Sexpartys

Tanzen, vögeln, sich frei machen

Es geht um Sex, aber auch um Spaß, Freiheit und ein ­gutes Gemeinschaftsgefühl: Die neuen Sex-Partys ziehen ein ­junges, internationales Clubpublikum an. Alles ist erlaubt: Man kann einfach nur tanzen oder mit vielen ficken

Sexparty House of the Red Doors

Immer mehr Menschen mit dicken Jacken und kalten Händen strömen aus der Dunkelheit der Straße hinein in den hohen, viel zu hell erleuchteten Raum, der in dem riesigen, ehemaligen Fabrikkomplex Alte Münze als Garderobe dient. Nur, um sich kurz darauf wieder Stück für Stück zu entblättern. Nicht nur die Jacke, auch Shirts, Hosen und BHs werden vom Körper gestreift. Nackte Oberkörper, behaarte Beine, Netzbodys und knall­enge Shorts kommen zum Vorschein. Einige tragen Perücken und binden sich massive Lederriemen um die Brust. Andere sprühen noch schnell etwas Talkumpuder auf das Latexdress. Und wieder andere blicken sich ein wenig schüchtern um – und entscheiden sich dann doch dafür, das T-Shirt anzulassen.

In großen Plastiksäcken gibt dann jeder Gast genau so viel Textiles ab, wie es braucht, um die gewünschte Balance von bewusster Freizügigkeit und persönlicher Komfortzone zu erzielen. Für manche heißt das Jeans und Top, für erstaunlich viele aber: Jede Menge Haut, wenig Stoff.
Dann steigen die Gäste der „Porn by Pornceptual“-Party die Stufen in den Keller der Alten Münze hinab, wieder in die Dunkelheit. Nur diesmal fühlt sie sich warm an. Warm und verheißungsvoll.

„Ich hatte eigentlich nie den Drang, halbnackt irgendwo zu tanzen. Mittlerweile liebe ich es. Du ziehst dich um, legst einen Großteil der Klamotten ab, und dann bist du in einer anderen Welt, weit weg vom Alltag. Und egal ob im KitKat oder bei der Pornceptual, die Leute sind herrlich entspannt. Türsteher und Barleute inbegriffen. Das überträgt sich dann auch auf alle anderen Gäste.“

Sascha, 32, Gast bei „Porn by Pornceptual“

„Porn by Pornceptual“ ist eine Technoparty, garniert mit dem Thema Sex. Nicht vorgeplant. Denn genauso individuell auslegbar wie der Dresscode wird auch der Verlauf der Nacht für jeden einzelnen Gast sein. Ein gemeinsamer Nenner: Sich freimachen, das ist das Ziel. Im Kopf, am Körper, am besten beides. Der Ausziehprozess an der Garderobe ist Teil eines großen Rituals, das Übergangsstadium zwischen der Welt da draußen und der Party im Inneren.

„Ich erlebe ganz oft, dass manche Gäste beim ersten Besuch noch Hemmungen haben, sich auszuziehen. Und beim nächsten Mal tragen sie plötzlich nur noch Unterwäsche“, sagt Raquel Fedato. Sie ist erst 23 Jahre alt, und hat zusammen mit Chris Phillips, 28, Pornceptual gegründet. Beide kommen aus Brasilien. Wie sie bei Pfefferminztee, ein paar Tage vor der nächsten Party, so unaufgeregt, aber doch bestimmt von ihrem Pornceptual-Konzept erzählen, klingen sie wie zwei, die sich seit Jahrzehnten in den Clubs dieser Welt bewegen. Doch bei ihnen haben ein paar Jahre gereicht, um nicht nur eine eigene Partyreihe, sondern ein Gesamtkonzept zu kreieren, das mit Website und Online-Shop die Themen pornografische Fotografie, Techno, Fetischkleidung und, im weitesten Sinne, freie Liebe und Sex umfasst.

„Ich hatte eine Zeit lang gar nicht mehr so viel Lust auf das ganze Feiern. Es gab mir nichts mehr. Aber diese Partys sind anders. Und zwar nicht, weil du explizit hingehst, um Sex zu haben. Sondern weil du weißt, das alles passieren kann. Und zwar unabhängig davon, wie du aussiehst oder was du anhast. Ich kann einfach Leute ansprechen, fast jeder hat Lust, mit dir zu reden und dich kennenzulernen. Ich kann meinen Körper zeigen, ohne mich komisch zu fühlen oder angegafft zu werden. Und wenn ich jemanden kennenlerne und sich die Lust aufbaut, dann habe ich eben Sex. Oder ich mache nur rum. Letztens habe ich mich einfach bei einem Paar eingeklinkt, die neben mir gevögelt haben, als wäre es das Normalste der Welt.“

Penny, 30, Gast bei „Porn by Pornceptual“

2013 fand die erste Porn-Party in einer Berliner Bar statt, doch diese wurde schnell zu klein. Es folgte das Prince Charles, seit ein paar Monaten ist die Alte Münze in Mitte die neue Heimat. „Es ist die perfekte Location für uns, und die Spreewerkstätten, die uns die Räume vermieten, waren sofort offen für unser Konzept“, sagt Raquel. Das riesige Industriegebäude gleicht einem Labyrinth, in dem man sich verlieren kann. Und das ist auch so gewollt: In den großen Räumen sind die Dancefloors, in denen auch erotisch-experimentelle Performances stattfinden. Wer möchte, kann sich die ganze Nacht nur der Musik hingeben. Unten harter Techno, oben etwas sanftere House-Klänge. Wer tiefer eintauchen will, wagt sich auch in die dunklen, kleineren Räume. Die, in denen keine Musik, sondern nur leises Stöhnen und das Aufeinanderklatschen nackter Körper zu hören ist. Teilweise sind hier ganze Massen von Körpern ineinander verschlungen.

Doch im Laufe der Nacht bricht sich die Lust auch abseits der Darkrooms Bahn. Der spontane Blow-Job, den ein Mann mit Perücke gerade am Rande der Tanzfläche genießt, ist genauso selbstverständlich wie die Handvoll Zuschauer, die in gebührendem Abstand zuschauen. Was auffällt, ist die optische Vielfalt: Auffallend schöne oder exzentrische Menschen treffen auf vermeintliche Durchschnittstypen. Ein paar Touristen, Künstler und Kreative, Lehrer und Ingenieure, Studenten und Drag-Queens, Dicke und Dünne, gay und straight. Wobei es sich fast schon albern anfühlt, andere nach ihrer sexuellen Ausrichtung zu fragen. Vermeintliche Grenzen verwischen hier so schnell wie das Make-up der Tanzenden.

„Ich liebe Menschen“, sagt eine junge Frau bestimmt. Und dieses Gefühl scheinen hier viele zu teilen, eine unerklärliche Harmonie macht sich breit. Alle feiern, so der Eindruck, ganz bewusst die Vielfalt der Körper, Kostüme und Vorlieben. Dass auch jede Menge Drogen auf Partys wie diesen ihren Teil dazu beitragen, dass manche Gesichter besonders hell strahlen, ist kein Geheimnis. Glücksgefühle, der Wunsch nach Nähe, das Selbstbewusstsein – MDMA, Koks und diverse andere Substanzen pushen all das enorm. Dass die Potenz ins Gegenteil umschlagen kann, wenn die Chemie durch die Adern rauscht, nehmen viele Partygänger in Kauf.

„Ich war vor einigen Monaten das erste Mal bei der Porn-­Party in der Alten Münze. Neben den Treppen saßen zwei junge Mädels und ließen sich parallel von zwei Typen lecken. Dabei die Zigarette ganz lässig in der Hand. Das hat mich ziemlich beeindruckt. Ein anderes Mal saß ich mit einem Freund im Darkroom, überall wurde gevögelt. Eine Frau lag in einer Sexschaukel und ihr Typ hat fast seine ganze Hand in sie reingesteckt. Ich selber hatte noch nie Sex auf einer der Partys, so öffentlich ist das nicht mein Ding. Mir reicht es, zu beobachten, die Stimmung zu genießen und zu tanzen.“

Marco, 32, Gast bei „Porn by Pornceptual“

Sex-positive Partys, so heißt das Konzept bei den Veranstaltern, kommt ganz offensichtlich an bei den Berlinern, die so verwöhnt sind von Clubs mit hochkarätigen DJs und mehrtätigen Tanz-Exzessen. Die Aufregung und Erregung, die auch auf den ganz „normalen“ Tanzflächen stattfindet, in gezieltere Bahnen lenken und mehr Möglichkeiten zum Sex zu bieten als das trostlos unerotische Clubklo – diese Idee ist nicht neu. Erfahrene Berghain-Gänger lächeln nur milde, wenn aufgeregte Touristen von ihrer ersten Darkroom-Erfahrung berichten. Es gibt das Insomnia, das Ficken 3000. Und das KitKat,seit über 20 Jahren die unangefochtenen Grande Dame hedonistischer Ausschweifungen. Das, was hier bereits seit Jahrzehnten funktioniert, nämlich mit vielen Stammgästen eine fast familiäre Atmosphäre zu schaffen, ohne elitär oder langweilig zu werden, wird bei den neuen Konzeptpartys aufgegriffen und aktuell interpretiert.

„Ich mag es einfach, leicht bekleidet herumzulaufen. Und ich liebe es, fremde Körper anzufassen. Vielleicht liegt es daran, dass ich katholisch erzogen worden bin. Das muss ich jetzt kompensieren. Wenn ich dann auch noch Sex habe, cool, aber das ist kein Muss. Viele Leute, die nicht auf solche Partys gehen, denken, es geht nur ums rein-raus. Das ist Quatsch. Meine Freundin kommt manchmal mit auf diese Partys, aber oft gehe ich alleine. Sie weiß, was hier passiert, aber über Details sprechen wir nicht. Und das ist für beide okay.“

Angelo, 40, Gast im KitKat-Club
Skirt Club, Foto: Victoria Dawe, www.victoriadawephotography.com
Skirt Club, Foto: Victoria Dawe, www.victoriadawephotography.com

Auch etablierte Elektroclubs wie die Wilde Renate und das ://about blank leisten sich mittlerweile sex-positive Partys. Die Macher haben eine klare Vorstellung, was und vor allem wen sie auf ihren Partys sehen wollen. Doch nicht der abgeklärte Blick oder die passende Jacke ist am Einlass entscheidend. „Wichtig ist vor allem, dass die Leute wissen, auf was für eine Party sie hier gehen. Da fragen die Türsteher auch mal gezielt nach. Ein volltrunkener Junggesellenabschied wäre weniger passend“, sagt Alex. Gemeinsam mit seiner guten Freundin Billy Rae, einer ehemaligen Burlesque-Tänzerin, hat der 29-jährige Brite die Event-Agentur Bad Bruises gegründet. Und die Partyreihe „The House of Red Doors“, die mit der Wilden Renate ihr Tollhaus gefunden hat.

Auch diese Partyreihe findet alle acht Wochen statt – und hat schon nach knapp einem Jahr eine treue Besucherschar gefunden, die sich bereitwillig auch an einem Donnerstag die Nacht um die Ohren schlägt. Und einigen Aufwand betreibt, wenn Alex und Billy Rae zum „Circus“ rufen. Jeder Abend hat ein Motto. Zirkus also. Ein weiblicher Clown mit ausladendem Bommelhut, ein Zirkusdirektor in Glanzleggins und jede Menge  Menschen in Glitzer, Spitze und Federn huschen durch die schmalen Gänge des Berliner Altbaus. Kamingeruch, Deko, alles scheint regelmäßigen Renate-Gängern vertraut.

Doch auch hier liegt etwas in der Luft, diese Spur mehr an Aufregung. Alles ist ein wenig bunter und verspielter als in den dunklen Hallen der Porn-Party. Zum Beginn des Abends räkeln sich viele Leute noch ganz zahm auf den Sofas im Erdgeschoss. Doch mit der zunehmenden Enge, den Berührungen nackter Arme, Hüften und Beine, steigt auch die Anzahl knutschender Menschen. Mit all den winzigen Räumen, bestückt mit Sofas, Emporen und sogar einem Beichtstuhl, ist die Location ideal, um halb versteckt, halb öffentlich Finger zwischen Beinen und Zungen in drei verschiedenen Mündern verschwinden zu lassen. Im Beichtstuhl wird lautstark gevögelt, der Vorhang wippt im Takt.

„Ich versuche immer, keine bestimmten Erwartungen zu haben. Manchmal wird erst stundenlang getanzt. Und dabei baut sich oft eine krasse Energie auf. Und diese Energie zieht viele Leute extrem an. Es klingt komisch, aber es gibt Abende, da habe ich das Gefühl, ich könnte mit jedem rummachen. Einmal habe ich mich mit einem Mädel auf ein Podest verzogen, da kamen plötzlich drei Engländerinnen und haben einfach mitgemacht. Sie haben sich abgestimmt, wer als nächste mit mir vögeln darf. Zwischendurch konnte ich gar nicht mehr, Drogen sind nicht gerade hilfreich, wenn man performen will. Aber es war großartig. Was für eine Erfahrung. Das ist nichts, was man planen kann.“

Lukas, 32, Gast bei „The House of Red Doors“

„Wir wollten eine Party wie ein wildes Thea­ter mit Performances, Kostümen, aufwendiger Dekoration. Sex stand dabei anfangs gar nicht im Mittelpunkt“, erzählt Alex, der im allerbesten Sinne als durchschnittlicher, entspannter Typ bezeichnet werden kann – überdurchschnittlich nett vielleicht. Sex sei eine mögliche Folge der gelösten Stimmung der „The House of Red Doors“-Gäste – aber nur eine von vielen. „Ich glaube, das Unerwartete ist das Entscheidende. Wir versuchen, mit unseren Ideen zur Party nur eine Richtung vorzugeben, die jeder für sich interpretieren kann“, sagt Alex.

„Berlin hat hier europaweit eine Vorreiterstellung. Die Menschen kommen hierher, weil sie frei sein wollen. Schon in der Weimarer Republik waren Themen wie Transsexualität oder Burlesque viel präsenter als anderswo“, so Alex. Auch Raquel und Chris haben mit ihren Porn-Partys schon viele Städte besucht. Barcelona, Amsterdam, Stockholm, sogar Istanbul. „Aber nirgendwo funktioniert es so gut wie in Berlin“, betonen beide.

Dass sexpositive Partys aus der dunklen Nische in die etablierte Partyszene drängen, erscheint wie eine logische Konsequenz aus der Tatsache, dass Flirten, Verführen und Tanzen schon immer irgendwie zusammengehörten. Zudem werden alternative Lebens- und Liebesformen, etwa Polygamie oder Poly­amorie, Fetisch und unverbindlicher Sex, viel offener kommuniziert als früher. Viele Paare nutzen die Partys als willkommene Möglichkeit, um gemeinsam etwas Neues auszuprobieren – an Gleichgesinnten mangelt es hier nicht.

Dating-Apps wie Tinder tun ihr Übriges, um das Thema Sex zu enttabuisieren. „Sex wird von der Gesellschaft immer stärker akzeptiert“, sagt Alex. Ein klassischer Swingerclub sei für die meisten keine Alternative, ihn selbst würde es nie dorthin ziehen. Zu starr beziehungsweise offensichtlich das Konzept, zu weit weg von dem, was für junge Berliner eine gute Party ausmacht. Umso begeisterter wird die Idee aufgenommen, Exzess, Freizügigkeit und Lust genau dort auszuleben, wo man sich sowieso seit Jahren die Nächte um die Ohren schlägt – und wo man sich auskennt und wohlfühlt. Die Musik ist dabei mindestens so entscheidend wie sexy Performances und dunkle Ecken, denn für viele bleibt es in diesen Nächten beim Tanzen. Flirten, nackt sein, Kontakte knüpfen, beobachten, auch das ist für viele Besucher Befriedigung, ganz ohne Penetration.

„Es gibt diesen Moment, zumindest bei mir, da entscheidet es sich: Bleibst du Beobachter? Oder tauchst du richtig ein, bist das Innen statt das Außen? Das kann sich auf  normalen Technopartys ähnlich anfühlen, aber bei den Sex-Partys ist es immer eine Spur intensiver. Ich kann das schwer beschreiben, die Anziehungskraft ist fast greifbar. Ich komme vielen Leuten nah, manchmal nur durch Komplimente oder Blicke, mit anderen fängt man dann einfach an zu knutschen. Das mag sehr oberflächlich klingen, aber ich empfinde dann eine starke Verbundenheit mit meinem Umfeld. Und ein Gefühl von Freiheit. Ich hatte auf diesen Partys so öffentlichen und so zügellosen Sex, dass ich im Nachhinein selbst oft staune. Aber, und das ist fast noch schöner: Ich habe auch neue Bekannte und sogar Freunde gefunden.

Tanja, 35, Gast bei „Poly.Motion“

Auffällig ist die große Anzahl junger Frauen. Selbstbewusst beanspruchen schon Anfang Zwanzigjährige ihren Platz bei den sexpositiven Partys. Adaptionen aus der Gayszene sind dabei ganz offensichtlich: Hundehalsbänder und Lederharnesse sieht man nicht nur bei der Porn-Party, sondern auch in Clubs wie dem Berghain heute genauso oft an Frauen. Auch die Idee des Darkrooms wurde selbstverständlich übernommen. „Für Gays gab es in Berlin schon immer eine ganze ­Reihe von Partys, die gute Musik, Sex und Fetisch kombiniert haben. Es war an der Zeit, dass auch Frauen auf ihre Kosten kommen“, sagt Raquel von Pornceptual. „Auch wir Frau­en genießen es, unseren Körper präsentieren und unsere Lust ausleben zu können, ohne dafür verurteilt oder begafft zu werden. Diese Freizügigkeit wurde ja lange genug unterdrückt. Wir wollen einen sicheren Raum schaffen, für alle Gäste.“ Und Chris ergänzt: „Viele Partys sind sehr sexistisch, auch in der Gay-Szene. Da wirst du schon schräg angeschaut, wenn du nicht total durchtrainiert bist. Das ist bei uns anders.“

Den eigenen Körper und die Sexualität feiern. Gesellschaftliche Normen hinter sich lassen. Einen sicheren Raum schaffen. Vor allem Letzteres erscheint wie eine Art Mantra, wenn die Veranstalter ihr Konzept erklären. Doch wie „sicher“ kann eine solche Party sein? Wer legt die Grenzen fest?  Welche Codes gelten zwischen Tanzfläche und Darkroom?

Dass es hier durchaus Diskussionsbedarf gibt, zeigt sich bei der Veranstaltung „A Different Kiss – Sex, Party, Transformation“, die im Novem­ber im Rahmen der Konferenz „Stadt nach Acht“ im KitKat-Club stattfand. Im einleitenden Vortrag sinniert Moderator Wolfgang Sterneck über die Geschichte von Sexpartys und Exzessen, das Befreien von Zwängen und das Lösen vom Besitzdenken, das für unsere Gesellschaft so typisch sei. Schöne Gedanken von einem „Utopia“, vom „Flow“, die an der Schwelle zur Spiritualität kratzen.

„Ich liebe sex-friendly Partys, aber man muss sich unter Drogen- und Alkoholeinfluss schon noch irgendwie im Griff haben und auf sich aufpassen. Vor allem, wenn es wirklich zum Sex kommt. Es gab schon Momente, in denen ich dachte: Scheiße, habe ich mich jetzt nackt auf diese Liege gesetzt, ohne zu schauen, ob da überall Sperma klebt? Wo hatte der Typ seine Hände, bevor er sie in mich reingesteckt hat? Kondome haben eigentlich alle dabei und benutzen sie auch, aber Hände und Zungen sind eben trotzdem oft überall. Deswegen gehe ich nie in die kleinen Räume, in denen es ganz dunkel ist, um zumindest eine gewisse Kontrolle zu behalten.“

Eva, 35, Gast bei „Porn by Pornceptual“

Wesentlich pragmatischer wird es, als Anne Bonnie vom Sexladen Other Nature, der Ex-Schwelle-7-Betreiber Felix Ruckert sowie Kathy und Ben von der poly|motion im ://about blank, einer ebenfalls recht neuen sexpositiven Partyreihe, zum Bettgespräch auf einem eben solchen Platz nehmen. Wieder fällt der Begriff des „sicheren Raumes“, den auch die jungen poly|motion-Veranstalter schaffen wollen. Für Choreograf Ruckert, der mit seinem „Xplore-Festival“ die Grenzen zwischen Tanz und Sex, Performance und Erotik auslotet, ein Widerspruch in sich. Insbesondere Playpartys, quasi die Steigerung einer sexpositiven Party, seien per se ein unsicherer Raum. „Da geht es doch um Grenz­erweiterung“, sagt Ruckert. Wichtig sei vielmehr die Fähigkeit, aufeinander einzugehen. Einander zuzuhören. Gleichzeitig sei nicht jeder Blick, den man selbst als übergriffig empfände, auch ein Übergriff.

„Da hast du gut reden als großer, weißer Mann“, meldet sich Anne Bonnie zu Wort. Vor allem Frauen haben es ihrer Meinung nach nicht so leicht, ihre persönlichen Grenzen zu verteidigen. Man könne nicht voraussetzen, dass alle Menschen alle Grenzen kennen und auch akzeptieren. Darauf kann man sich auf dem Talk-Bett irgendwie einigen. Ebenso darauf, dass die gelegentliche Lust auf „wildes Ficken und Drogen nehmen“, wie Anne Bonnie es formuliert, auch eine gewisse Form von Kontrollverlust mit sich bringe. Doch wie man es nun schaffe, den vielbeschworenen sicheren Raum für alle zu gewährleisten, darauf gibt es auch hier keine klare Antwort.

„Bisher gab es nur einmal eine wirklich beschissene Situation. Ich hab mit einem Typen rumgemacht, in einem dieser kleinen Räume. Es war ziemlich voll, aber ich habe die anderen Leute total ausgeblendet. Plötzlich merkte ich, dass nicht zwei, sondern drei Hände an meinem Körper zugange sind. Und die Hand, die zwischen meinen Beinen war, war nicht die meines Partners. Ein Mann hinter mir hat sich einfach neben uns gestellt und mich angefasst, ohne, das wir auch nur Blickkontakt hatten. Im Nachhinein ärgere ich mich total, dass ich nicht sofort einen Türsteher geholt habe, die hätten den Typ sofort rausgeschmissen.“

Lisa, 34, Gast bei „The House of Red Doors“

Offensichtlich scheint aber sowohl die Auswahl an der Tür als auch die Fähigkeit, Zeichen zu deuten oder schlicht miteinander zu sprechen, auf den meisten Partys zu funktio­nieren. Von unangenehmen Situationen erzählen die wenigsten. Wer andere unerlaubt anfasst, beleidigt oder diskriminiert, den solle man sofort melden, der werde sofort der Party verwiesen, betonen alle Veranstalter.

Dass es trotzdem Sinn macht, wenn Frauen manchmal unter sich bleiben, davon sind die Macherinnen des „Skirt Club“ überzeugt. Ende 2016 brachten sie ebenfalls ein neues Lust-Konzept nach Berlin, das sich bewusst von den Clubpartys unterscheidet. Und so kommt es, dass sich an einem Abend in einer schicken Bar in Kreuzberg rund 40 Frauen tummeln, denen Aufregung und Neugier in die hübschen Gesichter geschrieben steht. Hübsch, gepflegt und jung, das trifft hier auf alle zu. Lange Haare werden zurückgeworfen, der Sekt fließt in Strömen. Ein paar Kennenlernspielchen sollen die Stimmung lockern, irgendwann tanzt eine Burlesque-Tänzerin unter lautem Kreischen der Anwesenden zwischen den Tischen.

Ein paar sind ein wenig enttäuscht, denn sie hatten mit einer „echten“ Play-Party gerechnet. Doch an dem Abend findet erstmal der „Mini-Skirt“ statt, ein Kennenlernen, das schnell deutlich macht: An Lust und Freizügigkeit mangelt es den Anwesenden nicht. Spätestens beim „Tequila aus dem Bauchnabel trinken“ fallen die ersten Tops, beim Flaschendrehen werden feuchte Küsse ausgetauscht. Klingt ein wenig nach Junggesellinnenabschied. Doch der gewünschte Effekt, nämlich erste Annäherungen und eine erotische Grundstimmung, tritt definitiv ein.

Frauen, die Lust auf Frauen haben – auch, wenn sie eigentlich oder zudem Männer lieben – vor allem für sie ist der „Skirt Club“  offenbar eine willkommene Möglichkeit, Gleichgesinnte zu treffen. Ohne Männer. ­Geneviève Lejeune ging, als sie in London lebte, mit ihrem Ex-Partner regelmäßig auf Sexpartys. Irgendwann merkte sie aber: Eigentlich befriedigte sie dabei nur seine Bedürfnisse, auch dann, wenn sie mit anderen Frauen intim wurde. Gemeinsam mit Freundin Renée Nix entstand die Idee, Partys nur für Frauen zu veranstalten. Und zwar in privatem Rahmen – die erste Play-Party fand in Lejeunes Wohnung statt. Play-Party heißt: Sex ist hier ganz klar erwünscht, Musik und eine nette Location bieten lediglich den Rahmen.

„Die Idee kam so gut an, dass wir diese Partys professionell organisierten. Mittlerweile nicht mehr nur in London, sondern auch New York, Sydney, Los Angeles und jetzt auch Berlin“, sagt Nix. Das Wort „Club“ ist beim Skirt Club sehr ernst gemeint. Denn Intimität und der vielzitierte sichere Raum sollen hier durch Exklusivität und die strenge Auswahl der Teilnehmerinnen gewährleistet werden. 18 bis 39 ist die Altersspanne, zudem muss jede „Anwärterin“ ein Foto und ein paar Informationen auf die Homepage stellen. Die Mitglieder entscheiden dann über die Aufnahme. Das klingt alles ziemlich elitär – nicht zuletzt, weil die Play-Partys rund 80 Euro kosten. Doch offensichtlich suchen ­viele Frauen hier genau das. Auch, weil sie ihre sexuellen Vorlieben nicht allzu sehr in die Öffentlichkeit zerren wollen. „70 Prozent der Frauen kommen alleine zu unseren Events, nur manche bringen eine Freundin mit. Sie wollen diese Erfahrung privat halten“, sagt Renée Nix. Die männlichen Partner, so der Tenor der Anwesenden, wüssten aber Bescheid.

„Ich bin bisexuell, und mein Partner unterstützt mich dabei. Aber im Club oder bei Lesbenpartys finde ich es schwer, Frauen zu finden, die ähnlich ticken. Deswegen war ich ziemlich begeistert, als ich vom „Skirt Club“ gehört habe.“

Lisa, 27, Gast beim „Skirt Club“

Dass diese erste Mini-Skirt-Party in Berlin ein schönes Beispiel dafür ist, wie es manchmal nur ein leichtes Anschubsen braucht, um Dinge ins Rollen zu bringen, zeigt sich später am Abend. Eine Teilnehmerin lädt spontan in ihre WG zur After-Party. Rund 20 Frauen folgen, und  schon kurz nach der Ankunft wälzen sich im Wechsel immer mindestens fünf von ihnen nackt im Bett der Gastgeberin. Einige stürzen sich förmlich aufeinander, irgendwann scheint es fast egal, wer wen küsst, leckt, fingert. Andere schauen nur etwas überrascht zu, doch alle scheinen sich wohlzufühlen. Man ist ja, irgendwie, unter sich. Und das, obwohl der männliche Mitbewohner auch zuhause ist – und irgendwann mit zwei Frauen seine eigene kleine Party feiert.

Kleiner Rahmen statt großer Club, klare Auswahlkriterien statt bunte Vielfalt von Optik und Geschlecht: Der „Skirt Club“ geht einen anderen Weg als die sexpositiven Partys. Und doch betonen auch die Macherinnen ihren Anspruch, die sexuelle Freiheit und Selbstbestimmung ganz bewusst zu fördern. Dass einige Frauen dabei bewusst ausgeschlossen werden, gehört zum Konzept. Denn das Ziel ist hier klar definiert: Sex mit Gleichgesinnten, und zwar gleichgesinnt in allen Belangen. Und so bleibt auch die Lust eine Frage des Geschmacks. Ob sie eher nach Sekt, Parfüm und frischgewaschenem Haar schmecken soll, von Schweiß, lauter Musik und kratzenden Bartstoppeln begleitet wird, oder gemütlich im heimischen Bett bleibt – das kann zum Glück jeder selbst entscheiden.

„Bei meiner ersten Sexparty war ich am Anfang total überfordert. Ich dachte, jetzt ist die Welt endgültig verrückt geworden und ich hatte mehrfach vor, zu gehen. Aber irgendwann habe ich mich der Stimmung hingegeben. Später wurde mir bewusst, dass vor allem ein Gefühl mich am Gehen gehindert hat: Ich fühlte mich allen anderen gegenüber so gleichwertig, alle waren so frei. Ich hatte an diesem Abend mit niemandem Sex, aber fand es großartig, all die verschiedenen Körper zu betrachten: Groß, klein, muskulös, dick, dünn … Mittlerweile gehe ich regelmäßig auf diese Partys. Die Menschen, die ich dort treffe, teilen alle die gleiche Philosophie, schämen sich nicht ihrer Körper oder ihrer Sexualität. Und die Möglichkeiten sind grenzenlos, ob ich nun drei Schwänze in meinem Mund haben oder meinen Partner mit einbeziehen will. Romantisch, wild, zügellos, du kannst in diesen Nächten alles sein.“

Hasim, 25, Gast bei „Porn by Pornceptual“

Termine und Orte:

Kit Kat Club www.kitkatclub.org Partys immer Fr–So, oft auch Mo

Porn by pornceptual http://pornceptual.com Ort: Alte Münze, Molkenmarkt 2, Mitte

Poly.Motion http://aboutparty.net/ Ort: ://about blank Markgrafendamm 24c, Friedrichshain

Skirt Club Berlin /skirtclub.co.uk/

The House of Red Doors www.badbruises.com Ort: Zur Wilden Renate, Alt-Stralau 70, Friedrichshain

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