„Jede Stadt sollte einen Club haben. Für all die Leute, die nachts nicht schlafen können und große Ideen mit sich herumtragen“, sagt er. Wir sprachen mit dem Tresor-Gründer Dimitri Hegemann über sein Projekt „Drunter und Drüber“, das deutschlandweit die Entstehung einer neuen Nacht-Kultur anregen will, die Entwicklung von Städten und die Frage, warum Clubs für die gesamte Gesellschaft wichtig sind.
Hegemann: Mittelgroße Stadt sollten gute Club haben
Dimitri Hegemann gründete 1991 den Technoclub Tresor, er konzipierte als Raumforscher Bars, Restaurants und Kneipen, wie das Weltrestaurant in der Markthalle IX in Kreuzberg und gegenüber davon den Goldenen Hahn und in Mitte den Schwarzenraben. Bis heute steht er hinter dem Atonal-Festival, das in den 1980er-Jahren entstand und seit 2013 im Kraftwerk Mitte wieder stattfindet. Auch dem Techno-Pionier setzte der durch Corona bedingte Stillstand im Berliner Kultur- und Nachtleben schwer zu, doch statt zu resignieren, blickt er aus gewohnt ungewohnter Perspektive und voller frischer Ideen über den Tellerrand und denkt über eine Revitalisierung mittelgroßer Städte durch Clubs nach.
Auch er leidet unter der Pandemie: „Langsam wird die Sehnsucht übermächtig: Man möchte endlich wieder raus. Aus der Wohnung – und aus sich selbst. Wir sehnen uns nach frischen Gedanken, neuen Impulsen und ungewohnten Perspektiven. Aber woher sollen diese kommen?“, so ähnlich stand es irgendwann im „Zeitmagazin“, und dem stimme ich zu, sagt Dimitri Hegemann
tipBerlin Dimitri Hegemann, der Tresor steht seit einem Jahr still, so wie alle anderen Clubs in der Stadt auch. Hatten Sie im Lockdown etwas Zeit, um zur Ruhe zu kommen?
Dimitri Hegemann Ja, viel zu viel! Tatsächlich betrachte ich die Clublandschaft, aber nicht nur in Berlin, sondern ich schaue mir die Situation in Deutschland an. Und dabei habe ich eine wunderbare Perspektive entwickelt.
tipBerlin Was haben Sie Sich überlegt?
Dimitri Hegemann Es gibt mehr als 80 deutsche Mittelstädte mit 100.000 bis 500.000 Einwohnern. Darunter etwa Nürnberg, Bonn, Kiel, Kassel, Lübeck, Saarbrücken, Mainz, Freiburg, Oldenburg, Osnabrück, Heidelberg, Darmstadt, Regensburg, Göttingen, Oberhausen, Würzburg und Karlsruhe. Für neugierige Jugendliche, die andere Wege suchen, und insbesondere auch für queere Menschen fehlt an diesen Orten oft ein fest etabliert Raum. Die Szene bewegt sich von einem Off-Space zum Nächsten, man hangelt sich so durch. Es fehlt an etablierten Clubs.
tipBerlin Was muss passieren, damit solche Clubs flächendeckend in diesen Mittelstädten entstehen können?
Dimitri Hegemann Die Politik sollte die Leute unterstützen, die solche Orte etablieren wollen. Vorab erwarte ich eine Wertschätzung dieser Initiatoren seitens der jeweiligen Verwaltungen. Ein guter Booker eines Clubs mit einem aussagestarken und gut kuratierten Programm, macht den gleichen Job wie ein eifriger Intendant eines Theaters. Beide sind wichtige Kulturarbeiter, versuchen inhaltlich und wirtschaftlich ein gutes Programm auf die Beine zu stellen und stehen somit auf der gleichen Stufe. Bei den Clubs denke ich an kleine Orte wie etwa das Ohm in Berlin oder das Robert Johnson in Offenbach. 150 bis 250 Besucher, nicht größer, mit gutem Service an der Bar, Freundlichkeit am Einlass, toller Akustik und einem hervorragenden Licht- und Soundsystem.
Diese Bildungseinrichtung kümmert sich um Fragen, wie man so einen Club startet
tipBerlin Wie können Sie die Leute konkret unterstützen?
Dimitri Hegemann Diese jungen Unternehmer*innen würde wir nach Berlin einladen, in eine diesbezüglich entwickelte „academy for subcultural understanding“. Diese kleine Bildungseinrichtung kümmert sich ganz gezielt um Fragen, wie man so einen Club startet, einen Ort findet, eine Wirtschaftlichkeit erreicht und den Laden nachhaltig am Leben erhält. Bei fünf Prozent Erfolg in den 85 Städten, könnten so immerhin vier Clubs die Türen aufmachen. Dadurch würde auch ein Netzwerk entstehen und bei einer Erfolgsquote von 20 Prozent, wären das schon 17 Clubs verteilt auf diese 85 Städte. Es gilt: „No Venue – No Party“.
tipBerlin Sie begreifen Clubs als eine gesellschaftlich wertvolle Institution, die Ansicht teilen in Berlin zumindest einige Politiker und Politikerinnen, glauben Sie, dass es in kleineren Städten nicht Widerstand gegen die vermeintlichen Drogenumschlagplätze geben wird?
Dimitri Hegemann Auch das müsste sich ändern, so dass Clubs als eine Form sinnvoller und zukunftsorientierter Kulturarbeit verstanden werden. Indem solche Orte erschaffen werden, an denen sich die lokale Szene frei entfalten kann, wird der Austausch gefördert und ein kreatives Klima nachhaltig etabliert. Dann käme ein neuer Schwung ins Land, in jede dieser Städte. Solche Clubs müssen schon ein gewisses Niveau haben und sich alternativen Kulturen öffnen. Also eher „High Trash“ als „Glamour Disco“. Diese Orte suchen in meiner Vorstellung Platz in alten Gemäuern, in Ruinen am Hafen, Industriegegenden oder auch am Schrottplatz. Einen Außenbereich dazu wäre wünschenswert, ideal wäre eine Wasserlage.
Das ist eine Form von „anderer“ Stadtentwicklung
tipBerlin Eine Stadtentwicklung durch Clubkultur?
Dimitri Hegemann In meiner Erfahrung haben diese wertvollen Zellen einen starken Einfluss auf die Stadtentwicklung. Sie wirken motivierend auf die Gäste, auch etwas in dieser Szene zu starten. Vielleicht ein kleines Café mit einem Schallplattenladen, eine Kunstgalerie oder eine Patisserie mit integriertem Friseursalon. Oder ein kleines Hostel, vielleicht ein veganes Restaurant für Handballer. Irgendein absurd klingendes Start-up in der jeweiligen Stadt. Das ist eine Form von „anderer“ Stadtentwicklung, die die „Nachtkultur“ miteinbezieht. Auch wenn es zunächst ein kleiner Schritt ist, bedeutet er doch letztlich neue Jobs für DJ‘s, Künstler und Clubpersonal und die Sache erzeugt auch mehr Umsatz für Taxifahrer, Gastronomie und andere lokale Unternehmer.
tipBerlin Und die hippen jungen Leute müssen nicht alle nach Berlin oder Hamburg ziehen.
Dimitri Hegemann Genau. Solche Clubs hätten das Potential, die gefährliche Abwanderung der jungen Intelligenz zu verlangsamen oder sogar zu stoppen. Leute würden bleiben, die normalerweise die Koffer packen, da sie in ihrer Stadt nicht diese „anderen Orte“ finden, an denen sie sich wohlfühlen und an denen die hohe Wahrscheinlichkeit besteht, Gleichgesinnte zu treffen. Auch deshalb ist das wichtig und wir wollen den Menschen, die solche Orte schaffen wollen, unser ganzes Wissen anbieten. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes Kulturarbeit. Es geht um die Erschaffung einer wichtigen Kulturform, die die Stadt bereichert, in der sie stattfindet und das müssen eben nicht nur die großen Metropolen sein, sondern auch Städte wie Oberhausen oder Würzburg. Bislang hat scheinbar niemand an den entscheidenden Schaltstellen die Chancen dieses neuen Unternehmertums erkannt.
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