• Essen & Trinken
  • Wem gehört die Pho? Über kulturelle Aneignung in der Gastronomie

Identität

Wem gehört die Pho? Über kulturelle Aneignung in der Gastronomie

„Kulturelle Aneignung“ – ein Kampfbegriff sorgt aktuell für Diskussionen, auch in der Gastronomie. Die einen fragen sich, ob sie noch Gerichte aus anderen Kulturen kochen „dürfen“, andere sehen ihre kulturelle Identität ausgebeutet. Die Wahrheit? Liegt wie so oft dazwischen.

Wo beginnt Kulturelle Aneignung in der Gastronomie? Authentische Thai-Küche im Preußenpark – aber dürfte und sollte sich jeder an den oft traditionellen Gerichten bereichern dürfen? Foto: Eleana Katanu

Kulturelle Aneignung in der Küche: Klischees und strukturelle Barrieren

Hähnchen und Reis: Es wirkt wie ein geradezu banales Gericht. Eine Portion pochiertes Hühnchen, ein kleiner Reiskegel, eine Schüssel Brühe, zwei kleine Schüsseln mit Saucen. Und doch bedeutet dieses Tablett mit den vielen großen und kleinen bunten Tellern, wie es Daeng Khamlao im ihrem Lunchlokal The Panda Noodle in Kreuzberg serviert, so viel mehr: Es schmeckt nach Heimat, nach Zuhause, nach Zugehörigkeit.

Wem gehört dieses Gericht? Wem gehört kulinarische Identität? Die Antwort ist komplex – und wird dieser Tage mit Verve diskutiert: Für Khamlao ist der Diskurs um kulturelle Identität in der Kulinarik zum Herzensthema geworden. Auch, weil sie am Anfang ihrer Karriere selbst mit Klischees, Zuschreibungen und strukturellen Barrieren zu kämpfen hatte. Seit fünf Jahren betreibt Daeng Khamlao am Lausitzer Platz ihr Lunchlokal – mit einigem Erfolg. Mittags sind oft alle Plätze belegt, an den Tischen glückliche Gesichter, die scharfe Dan Dan Nudeln schlürfen, cremiges Curry löffeln oder eben ein Tablett duftenden Reis und zartes Hühnchen vor sich stehen haben.

Was heißt überhaupt Authentizität?

Ihre Küche ist auch ein Spiegel von Khamlaos Weg zu sich selbst: in Thailand geboren, in Hessen aufgewachsen, in Berlin über die Mode zur Gastronomie gekommen. Erst fokussierte sie sich bei The Panda Noodle auf hausgemachte asiatische Nudeln, über die Jahre entwickelte sich ihr Menü aber immer näher an ihre eigene Vita heran. „Ich wollte den chinesischen Teil meiner Familie auch zeigen“, erzählt sie, so baute sie auch Gerichte wie hausgemachte Nudeln mit Dan Dan oder Szechuan Sauce in ihr Menü ein.

Was heißt hier: „Außerhalb unseres Kiezes hat sich zunächst niemand für uns interessiert“, erinnert sie sich an die Anfänge von The Panda Noodle – sie sei für viele eben auch nur eine weitere thailändische Frau gewesen, die gekocht habe. Vermeintlich nichts Besonderes, ein Klischee. Wer aber aufmerksam wurde: andere Gastronomen ohne den familiären Bezug zur Thaiküche, die versuchten, ihre Mitarbeiter:innen abzuwerben oder ihre Expertise zu nutzen. Und es waren dann eben diese Männer, die dann in Blogs und Presse für ihre vermeintlich „authentische“ Thaiküche gefeiert wurden – womit wir also beim Kern des Problems wären: was soll Authentizität überhaupt heißen?

Eins der besten Kreuzberger Restaurants ist The Panda Noodle: hausgemachte Nudeln und so viel mehr, vor allem aber authentisch. Foto: Susanna Glitscher

Authentizität ist a priori die Perspektive Außenstehender, die in einen Kulturraum hineinblicken und ihn anhand einer unsichtbaren Skala bewerten, einer Skala, die festhält an exotisierenden Narrativen über Kulturen, die möglichst „ursprünglich“ und „wahrhaftig“ bleiben sollen. Bizarr wird es aber, wenn diese Narrative von Menschen übernommen werden, die eben keine familiären oder kulturellen Bande zu der betreffenden Küche aufweisen – und sich gerade dadurch abgrenzen wollen von jenen Asialokalen, die vietnamesische und chinesische Küche ebenso anbieten wie Sushi, den Lokalen der „Elterngeneration“, wie es Khamlao ausdrückt, die sich eben an die Bedürfnisse des Marktes und den Wünschen der Kundschaft angepasst hatten.

Identität im Essen auf der einen, Profitgier auf der anderen Seite

Mit wachsendem Wohlstand und damit weiter verbreiteten Fernreisen änderte sich der Geschmack des Publikums, und die Asiaimbisse von einst waren nicht mehr, nun ja, gut genug. An ihrer statt traten immer öfter Gastronom:innen, die versprachen, die Küchen ferner Länder besonders „authentisch“ und vor allem „authentischer“ als der Thai-Imbiss um die Ecke zu präsentieren und deren Arbeit abzuwerten.

„Ich sehe in den Pressetexten dieser, nun ja, hauptsächlich weißen Männer immer wieder sich wiederholende Phrasen, wie zum Beispiel ‚das beste thailändische Essen außerhalb Thailands‘“, erzählt Khamlao, „sie kreieren eine Aura des Wissens um sich herum. Dabei benutzen sie oft Methoden, die gerade im Trend sind, wie ‚brining‘ oder ‚sous-vide‘ – wobei kein Thai so kocht. Wenn du alleine einen Marktstand hast, hast du keine Zeit, 24 Stunden lang ein Hähnchen vorzubereiten, bevor es verkauft wird.“

Essen ist ein emotionales Thema, und für Menschen mit familiärer Migrationserfahrung ganz besonders, da sie oft damit aufgewachsen sind, dass über ihr Essen die Nase gerümpft wurde: „Als Immigrantenkind bist du ganz viel Lebenszeit damit beschäftigt, dich anzupassen. Aber du kommst nie hinterher, man erreicht nie das Ziel.“ Da ist es besonders verletzend, wenn andere genau dieses Essen, das so stark mit den eigenen Erfahrungen von Identität verflochten ist, für den eigenen Profit nutzen – kulturelle Aneignung eben. „Der Mensch, der sich etwas aneignet“, sagt Khamlao, „hat ja die Wahl, sich die Rosinen aus einer Kultur zu picken.“

Kulinarischen Kulturen gerecht werden

Eine Person, der man dies vorwerfen könnte, ist John O’Reilly. Wenn man sich die Dinge denn einfach machen wollte. Eigentlich ist O’Reilly gar kein Gastronom – das ist eher so passiert. Man könnte ihn als „Crazy Bastard“ kennen, denn er ist der Mann hinter „Crazy Bastard Sauce“, der vielleicht erfolgreichsten Manufaktur für scharfe Saucen in Berlin. Um sich die Miete für das Ladenlokal auf der Neuköllner Weserstraße leisten zu können, begann er, regelmäßige Popups zu veranstalten.

Die Küche im Crazy Bastard Kitchen wechselt hin und wieder, was gleich bleibt: die selbstgemachten scharfen Soßen. Foto: Aida Baghernejad

Mittlerweile haben sich diese derart verstetigt, dass sie das Ladenlokal nebenan ebenfalls übernommen haben und nun als „Crazy Bastard Kitchen“ betreiben. Jetzt werden jede Woche Gerichte aus einer anderen Ecke der Welt zubereitet, mal wird die „Brazilian Week“ ausgerufen, worauf die „Manchester Curry Mile“ folgen könnte, eine „Burger Week“ und danach eine Woche jamaikanisches Jerk-Chicken – und ja, auch mal Gerichte aus O’Reillys schottischer Heimat mit Haggis, Fritten und Fisch in Backteig … eigentlich authentisch?

Essen ist auch für ihn Herzensthema, und es ist ihm wichtig, den verschiedenen kulinarischen Kulturen gerecht zu werden, sein sehr diverses Küchenteam nimmt sich viel Zeit für die Recherche, stellt auch gegebenenfalls jemanden zur Beratung an, der sich in der betreffenden Küche auskennt. Hat er keine Sorge, dass ihm und dem Laden kulturelle Aneignung vorgeworfen wird? „Menschen freuen sich, wenn andere an ihrer Küche und Kultur Interesse zeigen – so lange es aufrichtiges Interesse ist.“

Eine emotionale Sache

Der Begriff der Authentizität, so O’Reilly, wäre problematisch: In Jamaika beispielsweise habe doch jede Familie ein eigenes Rezept für Jerkmarinade. Was sei also schon authentisch? Bei Crazy Bastard Kitchen würden sie nie behaupten, „authentisch“ zu kochen. Bislang, so berichtet er, habe es auch nur einmal Kritik gegeben – und mit dieser Person habe er sich persönlich in Kontakt gesetzt und sich ausgesprochen. „Ich kann’s verstehen, Essen ist eine emotionale Sache“, sagt er, „aber die Leute merken, dass wir mit Respekt und Neugierde dabei sind.“

Auch Khamlao ist der Diskussion müde: „Mich stört die Abwesenheit von Anerkennung für die, von denen man gelernt hat“, sie will lieber Wege finden, wie man Anerkennung zollen und Respekt erweisen kann. O’Reilly hat für seinen Betrieb einen Weg gefunden: Mehrmals haben sie schon ihren Mitarbeiter:innen selbst vom Erlös das durchschnittliche Trinkgeld bezahlt und die Gäste stattdessen dazu aufgefordert, das, was sie als Trinkgeld geben würden, in ein Spendenglas zu tun. Der Gesamtbetrag ging dann an einen Verein oder eine Organisation, die sich im Land, dessen Küche diese Woche auf dem Menü steht, engagiert. „Wir würden das gerne öfter machen. Vielleicht sollten wir.“

  • The Panda Noodle Lausitzer Platz. 12, Kreuzberg, Mo-Fr 12-16 Uhr, Online auf Facebook: ThePandaNoodle
  • Crazy Bastard Kitchen Weserstraße 168, Neukölln, täglich 17-22 Uhr, Tel. 030/257 33 06 2, www.crazybkitchen.com

Mehr Berliner Genusskultur

Lust auf eine kulinarische Weltreise? Hier findet ihr 12 außergewöhnliche Restaurants in Berlin. Ihr haltet eher Currywurst, Schrippe und Mampe die Treue? Diese 12 Klassiker der Berliner Küche solltet ihr kennen. Echte Klassiker sind auch diese 12 Alt-Berliner Kneipen: Hier pichelt Berlin seit mehr als 100 Jahren.

Noch mehr News und Empfehlungen aus der Berline Gastro-Welt findet ihr in der Rubrik Essen & Trinken. Ihr fragt euch, wie man bei dieser Auswahl immer das passende Restaurant findet? Natürlich mit der Berlin Food App von tipBerlin.

Folgt unserem Instagramkanal @tipberlin_food!

https://www.instagram.com/p/CU9kZs2sow9/?utm_source=ig_web_copy_link

Tip Berlin - Support your local Stadtmagazin