In Berlin sind wir so richtig schön unglücklich, das ist nach der Veröffentlichung des „Glücksatlas“ jetzt klar. Die Studie untersucht das deutsche „Glücksniveau“ und ermittelt daraus einen Wert. Auf einer Skala von 0 bis 10 kommt die Hauptstadt auf 6,2 Punkte – und ist damit bundesweit Schlusslicht. Was viele immer geahnt haben, ist jetzt Fakt: Berlin ist die Stadt der Unzufriedenheit. Trotz Kultur, Freiheitsgefühl und niemals endenden Partys leben wir hier offensichtlich ungern. Warum ist da so? Ein Versuch, dem Berliner Unglück auf die Spur zu kommen.
In Berlin ist man unglücklich, das gehört zur Seele der Stadt
„Muss“, das antwortet man in Berlin auf die Frage, wie es einem geht. Das Leben ertragen, ist die mentale Grundbedingung in der Region. Dann noch etwas grummeln und irritiert davontrotten. Viele Zugezogene beschweren sich gerne über die Ruppigkeit der Eingeborenen, die zwar immer um das Attribut „Herz und Schnauze“ ergänzt wird, aber als Ausdruck der Unhöflichkeit gilt. Das höchste der Gefühle auf der berlinerischen Gefühlsskala ist „Ick kann nicht meckern“. Das ist der Ausdruck eines Zustands, dass alles gerade mal noch erträglich ist, aber wer weiß wie lange. Die Ahnung des Unglücks wohnt dem Spruch inne und sagt etwas über die Seele der Stadt aus.
Es ist mehr als nur Meckern, es ist eine gefühlte Unvereinbarkeit der Existenz mit der Außenwelt, eine Art universeller Verstimmung, so als würde die gesamte Stadt unter einer leichten Dauerdepression leiden. Der „Glücksatlas“ liefert nun den quasi wissenschaftlichen Beleg für das, was man eigentlich schon vorher wusste. Das Unglück gehört zu Berlin dazu.
Im Auftrag der Deutschen Post fragte das Allensbacher Institut für Demoskopie knapp 9.000 Probanden nach deren Lebenszufriedenheit. Die Befragten durften entscheiden, Null stand für „überhaupt nicht zufrieden“ und die Zehn für „völlig zufrieden“. Der Ermittelte Wert für Berlin liegt bei 6,2, steht also für eine Stimmung, die man als „geht so“ bezeichnen könnte. Schlaue Köpfe könnten jetzt denken, das Unglück hängt mit Corona und damit verbundenen Einschränkungen zusammen. Das stimmt natürlich. Auch. „Je höher die Infektionszahlen und je strikter die Maßnahmen, desto niedriger das Glücksniveau“, heißt es im Bericht. Das ist sicherlich richtig, aber sieht man sich mal um, schwirren weit mehr verstimmende Gründe als „nur“ die Pandemie in der Berliner Luft. Neben dem ohnehin verspürten allgemeinem Gefühl der Unzufriedenheit.
Etwa die Situation auf dem Wohnungsmarkt trägt zum Unglück bei. Wer eine Wohnung mietet, muss sich oft mit Mieterhöhungen, Räumungsandrohungen und Eigenbedarfsklagen herumplagen. Wer eine Wohnung sucht, kann sich sowieso gleich einweisen lassen, die Folter des Marktes übersteht auch die fröhlichste Frohnatur kaum unbeschadet. Auf der anderen Seite strömen die Massen hierher, marodieren und feiern sich durch die Innenstadt, freuen sich über die Partyatmosphäre und hinterlassen eine Spur der Verwüstung. Über die Trübsal der Berliner, rümpfen sie höchstens mal die Nase.
Natürlich braucht eine Weltstadt wie Berlin die Touristen, und sie sind ein Segen für Clubbetreiber und Restaurantbesitzer, doch für viele Berliner und Berlinerinnen zwischen Neukölln, Prenzlauer Berg, Kreuzberg und Mitte bedeutet die Euphorie eher Dauerstress. Lärm, Müll, teilweise auch Kriminalität und das Verschwinden von eingesessenen Geschäften im Kiez zugunsten von Cafés und Spätis prägen den urbanen Alltag. Und wer meckert, soll wegziehen, heißt es nicht selten.
Und dann der Verkehr, hier regiert der Hass!
Wer Kinder hat, muss an anderen Fronten kämpfen. Die Kitas sind überfüllt, es fehlen Schulen, und die, die da sind, müssten mal saniert werden. Der Nachwuchs langweilt sich in ungezählten Freistunden, und in einigen Bezirken können manche Schüler und Schülerinnen trotz eines Zeugnisses mit einem Notendurchschnitt von 1,5 keine weiterführende Schule finden. Wer sich nach urbaner Erholung sehnt, stößt an weitere Grenzen. Familien, die sich einen Kleingarten wünschen, ernten nicht mehr als ein müdes Lächeln bei den Vereinen. Alles dicht, alles voll.
Und dann erst der Verkehr, hier regiert der Hass! Wie auch immer man unterwegs ist, ob mit Fahrrad, BVG, Auto oder zu Fuß, die anderen sind stets die Feinde. Ignoranz zeichnet alle Beteiligten aus. Was folgt sind Stress, Frust und gefährliche Situationen. Das gehört wohl alles zum Leben in der Stadt dazu, aber es führt eben auch zu Unzufriedenheit und Unglück. Angesichts der steigenden Inflation, großer politischer Herausforderungen, Klimakrise und weiteren globalen Problemen, braut sich so ein Cocktail der schlechten Laune zusammen. Kann man schon verstehen, vor allem in Berlin.
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