besagtem Obdachlosenheim. Ihn kotzte nicht mal ein Job an, bei dem man angekotzt wird. Die obdachlosen Läuse schreckten ihn genauso wenig wie der junge Typ mit den aufgeschnittenen Armen, der auf Drogen ein Buch über den Teufel gelesen hatte.
An dem lag es nicht, dass sich Prinz 1987 umorientierte. Er spürte diesen Hunger auf Berlin, wie ihn nur Zugezogene haben. Prinz wollte die Stadt besser kennenlernen – und niemand kennt Städte besser als Taxifahrer. Damals musste man noch mehr beherrschen als das Navigationsgerät. Mit einem Freund stieß er auf eine tip-Anzeige von Känguru Taxi. Ziemlich exotisch für eine Stadt, die auf dem Faltplan neben der gezackten Grenzlinie von einer weißen Fläche umgeben war. Prinz übernahm gern die Nachtschichten. Tagsüber fuhren nur die alten Säcke. Die Studenten waren dann unterwegs, wenn sich das echte Leben abspielte. Allerdings machte man zu dieser Tageszeit auch Bekanntschaft mit Berlins dunkelster Seite. Fuhr besoffene Typen, die aggressiv wurden oder nicht bezahlen wollten. Fast jede Fahrt führte in einen neuen seelischen Abgrund.
Und so blätterte Prinz 1988 wieder im tip. Limousinenservice sucht Chauffeur zur Weltbanktagung klang deutlich besser als Taxifahren. Die Firma ging trotz ihres neuen Fahrers gleich wieder pleite. Doch Prinz hatte Gefallen an dem schwarzen Mercedes gefunden – und heuerte über eine weitere tip-Anzeige bei der Konkurrenz an. „Plötzlich sammelte ich Geschäftsleute am InterConti ein statt Alkoholiker am Kottbusser Tor.“
Der 9. November 1989 brachte eine weitere Wende. Am Morgen nach einer rauschenden Nacht an der Mauer sollte Prinz spontan NBC-Journalisten vom Flughafen Tegel abholen, die sich als erstes Fernsehteam am Brandenburger Tor einrichteten. Danach nahmen die Aufträge kein Ende. Alle wollten dieses neue Berlin sehen. Prinz kutschierte japanische Manager auf der Suche nach Geschäftsmöglichkeiten durch die Reste der DDR. Denzel Washington, Little Richard, Rupert Murdoch und Rio Reiser nahmen ebenfalls auf seiner Rückbank Platz.
Mit dem Hype um die Wiedervereinigung flauten auch die Aufträge ab. Und so meldete sich Prinz 1992 gleich auf zwei tip-Anzeigen. Als Tourguide für Busrundfahrten ab Gedächtniskirche stand er plötzlich vor gewöhnlichen Touristen. Parallel wurde er Mitarbeiter der Bungee-Jumping-Firma eines gewissen Jochen Schweizer. Beim Bewerbungsgespräch fragte der Chef, ob er schon mal gesprungen sei. Prinz, der noch nie ein Bungee-Seil gesehen hatte, bejahte. Er wurde als Fliegender Friese zum Vorspringer – und musste potenziellen Kunden zeigen, dass es Überlebenschancen gab.
Doch dauerhaft blieb Prinz nur beim Guiden, schon lange selbstständig. Er liebt den Job seit 25 Jahren. Auch wenn sich das Programm ähnelt, sind die Menschen immer andere. Besonders gern macht er Touren mit Schulklassen. Einige Kollegen wollen das nicht, weil „die sowieso nicht zuhören“. Doch Prinz reizt es gerade, auch Hauptschüler und Schwererziehbare zu knacken. „Morgens um 9 Uhr halten sie dich noch für einen Arsch. Um 12 Uhr machen sie mit dir Selfies.“ Die Amis hören es hingegen besonders gern, wenn er für sie das „R“ rollt. „Das ist eine Art Völkerverständigung. Oft ist der Guide der einzige Einheimische, den sie kennenlernen.“ Und an besonders guten Tagen gibt es neben Applaus sogar mal 500 Dollar Trinkgeld.
Trotz seiner engen Beziehung zu Berlin wird Prinz die Stadt zunehmend unheimlich – die Anspannung, der Verkehr, der Immobilienmarkt. Seine Frau und er spielen mit dem Gedanken, in die Uckermark zu ziehen. Wie immer hat Prinz keine Angst vor einem Neuanfang. Vielleicht schaltet ja schon bald jemand eine interessante Stellenanzeige im tip
Tobias Geigenmüllerist ein Autor, der nicht nur über Prinz, sondern auch über den King schreibt. Sein Roman „Das ziemlich lebendige Leben des vermeintlich toten Elvis” erschien 2017 im Rowohlt Verlag.