Goldene Zwanziger

„Babylon Berlin“ in Concert: Was ist dran am 1920er-Hype?

Im Rahmen der TingelTangel-Reihe erweckt das Theater des Westens die Welt von „Babylon Berlin“ zum Leben – mit Gästen wie Meret Becker und Max Raabe. Aber warum kriegt Berlin nicht genug vom Tanz auf dem Vulkan der Nostalgie? 

"Babylon Berlin" und die Musik: Emil Engels (Max Raabe) und Palastorchester. Foto: Filme Creative Pool GmbH/ Foto Frédéric Batier 
„Babylon Berlin“ und die Musik: Emil Engels (Max Raabe) und Palastorchester. Foto: Filme Creative Pool GmbH/ Foto Frédéric Batier 

Der Geist der Goldenen Zwanziger zieht ein ins Theater des Westens

Einst sang dort Marlene Dietrich, jetzt zieht, 100 Jahre später, der Geist der Goldenen Zwanziger wieder ein ins Theater des Westens. Im Rahmen der Reihe TingelTangel – die selbst benannt ist nach einem legendären Club im Keller des Theaters aus den frühen 1930ern wird Mitte September an drei Abenden die Welt von „Babylon Berlin“ auf die Bühne gebracht. Das Baltic Sea Philharmonic, ein Orchester, das ausschließlich aus Musikern aus den Ostsee-Anrainerstaaten besteht, bringt gemeinsam mit Gästen wie den Berliner Größen Meret Becker und Max Raabe, der Jazzsopranistin Natalia Mateo, der Performerin Madame Le Pustra oder den Klassik-Stars Eckart Runge und Jacques Ammon die musikalische Welt der Erfolgsserie in den Konzertsaal.

Begleitet wird das Ganze von Bildern aus der gefeierten TV-Produktion, um die Atmosphäre der legendären Ära heraufzubeschwören. Es geht nicht darum, Szenen aus der Serie nachzuspielen oder einen narrativen Faden durch den Abend zu spinnen, sondern vielmehr darum, das Gefühl von „Babylon Berlin“ musikalisch in die Realität zu transportieren. Rauschende Nächte sollen es werden, wie einst im originalen Tingel-Tangel-Theater am selben Ort. Allerdings wird in dem großen Saal des Theaters gefeiert, schließlich existieren die historischen Räumlichkeiten des Vorbilds heute nicht mehr. Aber woher kommt eigentlich die Faszination für diese Epoche und warum kriegt Berlin nicht genug von diesem Tanz auf dem Vulkan?  

https://www.youtube.com/watch?v=Ft_zdEBxhjw
Max Raabe – Ein Tag wie Gold (Szene aus „Babylon Berlin“)

„Wir hatten gerade die Monarchie abgeschafft und auf einmal schien alles frei und möglich zu sein“, meint Max Raabe. Der Sänger und Mitbegründer des Palast Orchesters ist seit mehr als 30 Jahren mit einem Repertoire aus jener Zeit unterwegs. Wie ein Berliner Botschafter der 1920er sind Raabe und sein Orchester weltweit für ihre Auftritte bekannt, in denen sie teils Originalmaterial aus den Zwanzigern und Dreißigern auf die Bühne bringen, aber auch jüngere Songs von Shaggy, Britney Spears, Phil Collins oder Queen im Stil der Zeit vertonen und eigene Stücke schreiben.

Das Herz der Band aber liegt in den gut 100 Jahre alten Originalen: „Die Texte haben einen Humor, der nach wie vor zündet“, sagt Raabe, „die Leute lachen an der selben Stelle, wie sie 1929 gelacht haben. Sie sind an der selben Stelle gerührt, wo sie vor 80 Jahren gerührt waren, wenn das die Komponisten so angelegt haben.“ Entstanden ist das Palast Orchester fast eher aus Zufall: „Es war ja gar kein Konzept dahinter“, erinnert er sich, „wir waren eine Studentenband, haben uns um die Musik gekümmert, haben uns gefreut, dass wir in den Archiven oder auf dem Flohmarkt diese Orchesterbearbeitungen gefunden haben.“ Später studierte Raabe an der Hochschule der Künste in Berlin und sammelte erste Theatererfahrungen in Peter Zadeks Inszenierung von „Der blaue Engel“ – ausgerechnet auf der Bühne des Theater des Westens, wohin er nun im Rahmen des „Babylon Berlin“-Spektakels zurückkehrt.   

Idealisierung der Zwanziger

Es scheint also zusammenzukommen, was zusammengehört. Max Raabe auf der altehrwürdigen Bühne, ohne Palast Orchester zwar, dafür intoniert er gemeinsam mit dem Baltic Sea Philharmonic unter anderem „Ein Tag wie Gold“. Der Song, der als Titel der vierten Staffel immer wieder im Laufe der zwölf Episoden von ihm, von Meret Becker und anderen Sänger:innen interpretiert wird. „Alles schrill, jeder will, allen war immer klar, dass wir verrückt sind“, heißt es darin. Auch wenn das Stück kein Original ist, sondern von Raabe und Annette Humpe (Ideal und Ich + Ich) geschrieben wurde, fängt es den vibrierenden Geist des Umbruchs ein. Die Jahre zwischen 1924 und 1929 waren geprägt von relativer politischer Stabilität in der Weimarer Republik, einem wirtschaftlichen Aufschwung und Innovationen in Kunst, Musik und Technologie – bis die Weltwirtschaftskrise von 1929 auch Deutschland erreichen sollte.

„Natürlich idealisieren wir die Zeit“, sagt Raabe. Für die meisten Berliner:innen bedeuteten die Zwanziger auch keine glitzernden Kleidchen und stromlinienförmige Autos, sondern dunkle Mietskasernen, Wohnen auf engstem Raum, Kohleöfen, Gewalt, Trauma und Elend. Doch das Nachtleben brummte – vielleicht auch genau deswegen, weil man den beengten Verhältnissen und den Gespenstern der jüngsten Vergangenheit entfliehen und gleichzeitig die neuen Freiheiten feiern wollte. „Es sind ja auch viele ausländische Künstler hier aufgetreten, Josephine Baker etwa und verschiedene englische und US-amerikanische Orchester. Und die fanden das Publikum in Berlin immer sehr spannend.

Während in London die Theater und Ballsäle gar nicht so gut besucht waren, waren die englischen Orchester begeistert von der Euphorie, die in der Stadt herrschte“, erklärt Raabe. Der Legende nach wollte sogar Josephine Baker gar nicht mehr weg aus Berlin und Romane wie Christopher Isherwoods „Leb wohl, Berlin“ geben eine Ahnung davon, wie vielfältig und erlebnishungrig die Berliner Gesellschaft während der Weimarer Republik war.  

„Babylon Berlin“ in Concert: Eine Explosion der Gefühle

Um diese rauschende Zeit geht es auch in der Serie und auch um diesen Widerspruch zwischen Exzess und Armut, zwischen Hedonismus und der Realität, die gar nicht so federleicht war. Und vielleicht ist das einer der Gründe, warum die Serie im Besonderen, aber die 1920er-Jahre im Allgemeinen immer noch so eine Faszination in Berlin auslösen: Sehnsucht nach Exzess und Ästhetik in einer Zeit, in der zwischen Klima- und Wirtschaftskrisen der Alltag gar nicht so glamourös aussieht, wie man ihn sich wünschen würde. Romane wie Volker Kutschers Gereon-Rath-Reihe, die literarische Vorlage zur TV-Adaption, aber auch Zwanziger-Jahre-Partys wie Bohème Sauvage bieten ein wenig Realitätsflucht, ein wenig gold eingefärbte Nostalgie und vielleicht sogar einen sicheren Rahmen für den Hunger auf das Kribbeln, das die Gefahr und die Selbstzerstörung der Goldenen Zwanziger auch hervorrufen können.

Tanz auf dem Vulkan – Esther Kasabian (Meret Becker). Foto: Filme Creative Pool GmbH/ Foto Frédéric Batier 
Tanz auf dem Vulkan – Esther Kasabian (Meret Becker). Foto: Filme Creative Pool GmbH/ Foto Frédéric Batier 

Nun wird ein Abend im Theater des Westens voraussichtlich nicht ganz so exzessiv sein wie die ekstatischen Partys in der Serie, dürfte aber sicherlich genauso swingen. Das liegt unter anderem daran, dass die Filmmusik von „Babylon Berlin“ eine ganz zentrale Rolle in der Serie einnimmt: „Wir haben die Musik aufgenommen, bevor überhaupt angefangen wurde zu drehen”, erklärt der estnische Komponist Kristjan Järvi, Mitgründer und musikalischer Leiter des Baltic Sea Philharmonic und Co-Autor des „Babylon Berlin“-Soundtracks. Seit „Das Parfüm“ arbeitet er mit Tom Tykwer und dem Filmkomponisten Johnny Klimek zusammen.

Wichtig sei es ihnen, einen Sound zu schaffen, der nicht nur Hintergrundatmosphäre liefere, sondern Gefühle hervorrufe, sagt er: „Und gerade diese Ära ist eine, in der Gefühle eine große Rolle spielten, diese Explosion an Gefühlen trug zur Kreativität und Innovationskraft der Zeit bei. Und heute sind wir in einer ganz ähnlichen Phase.“ Große Gefühle, vor allem des Glücks, das sollen die geplanten Konzertabende auch im Publikum hervorrufen: „Wann empfindest du völlige Glückseligkeit? Bei einem Live-Event natürlich“, sagt Järvi und lacht. „Und der Ort ist wie gemacht für diese Produktion!“   

Glück, Freude, Aufregung, Angst

Von Anfang an wollte das Team die Musik der Serie auch auf echte Bühnen bringen, erzählt er: „Es ist eine Achterbahn der Gefühle, Glück, Freude, Aufregung, Angst – und man kommt am Ende als veränderte Person heraus, es ist ein kathartisches Erlebnis.“ Einen großen Anteil daran spiele die besondere Arbeitsweise des Baltic Sea Philharmonic: Die Musiker:innen legen die Notenblätter weg und spielen komplett aus dem Kopf, in engem Zusammenspiel miteinander. „Wenn du beim Baltic Sea Philharmonic mitspielst, bedeutet das, dass du Co-Autor der Musik bist. Es gibt keine Hierarchie, keinen Dirigenten, wir sind alle eins”, erklärt Järvi. Das Orchester entstand 2008 im Rahmen des Usedomer Musikfestivals und ist seitdem zu einem festen Bestandteil der europäischen Musikszene geworden und spielte auch schon in der Hamburger Elbphilharmonie und im Oktober gibt es in Berlin gemeinsame Konzerte mit dem englischen Exzentriker Brian Eno.  

Max Raabe: „Dieser Abend soll ein Fest werden für alle!“

Für Max Raabe sind die Abende im Theater des Westens nicht nur eine Rückkehr zu den Anfängen seiner Karriere, sondern auch ein Wiedersehen mit einer Kollegin, mit der ihn eine lange Geschichte verbindet: „Ich freue mich auf das Singen mit Meret Becker!“, sagt er, „Das haben wir das allererste Mal in den 1990er-Jahren gemacht – wir haben ja zusammen in einer WG gelebt!“ Im Rahmen der Konzerte werden die beiden ihre Zusammenarbeit wieder aufleben lassen.  

Ob man sich für die Konzerte einen Frack oder ein kurzes Fransenkleidchen ausleihen und Charleston-Schritte einüben sollte, bleibt jedem selbst überlassen. Fan von „Babylon Berlin“ muss man jedenfalls nicht unbedingt sein, sagt Max Raabe: „Dieser Abend soll ein Fest werden für alle!“

Babylon Berlin in Concert TingelTangel im Theater des Westens, Kantstr. 12, Charlottenburg, Mo 11. – Mi 13.9., Einlass 18.30 Uhr, Beginn 20 Uhr, Tickets ab 79 €, www.tingeltangel.berlin


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